Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung North Brunswick/USA

Nachwuchs à la carte

In den USA hat ein Start-Up-Unternehmen ein Testverfahren für künstlich erzeugte Embryonen entwickelt, das ein eugenisches Zeitalter einläuten könnte.
Menschlicher Embryo.
Foto: stockfoto | Der Arzt zeigt einen menschlichen Embryo auf dem Hintergrund des Planeten Erde.
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Ich war so frei und habe alle potenziell abträglichen Beschwerden ausgeschaltet. Vorzeitige Kahlheit, Kurzsichtigkeit, Alkoholismus und Suchtanfälligkeit, Neigung zu Gewalt, Fettleibigkeit. Nach der Überprüfung blieben, wie Sie sehen, zwei gesunde Jungen und zwei sehr gesunde Mädchen übrig. (...) Sie müssen nur noch den passenden Kandidaten aussuchen.“ So begrüßt in dem sehenswerten Science-Fiction-Epos „Gattaca“, das der neuseeländische Drehbuchautor, Regisseur und Produzent Andrew Niccol 1997 in die Kinos brachte, ein Keimbahn-Ingenieur seine Kunden.

Embryonen ohne genetisches Krankheits-Risiko

Was 1997 noch in ferner Zukunft zu liegen schien – in „Gattaca“ lässt Niccol seinen Protagonisten für einen bemannten Raumflug zum Saturnmond „Titan“ trainieren – hat bereits Gestalt angenommen. Denn in den USA arbeitet das Start-Up-Unternehmen „Genomic Prediction“ mit Firmensitz in North Brunswick im US-Bundesstaat New Jersey an einem Testverfahren für künstlich erzeugte Embryonen, das ein neues eugenisches Zeitalter einläuten könnte.

Während bisher erhältliche Gentests nach Anzeichen für das Vorliegen einer Krankheit oder genetischen Besonderheit fahnden, soll der „Life View“ genannte Test Eltern ermöglichen, aus den für eine künstliche Befruchtung im Labor erzeugten Embryonen zuvor denjenigen auszuwählen, der das geringste genetische Risiko besitzt, im Verlauf seines Lebens an einer Reihe von Krankheiten zu erkranken. Genomic Prediction zufolge zählen dazu unter anderen Diabetes Typ 1 und Diabetes Typ 2, Brust-, Hoden- und Prostatakrebs sowie „weißer“ und „schwarzer“ Hautkrebs. Auch das individuelle genetische Risiko für Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit und Herzinfarkt will das Unternehmen ebenso ermitteln können.

SNPs wurden systematisch nach Krankheiten durchsucht

Und das geht so: Zunächst werden den wenige Tagen alten künstlich erzeugten Embryonen ein bis zwei Zellen entnommen. Anschließend wird das in den Zellkernen enthaltene Erbgut untersucht. Dabei beschränkt sich die Untersuchung auf jene Abschnitte der DNA, die von Mensch zu Mensch verschieden sind. Im Fachjargon der Genetiker werden diese „Snipes“ (engl.: single nucletoide polymorphisms = SNPs ) genannt. Schätzungen zufolge machen sämtliche SNPs nur rund zwei Prozent des menschlichen Erbguts aus. Der Rest ist identisch.

Mittels sogenannter genomweiter Assoziationsstudien (engl.: genome-wide association studies = GWAS) wurden die SNPs in den zurückliegenden Jahren systematisch nach Risikofaktoren für die oben genannten Krankheiten durchsucht. Dazu wurden die Genome großer Kollektive von Patienten, die an den jeweiligen Krankheiten litten, mit Kontrollgruppen von Menschen verglichen, die als gesund galten. Auf diese Weise ermittelten Forscher Varianten, die als krankheitsfördernd betrachtet werden. In aller Regel erhöht ein einzelner krankheitsassoziierter SNPs das Risiko für seinen Träger nur minimal, an der entsprechenden Krankheit auch tatsächlich zu erkranken.

Kenntnis kann frühzeitig den Lebensstil beeinflussen

Mit Hilfe von Computerprogrammen ist es jedoch möglich, die einzelnen krankheitsassoziierten SNPs zu addieren, mit denen von tatsächlich Erkrankten zu vergleichen und daraus einen individuellen „polygenetischen Risikowert“ (engl: polygenic risk score = PRS) zu errechnen. Nur: Anders als der Firmenname „Genomic Prediction“ suggeriert, bedeutet selbst die Errechnung des hohen PRS nicht, dass der betreffende Embryo im Verlauf seines Lebens an einer der Krankheiten, auf die er getestet wurde, auch tatsächlich erkrankt. Von „Vorhersage“ oder „Prophezeiung“ kann hier keine Rede sein. Wissenschaftstheoretisch gesehen vermag ein PRS allenfalls eine Korrelation aufzuzeigen, nicht jedoch eine Kausalität zu begründen.

Was im Falle von geborenen Menschen durchaus von Nutzen sein kann, sei es, weil der Betreffende in Kenntnis eines hohen PRS sich frühzeitig einen Lebensstil zulegt, der eine mögliche Erkrankung zumindest nicht begünstigt, sei es, weil man vermehrt nach Symptomen Ausschau hält, um frühzeitig eine Therapie einleiten zu können, kommt im Falle eines künstlich erzeugten Embryos einem sicheren Todesurteil gleich.

„Sie hat die Ohren und das Lächeln Deines Partners. Nur nicht sein Risiko für Diabetes.“
„Genomic Prediction“, North Brunswick im US-Bundesstaat New Jersey

Das Unternehmen verharmlost die Selektion und bewirbt den Test mit Slogans wie: „Sie hat die Ohren und das Lächeln Deines Partners. Nur nicht sein Risiko für Diabetes.“ Selbst Reproduktionsmediziner, die kein Problem damit haben, pro Kinderwunschbehandlung mehrere Embryonen im Labor zu erzeugen, um Paaren zu einem einzelnen „Wunschkind“ zu verhelfen, sehen den Test kritisch. „Er wirft alle Fragen der Eugenik auf“, sagte David Keefe, Leiter der Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie des Fruchtbarkeitszentrums der Universität New York in Manhattan dem Wissenschaftsmagazin „MIT Technology Review“. Der Reproduktionsmediziner befürchtet, dass Paare, die glauben, dass sich Kinder wie ein Menü aus einer Speisekarte auswählen ließen, enttäuscht werden könnten.

Auch bei Genforschern findet der Test bisher nur wenig Anklang. Viele von ihnen halten die Technologie, auf die er zurückgreift, für noch nicht ausgereift: „Es ist unverantwortlich, zu suggerieren, die Wissenschaft habe den Punkt erreicht, an dem wir zuverlässig vorhersagen könnten, welcher Embryo ausgewählt werden müsse, um das Risiko für eine Erkrankung zu minimieren. Die Wissenschaft ist einfach noch nicht so weit“, ereiferte sich Graham Coop von der Universität von Kalifornien auf den Kurznachrichtendienst Twitter.

Keine Garantie für die ausgewählten Embryonen

Santiago Munne, ein Pionier auf dem Gebiet der Präimplantationsdiagnostik und Mitbegründer der Firma „Cooper Genetics“, die zahlreiche Labors in den USA und in Großbritannien unterhält, ist der Ansicht, es sei unmöglich, mit dem Test Embryonen auszuwählen, die nur geringe Risikowerte aufwiesen. Der Spanier verweist darauf, dass für eine künstliche Befruchtung durchschnittlich sechs Embryonen erzeugt würden. „Du wirst nicht in der Lage sein, einen Embryo zu bekommen, der alle Eigenschaften aufweist, die Du willst.“

Das scheint auch „Genomic Predictions“ bewusst. In einem Haftungsausschluss erklärt das Unternehmen, dass die Errechnung des PRS kein diagnostischer Test sei und es keine Garantie für die ausgewählten Embryonen übernehmen könne. Das hindert das 2017 gegründete Unternehmen allerdings nicht, sich auf seiner firmeneigenen Internetseite als den „nächsten Schritt in der Embryogenetik“ anzupreisen.

Damit nicht genug, wirbt das Unternehmen auch damit, einen PRS für Eigenschaften wie Körpergröße und Intelligenz ermitteln zu können. Nach vorherrschender wissenschaftlicher Meinung ist Körpergröße zu rund 80 Prozent und Intelligenz zu rund 40 Prozent vererbbar. Zwar beschränkt sich das diesbezügliche Angebot der Firma derzeit darauf, Kunden warnen zu wollen, wenn einer der Embryonen einen PRS aufweist, der deutlich unterhalb des Durchschnittswertes liegt.

Künstliche Befruchtung auch für fruchtbare Paare

Doch das soll nicht so bleiben. Derzeit seien die verfügbaren genetischen Daten nicht gut genug, um ein verlässliches Ranking für Intelligenz zu ermitteln, erklärt Stephen Hsu, Mitbegründer von Genomic Prediction. Doch sobald qualitativ hochwertige Daten von mehr als einer Millionen Menschen verfügbar seien, werde sich der IQ eines Embryos auf rund 10 Punkte genau errechnen lassen. Hsu schätzt, dass dies in fünf bis zehn Jahren der Fall sein werde.

Bedenken, dass es ethisch unstatthaft sein könne, Embryonen anhand ihres IQs auszuwählen, plagen den Physiker dabei offenbar nicht. „Ich denke, die überwältigende Mehrheit würde sagen, dass Eltern dies tun dürfen“, zitiert der britische Guardian Hsu. Nathan Treff, der Chefwissenschaftler des Unternehmens, glaubt gar, dass die zu erwartenden Fortschritte auf dem Gebiet des Embryogenetik dazu führen werden, dass sich in Zukunft auch fruchtbare Paare einer künstlichen Befruchtung unterziehen werden, um die Möglichkeit zu erhalten, unter vielen Embryonen denjenigen auszuwählen, der die besten Werte aufweist.

Wer wissen will, was es für die Menschheit bedeuten könnte, wenn Treff Recht behält, sollte sich „Gattaca“ anschauen. „Falls Sie danach noch interessiert sind, sagen Sie es mir“, haucht dort Irene (Uma Thurman), als sie ihrem Auserwählten Vincent (Ethan Hawke) eines ihrer Haare zum Zweck einer Genomanalyse überreicht. So stellt sich Niccol den Beginn von Romanzen in einer eugenischen Gesellschaft vor, in der es zur Pflicht geworden ist, Kinder im Labor erzeugen zu lassen, um sie vor der Übertragung in den Mutterleib genetisch optimieren zu können. Und er lernt dabei gleich einiges darüber, wie schwer es einer solchen Gesellschaft fällt, mit Behinderungen und gesundheitlichen Einschränkungen umzugehen, die sich ihre genetisch optimierten Mitglieder im Laufe ihres Lebens zuziehen.

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Stefan Rehder Eugenik

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