Wir ahnten es, wir befürchteten es und wir ersehnten es vielleicht sogar ein bisschen – nun haben wir es Schwarz auf Weiß und statistisch gesichert: Das Christentum ist fast überall in Europa auf dem Weg zu einer Minderheitenreligion!
Das ist nämlich, passend zur Kar- und Osterzeit, das Ergebnis einer aktuellen Studie der Londoner St. Mary's University über die religiösen Einstellungen junger Erwachsener in 21 europäischen Ländern. Und die gute Nachricht? Zur Resignation besteht aus Qualitätsgesichtspunkten überhaupt kein Grund.
In das Presseecho zu dieser Studie mischen sich schließlich unerwartet konstruktive Töne. So argumentiert Peter Ormerod im liberalen „Guardian“, es könne dem Christentum nur gut tun, nicht mehr die gesellschaftlich-kulturelle „Normalität“ zu verkörpern. Viel zu lange, so Ormerod, hätten Christen im Westen sich bemüht, so zu tun, als sei Christsein nichts Besonderes; die Kirchen hätten sich als „schwachen Abklatsch“ ihrer säkularen Umwelt dargestellt, „mit etwas schlechterem Kaffee und etwas schlechterer Musik“. Stattdessen täten Christen gut daran, sich auf die fundamentale Andersartigkeit ihres Glaubens gegenüber der säkularen Welt zu besinnen – auf das, was am Christentum „fremd, sonderbar, mysteriös“ sei.
Es sollte eigentlich auf der Hand liegen, dass ein Christentum, das seine Differenz gegenüber der nichtchristlichen Welt eher herunterspielt, auf Außenstehende kaum anziehend wirken kann. Vermittelt der Christ dem Nichtchristen „Eigentlich bin ich gar nicht anders als du“, ist es kein Wunder, wenn der daraus den Schluss zieht, „dann kann ich ja auch so bleiben, wie ich bin“.
Hinzu kommt, dass eine atheistische oder religiös indifferente Umwelt den Christen ihren Anspruch auf „Normalität“ ohnehin nicht abkauft. An einem Ort wie Berlin, wo nur noch rund 27 Prozent der Bevölkerung einer christlichen Konfession angehören – gut ein Drittel davon der katholischen Kirche –, wird dieser Umstand womöglich besonders deutlich: Während andernorts eine große Zahl nomineller, aber nicht (mehr) praktizierender Kirchenmitglieder eine Art kulturelle Brückenfunktion einnehmen kann, ist hier sogar die Erinnerung an eine frühere christliche Prägung der Gesellschaft weitgehend geschwunden.
Zu beobachten war dies jüngst anlässlich einer Prozession im Rahmen des Diözesanen Weltjugendtags am Vorabend des Palmsonntags. Die recht überschaubare Gruppe von gut 100 Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die, Palmzweige tragend und lauthals „Hosanna“ singend, von Schöneberg nach Kreuzberg zog, wurde von den Straßenrändern her mit einer Mischung aus Befremden und Belustigung angestaunt, als handle es sich um eine obskure Sekte.
Aber auch im Alltag wird es angesichts der rapide schwindenden Religiosität in Europa immer wahrscheinlicher, dass gläubige Christen am Arbeitsplatz oder im Privatleben auf Menschen treffen, denen ihr Glaube vollkommen fremd ist. Das missionarische Potenzial solcher Begegnungen sollte man nicht unterschätzen. – Gewiss: Wo eine gleichgültige bis feindselige Haltung gegenüber allem Religiösen die gesellschaftliche Norm ist, werden Christen unvermeidlich als „sonderbar“ wahrgenommen. Aber im Grunde ist das etwas Gutes. Das Wort „sonderbar“ bedeutet schließlich nichts anderes als „unterscheidbar“; und ein Christ, der sich von seiner nichtchristlichen Umgebung nicht unterscheidet, macht offensichtlich etwas falsch.