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„Vergebung ist das perfekte Geschenk“

Die vierte Internationale Tagung zur Theologie des Leibes in Eichstätt widmete sich der Frage, wie christliche Ehe gelingen kann.
Liebe ist ein Geschenk
Foto: Adobe Stock | Liebe ist nicht allein eine Sache des Gefühls, Liebe ist vor allem Hingabe. Im gegenseitigen Verzeihen lässt sie den Menschen teilhaben am Geheimnis der Barmherzigkeit.

„Kann man so lieben?“ Der Titel auch der vierten internationalen Tagung zur Theologie des Leibes an der Katholischen Universität Eichstätt ist von erstaunlich aktueller Wucht. In Europa, vor allem in Spanien, Deutschland, Frankreich und Italien wird das Thema Gewalt in der Ehe und der Beziehung, vor allem gegen Frauen, derzeit in Parlamenten und auf der Straße diskutiert. Es ist eine tödliche Gewalt. Fast jeden Tag stirbt eine Frau hierzulande durch die Hand ihres (Ehe-)Partners. Solche Gewalt ist der totale Verlust der Liebe. Oder, um mit Alfred Adler zu sprechen: Alle menschlichen Verfehlungen sind das Ergebnis eines Mangels an Liebe.

Wie kann der Mensch diese Mängel beheben? Kann er es überhaupt? Vorweg sei es gesagt: Er kann – wenn er das Leben eben als Geschenk begreift und versucht, die Liebe in ihrer Gänze, sozusagen mit Leib und Seele, zu leben. Der Apostolische Nuntius, Erzbischof Nikola Eterovic, formulierte es in seinem Grußwort, bei dem er auch die „herzlichen Grüße des Heiligen Vaters“ übermittelte, so: „Der Leib kann nicht einfach auf körperliche Funktionen reduziert werden“, die Auferstehung des Leibes zeige gerade die „Hochschätzung“ der Kirche für diese ganzheitliche Sicht, „man kann nur so lieben“.

Liebe ist nicht zuerst Gefühl, sondern Hingabe

In dieser Sicht auf Leib und Seele zeigt und eröffnet sich dem Menschen die „Wahrheit der Liebe“ (Johannes Paul II.). Professor José Granados, Vizepräsident des Päpstlichen Instituts Johannes Paul II. in Rom, legte dar, dass Liebe keine Frage allein des Gefühls sein könne, weil es sich bei der Liebe nicht um eine individuelle Befindlichkeit handele, sondern um Hingabe und Selbsthingabe und das setze ein Bewusstsein vom Anderen, vom Partner voraus, eine Öffnung über das eigene Ich hinaus. Bei der Liebe heiße es nicht „do ut des“ – ich gebe, damit du gibst, das ist das Motto einer funktionierenden Geschäftsbeziehung –, sondern „do ut recipas“, ich gebe, damit du empfängst. Das Geschenk seiner selbst, die Selbsthingabe, spiegelt den göttlichen Funken im Menschen wider. Es ist dieser Funke, der Leidenschaften entzündet. Sie gehen tiefer und berühren Seelengründe, die zu Abgründen werden können. Das Herz hat Gründe, die der Verstand nicht begreift, heißt es schon bei Pascal. Wenn sich in diesen Tiefen Verletzungen zutragen, dann kehren sich Erwartung und Erfüllung in Zweifel und Verzweiflung. Deshalb ist es verletzend, wenn das Geschenk nicht angenommen oder verweigert wird; schlimmer noch: Wenn es getäuscht und betrogen wird, wenn die Wahrheit der Liebe in die Abgründe der Lüge gestoßen wird.

Wie holt man die gestürzte und verwundete Liebe aus diesen Abgründen hervor? Zunächst, indem man sich selber als Geschenk begreift. Darauf wies der Lehrer und Direktor der Stiftung Sacro Cuore in Mailand hin. Er riet bei einer Podiumsdiskussion zur Frage, wie man junge Menschen vor der Gender-Ideologie schützen könne, zu mehr Gelassenheit. Er empfehle Eltern und Schülern, sich vor allem auf diesen Punkt zu konzentrieren: Die Mainstream-Ideologie sage, „ich bin, was ich aus mir mache“, aber „wir haben uns nicht selbst gemacht, das Leben ist uns geschenkt“. Aus dieser Haltung heraus sei es einfacher, den Egoismus zu erkennen, treu zu bleiben, zu vergeben.

„Es gibt zwei Möglichkeiten, Gutes zu tun:
Geben und Vergeben“
Augustinus

Bewährung in der Treue ist sicher eine gute Grundlage für eine glückliche Ehe und erfüllende menschliche Liebe. Vergebung indes hebt die Liebe auf eine Stufe der Vollendung. Gewiss, die Narben bleiben und die Reinheit der Liebe ist getrübt. Aber der Neuanfang weist über das Paar hinaus auf den, der erlöst. In Ihm ist die Fülle des Lebens. Granados zitierte Augustinus: „Es gibt zwei Möglichkeiten, Gutes zu tun: Geben und Vergeben.“ Es sind die Weisen, durch die Liebe Gott ähnlich zu werden. Insofern ist die Selbsthingabe kein romantisches Ideal, sondern die Rückkehr zur Wirklichkeit, zum Guten. Und, so Granados, ist „die Vergebung das perfekte Geschenk“.

In einem kleinen Exkurs wies Granados, wie schon ausführlicher zuvor der Alttestamentler Professor Burkard Zapff, dessen Lehrstuhl zusammen mit dem Verein „Knotenpunkt – Begegnung verbindet, e. V.“ die Tagung veranstaltete, darauf hin, dass der Schöpfer in der sich ergänzenden Geschlechtlichkeit von Mann und Frau die Möglichkeit der Selbsthingabe und damit das Sakrament der Ehe in die Schöpfung hineingelegt, sozusagen mitgeschaffen hat. Das Sakrament ist die wahre Wurzel, um den Lebensraum der ebenbürtigen, aber ergänzungsbedürftigen Partner zu gestalten. Dieser Lebensraum Ehe werde durch das Kind transzendiert. Er ist aber auch ohne Kind einzigartig durch die ergänzende Selbsthingabe. In der auf Dauer angelegten Exklusivität und Ergänzung ruht das Geheimnis der Unauflöslichkeit, was zum Beispiel bei gleichgeschlechtlichen Paaren wesentlich nicht gegeben ist, weshalb diese auch keine Ehe weder in christlichem noch anthropologischem Sinn bilden können.

Die „symbiotische Einheit“ und das „befreiende Geschehen der Gemeinschaft von Mann und Frau“ (Burkard Zapff) sind an mehreren Stellen des Alten Testaments als gelungener Lebensentwurf dargestellt. Auch die Vorteile werden beschrieben, etwa die längere Lebensdauer bei Sirach. Heute lassen sich diese Vorteile empirisch nachweisen. Glücklich Verheiratete leben statistisch signifikant länger und gesünder. Deshalb ist nicht zu verstehen, warum die Politik die Ehe nicht deutlich fördert, sondern dem Individualismus und Hedonismus breiten Raum eröffnet. Das würde Unmengen an Kosten ersparen. Freilich geschieht das schon in den Ehen, die ihre Krisen durch Vergebung überwinden.

Vergebung ist der Königsweg

Es ist zweifellos ein Verdienst dieser vierten Tagung, durch die die Vorsitzende von „Knotenpunkt“, Maria Groos, wieder ebenso gekonnt wie freundlich bestimmend führte, dass sie das Thema Vergebung in der Ehe zeitlich und inhaltlich in die Mitte gesetzt hat. In diesem Sinn hielt der Generalabt der Zisterzienser, Pater Mauro-Guiseppe Lepori, einen grandiosen Schlüsselvortrag. Er zog zunächst eine Parallele zwischen Jungfräulichkeit und Ehe: „Beide wurzeln in Gott und haben nur Sinn durch die Hingabe in der Liebe.“ Diese Radikalität – im ursprünglichen Sinn des Wortes radix – münde in der Vergebung „als einzige Möglichkeit, die Unauflöslichkeit auch zur Geltung zu bringen“. Verzeihen sei Hingabe und Bestätigung der Berufung. Die christliche Radikalität bestehe gerade darin, „dass die Treue nicht garantiert, sondern wiederhergestellt werden kann“. Damit taucht der Christ in das Geheimnis der Barmherzigkeit ein, seine Bindung in der Ehe wird sozusagen neu getauft, sie wird Teil der Erlösung, der Mensch wird teilhaftig an der Natur Christi. Was da etwas theologisch-abstrakt daherkommt, erweist sich als eminent lebensnah. Lepori: „Vergebung ist die Hauptstraße, der Königsweg. Sie repariert nicht nur, sondern macht es möglich, dass man die Ehe in Fülle lebt.“ Das ist bei hartherzigen Menschen naturgemäß schwierig. Aber es entspreche ja auch der „eigentlichen Natur unseres Herzens“, milde, mitfühlend, verzeihend zu sein und Fehler der anderen zu entschuldigen. Die christliche Natur kenne überhaupt nur eine Form der Schuld: die Liebesschuld. Lepori zitiert in diesem Sinn Paulus (Kolosser 2, 13).

„In der Dankbarkeit findet die
Vergebung ihre Erfüllung“
Pater Mauro-Guiseppe Lepori

Die Haltung des Christen gegenüber der Liebesschuld sei die Dankbarkeit. Das gelte auch für die große Liebestat der Vergebung. Dankbarkeit tilge diese Schuld. Durch das Verzeihen und Danken wachse die Liebe. Deshalb gelte: „In der Dankbarkeit findet die Vergebung ihre Erfüllung“. Das eigentliche Problem in vielen Ehen sei, so Pater Lepori, nicht das einmalige Verzeihen, sondern dauerhaft Barmherzigkeit zu leben. Verzeihen könne manchmal ein Leben dauern, hieß es in der anschließenden Diskussion. Verzeihen und vergeben sei kein Moment, sondern ein Prozess auf dem Weg der Barmherzigkeit. Der Kirche komme dabei eine besondere Aufgabe zu. Sie müsse begleiten, ihr „Rezept“ sei die Comunio, „weil Liebe Gemeinschaft braucht, weil Dankbarkeit und Barmherzigkeit das Du brauchen“. Die Ehe sei zwar eine Gemeinschaft, aber die Qualität der Liebe komme nicht von selbst, „auch die Ehe braucht das Wort, das unter uns wohnt und die Schönheit der Vergebung und Liebe verkündet“. Nur wenn die Kirche dieses Zeugnis vermittele, bleibe sie die „treue Braut Christi“.

Das ist eine pastorale Aufgabe. Ihr Ansatz ist die Anthropologie. Es ist auch der Ansatz für eine Pastoral der Barmherzigkeit. Es war der frühere Politiker und heutige Kulturphilosoph Professor Rocco Buttiglione, der diesen Ansatz als gemeinsame Basis für die Pastoral von Ehe und Familie der Päpste Johannes Paul II. und Franziskus erläuterte. Unabhängig von „noch offenen Detailfragen“ laute die entscheidende Frage heute: Kann das Naturgesetz im Herzen des Menschen entwurzelt werden? Im Prinzip nicht, meint Buttiglione, der am Edith-Stein-Institut in Granada lehrt, „aber durch eine falsche Erziehung und Bildung kann das doch geschehen. Das Naturgesetz muss wieder zur Gewohnheit werden“. Dann können auch Liebe und Barmherzigkeit in der Gesellschaft wieder stärker zur Geltung kommen.

Davon ist diese Gesellschaft aber weit entfernt und manch einer der rund 280 Teilnehmer im großen Vorlesungssaal der Katholischen Universität mag sich nach solchen Vorträgen und Diskussionen gefragt haben: Kann man so lieben? Und was ist, wenn der Mann oder die Frau ungläubig ist? Die Zeugnisse in den Foren und Seminaren sowie die Fragen im Plenum und selbst die Liebeslieder beim Musikabend oder die Andacht bei der Anbetung am ersten Abend gaben Anlass zu Hoffnung. Eine junge Journalistin aus Rom, deren Mann vor acht Jahren einem aggressiven Krebs erlag und der bis kurz vor dem Tod ungläubig war, berichtete von der „Gnade des Weiterlebens“ nach solch einem Schicksalsschlag. Man müsse Liebe begreifen als „Geschichte, nicht als Moment. Liebe lebt immer, sie lebt in uns.“ Sie lebe heute bewusst und gewollt ehelos. Sie strahlt und man glaubt, dass sie die Fülle der Liebe lebt. Das geht nur, wenn man sich als Geschenk begreift – und die Liebe auch.

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