Einen der schönsten Gedanken der Theologie des Leibes entfaltet Johannes Paul II. in der Katechese, in der er zum ersten Mal explizit über die sexuelle Vereinigung von Mann und Frau spricht. Warum spricht Johannes Paul II. von „sexueller Vereinigung“ und nicht einfach nur von „Sex“? Weil es sich hier um etwas grundlegend anderes handelt!
Der Unterschied zwischen „Sex“ und „sexueller Vereinigung“ entspricht in etwa dem von „Fastfood“ und „ein Festmahl halten“. Fastfood kann man überall: stehend am Kühlschrank, hastig im Laufen von einem Ort zum andern oder den Hamburger im Auto. Es ist aber etwas völlig anderes, sich mit Freunden oder Familie zu einem Festmahl zu versammeln und gemeinsam zu essen.
Sex kann man ebenso überall haben: eine kleine Affäre, ein One-night-stand, Sex im Internet, mit mir allein … Doch all das ist nur ein billiges Vergnügen im Vergleich zu der Fülle, die wir in der sexuellen Vereinigung erfahren können, wenn wir sie nach Gottes ursprünglichem Plan leben.
Johannes Paul II. schreibt über die eheliche Vereinigung: „Mann und Frau die sich (im ehelichen Akt) so innig miteinander verbinden, dass sie ,ein Fleisch werden‘, so als ob sie jedes Mal aufs Neue und in besonderer Weise das Geheimnis der Schöpfung entdecken, kehren so zu jener Einheit im Menschsein … zurück, die ihnen ermöglicht, sich gegenseitig zu erkennen und wie beim ersten Mal beim Namen zu nennen.“
"Ich bin Dein, Du bist mein"
Für die Ehepaare unter den Lesern: Erinnern Sie sich an den Augenblick, als Ihr Mann, Ihre Frau Sie zum ersten Mal beim Namen genannt hat. Erinnern Sie sich an die Zärtlichkeit in seiner Stimme, an Ihre Freude, dass diese Person Sie erwählt hat, Ihnen ihre Liebe geschenkt hat! Oder denken Sie an Ihr Eheversprechen, das Sie einander an Ihrem Hochzeitstag gegeben haben: „Vor Gottes Angesicht nehme ich dich an als meinen Mann, als meine Frau ... ich will dich lieben, achten und ehren.“ In der Renaissance lautete es: „Ich bin dein, du bist mein. Was mein ist, ist dein und was dein ist, ist mein“, ein Satz, der wunderbar ausdrückt, dass sich das Brautpaar einander zum Geschenk macht.
Einer der größten Feinde der Ehe ist die Gewohnheit. Vielleicht neigt man dazu, sich aneinander zu gewöhnen und die Kostbarkeit des Geschenks, das der andere ist, als selbstverständlich zu nehmen. Wenn Männer ihrer Ehefrau oder Frauen ihren Ehemännern wie einem vertrauten Möbelstück begegnen, das ihnen gehört, das sie benutzen, weil sie ein Recht darauf haben und das sie gar nicht mehr in seiner Schönheit wahrnehmen, dann ist etwas Wesentliches in der ehelichen Liebe und in der sexuellen Vereinigung verloren gegangen. Johannes Paul II. erinnert daran, dass wir uns mit jeder sexuellen Vereinigung, jeder Geste der Zärtlichkeit in der Ehe, einander wieder neu schenken und neu empfangen. Denken Sie an Adams Freude über das Geschenk seiner Eva! Diese Dimension des Geschenks zu bewahren bedeutet, den andern zutiefst als Person zu achten, es bedeutet anzuerkennen, dass diese Person in erster Linie Gott und sich selbst gehört und sich mir zum Geschenk gemacht hat.
Schenken, nicht "machen"
Wenn diese Dimension des Geschenks über die Jahre, die Jahrzehnte in einer Ehe lebendig bleibt, dann vollzieht sich der Akt des sich Schenkens der Hochzeitsnacht immer wieder neu. Die eheliche Vereinigung ist nicht nur ein entpersonalisierter Akt zur Befriedigung unserer sexuellen Bedürfnisse, sondern er drückt – wenn er in dieser Dimension des Geschenks gelebt wird – eine heilige und sakramentale Realität aus. Doch wie können die Gedanken Johannes Pauls II. in unserer Ehe Realität werden? In fast allen Filmen, Magazinen, in unserer Umgangssprache, im Schulunterricht der Kinder wird Sex dargestellt als etwas, das man „macht“. Die wenigsten Menschen hinterfragen das. Selbst wenn wir Zweifel haben, dass dies die richtige Sicht der Dinge ist, sind wir doch von klein auf durch diese Einstellung geprägt worden. Sex wird zu einer bloßen Handlung, die einer am anderen vollzieht. Wenn diese Haltung sehr ausgeprägt ist, wird sich ein Partner – häufig sind es die Frauen – benutzt oder schuldig fühlen. Und immer mehr werden wir in unserem ehelichen Leben Einsamkeit, Isolation und Unerfülltsein erfahren. Eine Gefahr dieser Sichtweise besteht darin, dass sich Paare zu sehr an Äußerlichkeiten orientieren, etwa an Techniken, Stellungen und Ähnlichem.
Diese Haltung kann dazu verleiten, selbstbezogen auf die eigenen Bedürfnisse zu achten oder darüber nachzudenken, wie man auf den anderen wirkt. Wie kommt es zu diesen Schwierigkeiten? Ein Grund könnte sicher in der unterschiedlichen Zugangsweise von Mann und Frau in Bezug auf die Sexualität liegen. Für eine Frau sind der persönliche Austausch mit ihrem Mann, das Mitteilen von Gefühlen, die verbale Kommunikation wesentliche Elemente, damit sie sich für die Intimität öffnen kann. Der bevorzugte Weg für den Mann, sich für die Intimität zu öffnen, ist meist physischer Natur.
Vielleicht ist es so: Wenn für Frauen die sexuelle Vereinigung ein Fest der Einheit ist, einer Einheit, die bereits im Gespräch, in der emotionalen Nähe, in Gesten der Zärtlichkeit den ganzen Tag über vorbereitet wurde und jetzt körperlich ausgedrückt wird, dann ist für den Mann die Vereinigung das, was diese Einheit erst herstellt.
Mit dem Leib integer handeln
Wenn Ehepaare nun das sexuelle Einswerden als Handlung sehen, als etwas, das man „tut“, wird die Frau möglicherweise häufig „nein“ sagen. Für die Frau ist das kein Problem, denn die Einheit zu ihrem Mann besteht ja bereits und selbstverständlich liebt sie ihren Mann über alles. Sie sagt lediglich „Nein“ zu einer Aktivität. Es kann aber sein, dass ihr Mann dieses „Nein“ als Zurückweisung seiner Person empfindet. Er fühlt sich abgewiesen in seinem Wunsch, sich mit seiner Frau zu verbinden, um mit ihr in eine enge Beziehung einzutreten und ihr seine Liebe zu zeigen.
Der Ausweg aus diesem Teufelskreis ist, zu verstehen, dass die sexuelle Vereinigung in der Ehe eine „Sprache“ ist und nicht etwas, das man einfach „macht“. Dieser Aspekt der Sprache ist für Johannes Paul II. entscheidend. Der Leib hat eine Sprache, mit der er die Wahrheit aussprechen kann, aber leider auch lügen kann. Daher ist es Johannes Paul II. sehr wichtig, zu sagen, dass das, was wir mit dem Leib ausdrücken, auch von unserem Inneren Denken und Fühlen gedeckt ist.
Wie kann ich mit meinem Leib lügen? Vor einigen Jahren haben wir uns ein gebrauchtes Auto gekauft. Der Händler versicherte uns, dass mit diesem Auto alles in Ordnung sei. Nachdem wir den Vertrag unterschrieben hatten, schaute er uns in die Augen, schüttelte uns die Hand und gratulierte uns zum Kauf des Autos – eine klassische Lüge mit dem Körper. Denn kurze Zeit danach blieb das Auto mitten auf einer vielbefahrenen Kreuzung stehen und konnte nur noch verschrottet werden. Oder denken Sie an den Kuss des Judas im Garten von Getsemani. Ein Dominikaner erzählte mir, dass es in seinem Orden üblich sei, dass der Priester nach der Wandlung und vor dem Friedensgruß den Kelch küsst. Dieser Priester sagte mir, dass, wann immer er den Kelch küsst, er einen kurzen Moment innehält und sich in seinem Herzen die Frage stellt: Verrate ich mit diesem Kuss den Herrn, wie Judas es tat? Leitfragen für Eheleute können in diesem Zusammenhang sein: Wie kann ich mit meinem Leib meiner Frau oder meinem Mann all das sagen, wozu ich mit Worten nicht in der Lage bin? Was will ich meinem Mann oder meiner Frau heute mit meinem Körper von ganzem Herzen sagen?
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