„Herr Hitler, wer hat sie gewählt?“

Der Kapuziner Ingbert Naab hat früh und klarsichtig Opposition gegen die NSDAP betrieben – Vor 75 Jahren gestorben

Dahn (DT) Als er am 28. März 1935 im Straßburger Exil starb, höhnte der „Völkische Beobachter“ über diesen „Tod eines Vergessenen“: „Ingbert Naab ging uns längst nichts mehr an.“ Das Parteiorgan der Nationalsozialisten fuhr fort: „Es interessiert heute niemanden mehr, wenn dieser oder jener geistige oder politische Emigrant stirbt. Es stört aber jeden anständigen Deutschen, wenn jemand hergeht und aus Mangel an Charakter und aus angewöhnter dummfauler Pietät gerne Vergessenen und Verdienstlosen Nekrologe und Lobsprüche widmet.“

Dies war auch als Drohung gegenüber der noch existierenden katholischen und bürgerlichen Presse zu verstehen. Sie durfte nur mit wenigen Zeilen über den Tod Naabs berichten und nicht einmal erwähnen, dass er als Gegner Hitlers schon vor 1933 in ganz Deutschland bekannt geworden war.

Jetzt, zu seinem 75. Todestag, ist der Kapuziner tatsächlich weithin in Vergessenheit geraten. Die letzten Zeitzeugen, die ihn noch persönlich kannten, sind abgetreten. Dennoch irrt der gehässige Kommentar des „Völkischen Beobachters“, jedenfalls hat die Lebensgeschichte des aufrechten Paters nicht allein dem Historiker noch etwas zu sagen.

Naab kam am 5. November 1885, also vor 125 Jahren im südwestpfälzischen Dahn rund 35 Kilometer von Kaiserslautern entfernt auf die Welt, erhielt die Vornamen Karl Borromäus und wuchs in einer christlichen Lebenswelt auf. Sein Geburts- und Elternhaus steht noch mitten im Ort in der Nähe der Pfarrkirche, „in der ich getauft wurde, in der ich zum ersten Mal gebeichtet und kommuniziert habe, in der ich so viele Stunden stiller, feierlicher und poesievoller Andacht verbrachte“, wie er rückblickend schrieb. Der Vater war Landwirt, die Mutter übte prägenden Einfluss aus: „Was sie mir an Religion gab, das war mehr als ich jemals später im Leben empfangen habe (...). Sie hat mir auch als Ordensmann und Priester mehr gegeben als die ganze Theologie.“

Pater Naabs Briefe an Eltern und Geschwister wiedergefunden

Nach sechs Jahren Volksschule wechselte Karl Naab 1898 auf das Gymnasium und bischöfliche Konvikt in die alte Kaiser- und Domstadt Speyer am Rhein. Er besucht gelegentlich das Kapuzinerkloster Königshofen bei Straßburg im damaligen Reichsland Elsass-Lothringen. Dadurch inspiriert, trat er 1902 mit 17 Jahren bei den Kapuzinern in Burghausen (Oberbayern) ein. Seinen Ordensnamen „Ingbert“ erhielt er nach dem Stadtheiligen von St. Ingbert, das seinerzeit zur bayerischen Rheinpfalz gehörte und inzwischen im Saarland liegt.

Eine Krankheit zwang ihn 1904 zur Rückkehr nach Speyer, wo er ein mittelprächtiges Abitur ablegte. 1906 nahm er das Studium an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Eichstätt auf. Dort im Dom wurde er 1910 zum Priester geweiht. Nach kurzen Stationen in Laufen an der Salzach, in Rom und Neuötting kam Naab 1913 nach Altötting, der Hochburg der Kapuziner. Den Kontakt zur pfälzischen Heimat hielt er durch – jüngst wieder aufgetauchte – Briefe an seine Eltern und die drei älteren Geschwister. Eindrucksvoll und aussagekräftig, was seinen menschlichen Charakter, die tiefe Frömmigkeit und Glaubenskraft angeht, ist der Abschiedsbrief an seinen todkranken Bruder Leonhard vom 28. März 1913: „Liebster Bruder! Deinen lieben Brief habe ich erhalten und dann sofort für dich einen Heiligen Kreuzweg gebetet. Am Weißen Sonntag werde ich die Heilige Messe für dich lesen. Wie der liebe Gott will, so wollen auch wir. Du kannst getrost die Reise in die Ewigkeit antreten, denn du hast ein verdienstreiches Leben hinter dir. Deine langjährige Krankheit hast du mit aller Geduld ertragen und der liebe Gott wird dir deshalb auch gnädig sein. Opfere ihm nur vertrauensvoll alle Schmerzen deiner schweren Krankheit auf zur Buße für alle Sünden deines ganzen Lebens. Ich werde viel, recht viel für dich beten. Aber eine Bitte habe ich noch an dich. Wenn du einmal beim lieben Gott im Himmel bist, dann bete recht für mich, dass ich als braver Priester und Ordensmann lebe und sterbe. Bete, dass mein priesterliches Wirken gesegnet sei.“

Am Ende heißt es: „Empfange meinen Gruß, liebster Bruder, vielleicht den letzten, den ich dir senden kann. Habe ich dir irgendeinmal wehgetan, so bitte ich dich recht um Verzeihung. Vergiss mich nicht! In herzlichster Liebe, dein Bruder P. Ingbert.“

Während des Ersten Weltkriegs kehrte der Pfälzer noch einmal ins Bistum Speyer zurück, von seinen Oberen nach St. Ingbert versetzt. Hier verfasste Naab sein erstes Buch „Der Gymnasiast“. Unterdessen entdeckte er zunehmend die Jugendseelsorge für sich. Nach Stationen in Regensburg und Passau fand der Kapuziner schließlich in Eichstätt seine zweite Heimat. Das alte Bistumsstädtchen im Altmühltal mag Naab an seine vertrauten Berge und Wälder um Dahn erinnert haben. Seiner Herkunft aus der Provinz blieb er verbunden: „Alle unsere Gesetze sind jetzt auf die Großstadt zugeschnitten und treiben der Großstadt zu“, bemängelte er einmal.

Der Kapuziner veröffentlichte 1931: „Ist Hitler ein Christ?“

1924 gründete der Geistliche eine eigene Zeitschrift mit dem Titel „Der Weg“, ein Monatsblatt für katholische Studenten und Oberschüler. Seit 1921 leitete er die Marianische Kongregation in Bayern; 1928 wählte man ihn zum Reichspräses der deutschen Studentenkongregationen. Erstaunlich treffsicher warnte er vor der NS-Ideologie. Der Vorkämpfer gegen die braune Bewegung setzte sich bereits seit 1923, als Adolf Hitler in München mit einem Putsch scheiterte, kritisch mit dem Rassendogma und dem Programm der noch sektenhaft kleinen NSDAP auseinander. Nach dem Verständnis Naabs ließen sich deren ersatzreligiöse Vorstellungen nicht mit dem Christentum und der allgemeinen Ethik vereinbaren. Hitlers „Mein Kampf“ bezeichnete er früh hellsichtig als „Handbuch der Demagogie“.

Anfang 1931, als die Weimarer Demokratie schon heftig kriselte, veröffentlichte Pater Ingbert die Streitschrift „Ist Hitler ein Christ?“, eine Anklage gegen den politischen Extremismus. Die letzten Sätze geben sein Credo wider, gerichtet gegen jeden Totalitarismus von rechts und links: „Wir wollen ein freies Deutschland, das sich in seinem Innern reinigt von aller Zersetzung, von jeglichem Schmutz und jeder Form des Kulturbolschewismus, das nach außen seine Würde zu wahren weiß, einen Hort der Gerechtigkeit und des Friedens, ein Vaterland, auf das wir mit Recht stolz sein können.“

Die braune Flut aber stieg weiter an. Bei der Wahl zum Reichspräsidenten 1932 erhielt Hitler über elf Millionen Stimmen. Dadurch verfehlte Amtsinhaber Hindenburg die absolute Mehrheit. Der greise Feldmarschall erschien als letzte Hoffnung der demokratischen Strömungen, von der katholischen Zentrumspartei über die Liberalen bis zur SPD. Vor dem zweiten Wahlgang mobilisierte Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrum) noch einmal erfolgreich alle Kräfte der Mitte gegen eine Machtübernahme Hitlers.

Zu diesem letzten Sieg der Republik trug Naab auf spektakuläre Weise bei. Der Pater veröffentlichte am 20. März einen offenen Brief an Hitler als Sonderdruck in einer Auflage von 1,5 Millionen Exemplaren. Durch den Nachdruck in zahlreichen deutschen Zeitungen erreichte diese eindringliche Botschaft eine große Resonanz.

„Herr Hitler, wer hat sie gewählt?“, fragte der Autor und gab gleich einige Antworten: „Leute mit antirömischem Affekt, die Masse der Suggerierten, die wirtschaftlich Zusammenbrechenden, die Stellenjäger und zukünftigen Parteibuchbeamten, eine Masse unreifer junger Menschen und auch eine gute Zahl Idealisten.“ Die Forderung des „Führers“, ihm zwölf Jahre Zeit zu geben, kommentierte Naab bitter ironisch und klarsichtig: „Ja, gebt ihm zwölf Jahre Zeit und er wird Deutschland zerstören, dass Ihr es nicht mehr kennt.“

Der offene Brief, eine journalistische Meisterleistung, erschien zuerst in der Zeitung „Der gerade Weg“, die Naab gemeinsam mit dem Herausgeber, seinem Mitstreiter Fritz Gerlich, zu einem Kampfblatt gegen die Hitlerbewegung machte. Gerlich und Naab boten den Nationalsozialisten damit ausgerechnet in München die Stirn, das die NS-Propaganda zur „Hauptstadt der Bewegung“ stilisierte. Das Leitmedium eines entschiedenen Katholizismus wurde vom Münchener Kardinal Michael Faulhaber auch gegen innerkatholische Bedenkenträger verteidigt. Zu den Abonnenten der Zeitung gehörte auch eine Familie namens Ratzinger in Oberbayern, wie Papst Benedikt XVI. in dem Gesprächsband „Salz der Erde“ berichtet. „Ich kann mich noch an die Karikaturen gegen Hitler erinnern“, so der Papst, Jahrgang 1927, über das „antinazistische Blatt“.

Naab formulierte im „Geraden Weg“ zur Reichstagswahl im Juli 1932 den folgenden Aufruf: „Der Nationalsozialismus ist eine Pest! Dem Krieg des Mittelalters folgte die Pest als eine Geißel der Menschheit. Aber diesem Krieg (der Erste Weltkrieg 1914–18, Anm. d. Red.), den wir alle erlebt und gefühlt haben und dessen Spuren und Folgen Revolution, Inflation, Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit heißen, folgte eine geistige Pest: der Nationalsozialismus. Die Übel, unter welchen die Völker leiden, können allein geheilt werden durch Verständigung, Versöhnung, Abrüstung und Frieden. Nationalsozialismus aber bedeutet: Feindschaft mit den benachbarten Nationen, Gewaltherrschaft im Innern, Bürgerkrieg, Völkerkrieg. Nationalsozialismus heißt: Lüge, Hass, Brudermord und grenzenlose Not.“

Aufgrund solcher Zeugnisse bezeichnet der Publizist Karl Grüner ihn als „Hitlers schärften Kritiker“. Die Nationalsozialisten erklärten Gerlich und Naab zu Todfeinden. Hitler wollte ihre verhasste „rabenschwarze“ Zeitung schon vor 1933 ausschalten, indem er die Druckerei in der Münchener Schellingstraße erpresste, in der auch der „Völkische Beobachter“ produziert wurde. „Der gerade Weg“ musste zu einem anderen Betrieb wechseln, blieb jedoch bis zum bitteren Ende unerschrocken.

Der Pater ahnte, worauf er sich mit seinen scharfzüngigen und scharfsinnigen Warnungen vor der Diktatur einließ: „In unserem Kampf für die Wahrheit haben wir das Beispiel der Propheten vor Augen. Ihre Aufgabe war es, in Zeiten größter Katastrophen sich mit unbeugsamem Mut vor Land und Volk hinzustellen (...) Die Propheten laufen nie mit der Mehrheit. Sie bekommen im Gegenteil das Geschick der Vereinsamung furchtbar bitter zu spüren (...) Die Propheten aber müssen den geraden Weg weitergehen ohne Rücksicht auf Zustimmung oder Ablehnung.“

Abenteuerliche Flucht unter dem Tarnnamen „Pater Peregrinus“

Nach der Machtübernahme 1933 schalteten die neuen Herren ihre alten Gegner gnadenlos aus. „Frater Ingbert von Dahn“, der Mahner wider den Zeitgeist, musste vor dem Terrorregime flüchten. Sein Freund Gerlich wurde verhaftet, übel zugerichtet und nach dem „Röhm-Putsch“ 1934 im Konzentrationslager Dachau ermordet. Er hatte sich 1931 von Naab katholisch taufen und von Faulhaber firmen lassen.

Naab trat unter dem Tarnnamen „Pater Peregrinus“ eine Odyssee über die Schweiz, Österreich, die Tschechoslowakei und Rom nach Frankreich an. Das internationale Netzwerk der Kirche bot ihm Schutz, aber seine Gesundheit war ruiniert. Am Ende seiner Lebensreise suchte er 1934 Zuflucht in jenem Kloster Königshofen im Elsass, das einst Ausgangspunkt seiner Berufung gewesen war. Am 28. März 1935 starb er, keine 50 Jahre alt, in einem Straßburger Krankenhaus. Auf dem Klosterfriedhof wurde er beerdigt.

1953, also 20 Jahre nach der Flucht, überführte man seinen Sarg unter riesiger Anteilnahme der Bevölkerung nach Eichstätt. Oberbürgermeister Hans Hutter, ein Schüler Naabs aus der Marianischen Kongregation, arrangierte diese „Heimkehr“. Die offiziellen Trauergäste führte der bayerische Landtagspräsident und ehemalige Dachau-Häftling Alois Hundhammer an. In der Tradition des Widerstands hatte Josef Müller, der legendäre „Ochsen-Sepp“, nach dem Krieg der CSU-Zeitung zunächst den Namen „Der gerade Weg“ gegeben. Daraus ging der „Bayernkurier“ hervor.

Was bleibt von Ingbert Naab? Er hat seine Landsleute rechtzeitig vor der Barbarei gewarnt. Das Zeugnis und Charisma des selbstlosen Paters verdienen einen Platz in der Erinnerung. Gescheitert ist er nur in jenem Sinn, wie nach ihm der deutsche Widerstand überhaupt, wie Graf Stauffenberg, Sophie Scholl oder Dietrich Bonhoeffer.

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