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Katholische Schulen und Universitäten in Amerika: Den geistlichen Hunger stillen

Wie katholische Schulen und Universitäten in Amerika den Glauben zum Leben lehren.
"Boston College's School of Theology and Ministry" befindet sich in der Trägerschaft der Jesuiten
Foto: IN

Wenn man mit Thomas Groome spricht, ist man gleich in medias res. Kein Wunder, denn der renommierte Professor für Theologie und Religiöse Erziehung an der Boston College's School of Theology and Ministry hält sich nicht lange mit theoretischen Vorüberlegungen auf. Den direkten Zugang zur Materie, in seinem Fall die Vermittlung eines lebendigen Glaubens, ist Groome ein Herzensanliegen. Seine Leidenschaft für einen praktischen Zugang zum Glauben verdankt der Theologe seiner Begegnung mit Paolo Freire.

Von der Glaubenspraxis ausgehen, nicht von Theorie

„Freire ermutigte mich während meiner Dissertation, von der Glaubenspraxis auszugehen, nicht von der Theorie, und den Glauben so für das Leben der Menschen relevant zu machen“, erzählt Groome. Von dem brasilianischen Pädagogen übernahm er das Bild von der Bankkontomethode, die treffend die gegenwärtige Form der Wissensvermittlung an unseren Schulen beschreibt.

In ihr geht es weniger um praktische Erfahrung mit der jeweiligen Materie, als vielmehr um das Auswendiglernen von Fakten, die in Herz, Geist und Seele keine Spuren hinterlassen. Das ist besonders dann schlecht, wenn es um das Fach Religion geht. Fragt man Groome nach seinen Erfahrungen in Amerika, wo er studierte und seit mehr als 40 Jahre lehrt, wird schnell klar: Dort setzte man darauf, dass das Leben aus dem Glauben in Familie und Gemeinde vermittelt wird und die Schule allein für die Fakten zuständig ist.

Eine Situation, die wir aus Deutschland kennen. Und genau wie bei uns funktionierte dies auch in Amerika nicht, weil das Glaubensleben in Familien und Gemeinden zu schwach war und es sich klar herausstellte, dass ein ausschließlich auf Faktenvermittlung basierender Zugang gemäß der Bannkontomethode, bei der immer mehr Fakten auf dem intellektuellen Konto gelagert werden, zum Scheitern verurteilt ist. Groome war schon früh überzeugt, dass Religionsunterricht nur Sinn macht, wenn er mit persönlicher Auseinandersetzung, Bewusstseinsbildung und einer positiven Entscheidung für die Nachfolge Jesu verbunden ist. Und er blieb nicht beim bloßen Nachdenken, er hatte einen konkreten Plan. „Ich ging zum Leiter meiner Abteilung, einem Jesuiten – das ist jetzt etwas 35 Jahre her – und sagt zu ihm: Ich möchte einen Kurs über Katholizismus anbieten. Er antwortete: Nein, nein, so etwas können Sie nicht lehren. Ich erwiderte, doch, ich will das im ersten und zweiten Semester unterrichten. Schließlich sagte er: Nun, wenn Sie 35 Studenten dazu bringen können, sich für diesen Kurs anzumelden, haben Sie meine Erlaubnis. Aber ich glaube nicht, dass Sie so viele bekommen werden. Aber schon am ersten Tag, an dem die Registrierung möglich war, hatten 1400 Studenten versucht, sich für den Kurs einzuschreiben. Das war wirklich erstaunlich. Ich bekam einen großen Hörsaal, Assistenten und wir konnten 200 Studenten unterrichten. Und wir haben festgestellt: Entgegen den Befürchtungen gibt es einen Weg, das Leben der Menschen durch den Glauben zu bereichern, ohne Gehirnwäsche zu betreiben.“

Glaubensvermittlung unter Verdacht

Was Groome hier so dezidiert anspricht ist das Kernproblem in der Glaubensvermittlung nicht nur in Amerika, sondern auch hierzulande. Wer begeistert von seinem Glauben spricht, gerät schnell in den Verdacht, andere beeinflussen, ihnen ihre Freiheit nehmen zu wollen. Aber Groome sagt, das Gegenteil ist der Fall. „Wir machen keine Proselyten“, betont er. Er ermutigt seine muslimischen, jüdischen oder hinduistischen Studenten, vom katholischen Glauben zu lernen, bessere Muslime, Juden oder Hindus zu werden. Seine katholischen Studenten aber lädt er ein, den Glauben leben zu lernen.

Und wie funktioniert das praktisch? Groome nennt seine Methode pädagogische Bewegungen eines „Leben zum Glauben“-Ansatzes. Er hat ein Curriculum entwickelt, das sich rund um die Themen Leben und Glauben entfaltet. Der erste Schritt auf diesem Lernweg ist, anhand eines Themas wie beispielsweise dem der Liebe die Verbindung zum eigenen Leben zu knüpfen. Groome erklärt, aufbauend auf einem Beispiel aus seiner eigenen Unterrichtspraxis, wie das funktioniert.

Ausgehend von einem Lied oder einem Podcast erkennen die Studenten die Relevanz des Themas in ihrem Leben, reflektieren, was Liebe ist, wie sie sich ausdrückt, warum sie sie brauchen und erkunden den sozialen Kontext ihres je eigenen Verständnisses von Liebe. Und da, wo in Deutschland der Unterricht an dieser Stelle in der Regel schon zu Ende ist, fängt er in Amerika erst richtig an. Denn nun geht es um die von Gott als dreieinige Liebe ausgehende Kraft und die Bedeutung dessen, dass wir als Menschen nach seinem Abbild geschaffen sind. Und dann kommt jener Punkt, von dem man hierzulande kaum zu träumen wagt.

Entscheidungen für das Leben treffen

Bei ihm geht es um die konkrete Überlegung, wie die Lernenden das, was ihnen über den Glauben vermittelt worden ist, konkret in ihr Leben integrieren können. Diese dialektische Hermeneutik ist ausdrücklich offen für unterschiedliche Grade des Engagements. Deshalb kann sie auch Menschen anderer Religionen einbeziehen und inspirieren. Aber bereits die Zielrichtung, das Lernen vom Glauben in ein den Glauben leben zu verwandeln macht den entscheidenden Unterschied. Der fünfte und letzte Schritt des von Groome entwickelten Curriculums schließlich ist der, den man hierzulande nicht zu denken wagt. Denn bei Movement 5 geht es darum, im Licht des Glaubens Entscheidungen hinsichtlich des eigenen Lebensweges zu treffen. Jenseits der „Wir-sind-für-alles-offen-Beliebigkeit“ werden die Teilnehmer des Unterrichtes eingeladen, sich in bewusster Entschiedenheit zu der Wahrheit, den Werten und der spirituellen Weisheit des christlichen Glaubens zu verhalten. Dabei unterscheidet Groome – mehrere Zugänge auf den unterschiedlichen Ebenen menschlichen Seins öffnend – zwischen erkenntnisgeleiteten, affektiven oder an bestimmten Verhaltensmustern orientierten Wegen, die jeweils auf ihre Weise formend auf den Glauben der Studenten, auf ihre Beziehung zu Gott und anderen oder die Werte, nach denen sie leben, wirken können.

Die Geschichte der Glaubensvermittlung kennen

Dass Groome mit seinem Projekt der Glaubensvermittlung an Universitäten und Schulen so erfolgreich ist – seine mehr als zehn Bücher wurden ins Spanische, Portugiesische, Schwedische und einige asiatische Sprachen wie Koreanisch oder Mandarin übersetzt – hat auch damit zu tun, dass der Theologe sich mit der Geschichte der Glaubensvermittlung so gut auskennt. Er zeichnet in seinen Buchpublikationen und Essays nach, wie die Diskussionen rund um das Thema Bildung im Laufe der Jahrhunderte der Kirchengeschichte verliefen. Von Tertullian, der überzeugt war, dass das (himmlische) Jerusalem das auf heidnische Weise gebildete Athen nicht brauche, über Clemens von Alexandrien, der Jesus als den großen Erzieher darstellt, der Körper, Geist und Seele lehrte, über die benediktinischen und keltischen Klostergemeinschaften, die Kathedralen und ihre Schulen bis zu Gründung der Universitäten und dem Bruch zwischen kirchlicher und staatlicher Erziehung im Zuge der Reformation verdeutlicht er die jeweils unterschiedlichen Schwerpunkte. Dabei wird klar, dass der Graben, der sich mit der Reformation öffnete, durch die Aufklärung tiefer wurde und heute seine bislang größte Breite erreicht hat.

Zugleich aber konstatiert Groome einen Wendepunkt. „Es gibt ein Bedürfnis nach mehr Spiritualität“, betont er „und wir haben in der Kirche Schätze anzubieten, um den geistlichen Hunger und Durst zu stillen.“

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