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Künstliche Intelligenz: Die womöglich letzte Erfindung

Künstliche Intelligenz besitzt weder Verantwortungsgefühl noch Ewigkeitsbewusstsein. Sie mag exzellent schnell rechnen und kombinieren können, aber mit Gott rechnet sie nicht. Darum ist und bleibt seelische Intelligenz der künstlichen unendlich überlegen.
KI: Menschen beginnen, wie Computer zu denken
Foto: Adobe Stock | Gefahren der KI: Menschen beginnen, wie Computer zu denken. Und dabei übersehen sie, dass Computer nicht denken können.

Der vielfache Nutzen Künstlicher Intelligenz (KI) ist unbestreitbar: Er zeigt sich als enormer Fortschritt beispielsweise auf den Gebieten der Medizin, der Verwaltung und des Militärs. Doch ohne Zweifel hat KI auch Teil an der ebenso unbestreitbaren Ambivalenz des Fortschritts. Nachdem politisch und wirtschaftlich hierzulande und international alles Gewicht auf ein entschiedenes Ja zur KI gesetzt wird, sollen im Folgenden ansatzweise Risiken, Nachteile und zumindest am Horizont stehende Gefahren von KI angesprochen und skizziert werden

Es geht um eine deutliche Problemanzeige: Mit KI verbinden sich gewichtige kritische Aspekte, die doch oft nur am Rande zur Sprache kommen und möglichst verdrängt werden. Wird man sich bald erneut die Augen reiben und in schmerzlicher Selbstanklage einräumen: „Wir müssen dringend umkehren – wie haben wir nur all die Jahre diesen falschen Weg einschlagen können?“ Wie intelligent ist es von uns Menschen, sich immer mehr den autonomer werdenden Strukturen der Digitalität anzuvertrauen und sich Agenten künstlicher Intelligenz zu überlassen?

KI raubt menschliche Autonomie

Ein faszinierender Faktor der KI besteht in selbstlernenden Systemen, die höchste Schnelligkeit mit der kommunikativen Verarbeitung großer Informationsmengen verbinden. Respekt vor den gigantischen Leistungen solcher von Menschen geschaffenen High Tech! Doch gerade ihr enormes Leistungsvermögen hat zwingend zur Folge, dass man einer solchen Instanz immer mehr Kompetenz zutraut und Macht zuschanzt. Je autonomer aber KI auf diesem intransparenten Weg des Deep Learning wird, desto mehr Autonomie raubt sie logischerweise dem Menschen. Der protestantische Ethiker Wolfgang Huber betont in seinem neuen Buch „Menschen, Körper und Maschinen“ zu Recht: „Man kann nicht auf der einen Seite menschliche Autonomie und Selbstbestimmung ganz nah an die unantastbare Würde des Menschen heranrücken und auf der anderen Seite Maschinen als solchen Autonomie und Selbstbestimmung zuerkennen.“ Näher betrachtet, gehört KI nur bei oberflächlicher und vorläufiger Wahrnehmung in die Freiheitsgeschichte der Menschheit; in Wahrheit droht mit ihrer zunehmenden Machtergreifung digital gesteuerter Totalitarismus um sich zu greifen. Das beginnt bei einer immer perfekteren Überwachung, führt zu immer mehr algorithmischer Lenkung und halb verborgenem Nudging (Methode des Anstupsens), zu immer suggestiverer Verführung mit der Folge der Unterwerfung unter das Gesamtsystem von KI-Herrschaft und am Ende womöglich zu einer Verschmelzung von Mensch und Maschine, die den Planeten in schier apokalyptische Gefilde abrutschen lässt.

Zu den unüberhörbaren Warnern in dieser Richtung zählen der verstorbene Physiker Stephen Hawking oder der US-Unternehmer Elon Musk: Sie und andere sehen die Gefahr der Entwicklung einer Superintelligenz, deren erworbene Selbstständigkeit eine neue, inhumane Form von Intelligenz bedeuten würde. Mit drastischen Worten hat Musk erklärt, unregulierte KI-Forschung stelle die größte Gefahr für unsere Zivilisation dar; mit ihrem Drang zur Verselbständigung könne KI deutlich gefährlicher werden als Atomwaffen. Er selbst habe Zugang zu hochentwickelten KI-Systemen und könne nur versichern, dass diese eigentlich jedem Sorge bereiten sollten. Anders als etwa Autounfälle, manch schädliche Medizin oder schlechtes Essen gefährde KI die menschliche Zivilisation als Ganze. Der Arte-Film „KI – die letzte Erfindung“, ausgestrahlt am 6. November 2021, hat diese Perspektive eindrucksvoll untermauert.

Cyborgs frei von menschlichen Befehlen

Ob das gewagte Spiel mit KI tatsächlich negativ ausgehen wird, bezweifeln manche Denker, ja sie belächeln die „Apokalyptiker der Digitalisierung“. Als „Alarmismus“ tut sie zum Beispiel der KI-Experte Wolfgang Wahlster ab. Der kürzlich verstorbene britische Erfinder James Lovelock differenziert in seinem Buch „Novozän. Das kommende Zeitalter der Hyperintelligenz“ (2020): Zwar habe der Computer AlphaZero bereits Autonomie und geradezu übermenschliche Fähigkeiten erlangt, und niemand habe erwartet, dass das so schnell passieren würde; die Anzeichen für die wachsende Macht von KI seien „überall um uns“. Doch die Cyborgs der Zukunft würden wohl ganz und gar frei von menschlichen Befehlen sein, weil sie sich durch einen selbstgeschriebenen Code entwickeln dürften: „Von Beginn an wird dieser dem von Menschen geschriebenen weit überlegen sein.“ Das bedeute wiederum, sie müssten ihren eigenen Grund finden, nett zu Menschen zu sein – und den gebe es: Wegen des gegenwärtigen Alters und Zustands der Erde hätten die Cyborgs „keine andere Wahl, als mit uns gemeinsame Sache zu machen“. Von daher glaubt Lovelock, die Vorstellung eines Krieges zwischen Menschen und Maschinen oder ganz einfach unsere Auslöschung durch sie sei höchst unwahrscheinlich: „Nicht wegen der von uns aufgezwungenen Regeln, sondern aufgrund ihres eigenen Egoismus werden sie unsere Spezies als Mitarbeiter bereitwillig erhalten.“ Indes – werden das dann vielleicht versklavte Mitarbeiter sein? Lovelock räumt ein: „Was diese Zukunft mit eigenständig denkenden, von menschlichen Regeln befreiten Cyborgs angeht, ist die Sache die, dass wir weder erahnen noch bestimmen können, wie sie langfristig aussehen wird.“ Ich frage: Ist unter diesen Umständen ein entschlossenes Fördern von KI wirklich angeraten und intelligent zu nennen?

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Simulierte Intelligenz?

Unabhängig davon gilt es grundsätzlich zu fragen, ob künstliche Intelligenz wirklich intelligent ist, oder lediglich Intelligenz simuliert. Man spricht von „schwacher KI“, wenn ihr keine Entwicklung eigenen Bewusstseins und Empfindens zugetraut wird. „Starke KI“ bezeichnet demgegenüber die Annahme, dass Computer einst wirklich intelligentes Bewusstsein besitzen werden. Für die Informatikerin Joanna Bryson hat KI „schon längst Bewusstsein entwickelt“. Die Frage sei nur: welche Art von Bewusstsein? KI könne wie natürliche Intelligenz Erfahrungen bewusst wahrnehmen, Entscheidungen treffen und handeln, ja für Entscheidungen ihre „Erinnerungen“ mit einbeziehen. Einen Unterschied zum menschlichen Bewusstsein gebe es dennoch, nämlich die spezifisch menschlichen Erfahrungen in unserem Bewusstsein: „Maschinen können die Bedeutung von Wörtern lernen, aber sie können diese Bedeutung nicht fühlen. Lieben, sich ausgeschlossen fühlen, gewinnen, verlieren – diese Dinge bedeuten etwas für uns, weil wir soziale Wesen sind. Wir teilen Gefühle mit Affen und anderen Tieren. Aber nicht mit Computern.“ Was jedoch, wenn Computer doch lernen könnten, Gefühle zu entwickeln? Das wäre Bryson zufolge allenfalls programmierte Simulation. Für menschliche Gefühle brauche man einen biologischen Körper.

Nullen und Einsen schaffen kein Bewusstsein

Schon der amerikanische Philosoph John R. Searle hat unterstrichen: „Nullen und Einsen anzuhäufen schafft noch kein Bewusstsein.“ Doch viele gegenwärtige KI-Systeme arbeiten nach einem anderen Paradigma, nämlich dem des sogenannten Konnektionismus: Hier wird versucht, die Funktionsweise des menschlichen Gehirns durch künstliche neuronale Netze nachzubilden – mittels künstlicher Neuronen, die sich miteinander verbinden und lernend anpassen. Diese Netze erzielen große Erfolge im Aufspüren von Regelmäßigkeiten inmitten riesiger Datenmengen. Gewiss sind Computer dem Menschen da technisch und tempomäßig überlegen. Im Konnektionismus werden kleine Einheiten in so riesiger Zahl zusammengeschaltet, dass wir Menschen die Funktionsweise des Gesamtsystems am Ende gar nicht mehr verstehen können. Dabei mag es geschehen, dass derlei Verbindungen immer kompliziertere Zentren höherer Ordnung hervorbringen.

Gleichwohl ist und bleibt menschliche Intelligenz immer eine personengebundene Eigenschaft, gekoppelt an Sterblichkeitsbewusstsein und ein letztes Verantwortungsgefühl. Dies betrifft die religiöse Dimension; KI wird auch nie so etwas wie eine unsterbliche Seele besitzen. Die Kombination noch so vieler Nullen und Einsen oder künstlicher Neuronen bringt unmöglich das hervor, was menschlicher Geist, menschliche Intelligenz in ihrer ganzheitlichen Komplexität bedeutet. Die Freiheitsforscherin Ulrike Guérot hat recht: „Der Algorithmus kann das Wesen der Menschlichkeit nicht erfassen.“ Am Ende geht es mithin um die entscheidende Differenz zwischen künstlicher und seelischer Intelligenz. KI hat kein „Unbewusstes“ – und vor allem kein Ewigkeitsbewusstsein. Sie mag exzellent schnell rechnen und kombinieren können, aber mit Gott rechnet sie nicht. Darum ist und bleibt seelische Intelligenz der künstlichen unendlich überlegen.

Computer können nicht denken

Sollte schließlich KI tatsächlich einmal die Oberherrschaft auf unserem Planeten erringen, so müsste das freilich noch immer nicht das Ende sein. Der christliche Glaube besagt, dass der Endsieg dem Reich Gott gehören wird – und nicht Menschen oder Maschinen. Möge menschliche und nicht künstliche Intelligenz sich durchsetzen, wenn es um das Vertrauen auf das geht, was die Welt umgreift und zum Ziel führt! Der Neurologe Oliver Sacks warnt: „Menschen beginnen, wie Computer zu denken. Und dabei übersehen sie, dass Computer nicht denken können.“ Wo bleibt der spirituelle Fortschritt des Menschen, der ihn dazu befähigt, künstliche Intelligenz auf ihr technisches und geistiges Risikopotenzial hin klar zu durchschauen?

Dr. theol. habil. Werner Thiede ist apl. Professor für Systematische Theologie (Universität Erlangen-Nürnberg), Pfarrer i.R. und Publizist.

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