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Hans Baluschek: Von der Bildwürde der Bedürftigen

Ein Künstler, der an die Ränder der Gesellschaft ging: Vor 150 Jahren wurde der sozialkritische Maler Hans Baluschek geboren.
"Kohlenfuhren" von Hans Baluschek
Foto: Museum | "Kohlenfuhren" (1901): In nüchterner Beobachtung malte Hans Baluschek die Mühsal der Bürger.

Bilder Hans Baluscheks kennt fast jedes Kind. Nämlich all die, welche seine fantasievollen Farbillustrationen zu dem von Gerdt von Bassewitz verfassten Kinderbuch-Klassiker „Peterchens Mondfahrt“ (1919) betrachtet haben. Fans von Lokomotiven wiederum halten ihn für einen der besten Eisenbahn-Maler. Für die Anhänger der sozialkritischen Kunst ist er eine Institution.

Der Maler, Zeichner und Illustrator wurde am 9. Mai 1870 in Breslau geboren. Mit 19 Jahren ließ er sich in Berlin nieder, genauer in Schöneberg, das bis zum Lebensende seine Wirkungsstätte blieb. Er äußerte: „Was mich um mich herum irgendwie berührt, ergreift, packt, erschüttert, gibt mir die Impulse zu meinen Bildern.“ Baluscheks Verdienst besteht darin, den unteren sozialen Schichten und „Randexistenzen“ wie Obdachlosen, Geisteskranken, Trinkern und Prostituierten zu Bildwürde verholfen zu haben. Auf seinem Bild „Eisenbahner-Feierabend“ (1895) läuft ein beidseitig mit Bretterwänden befestigter Weg wie ein Kanal auf uns zu. Er „spült“ uns Eisenbahner entgegen, die von ihren Frauen und Kindern abgeholt werden. Wir sehen in viele müde, etwas stumpf oder auch nachdenklich dreinblickende Gesichter. Ernst schaut uns die größere der beiden Töchter des vorneweg laufenden Eisenbahners an. Ein beunruhigendes „Idyll“ malt uns Baluschek in einem anderen Bild aus. Der Vollmond steht in lauer Nacht über einem Park. Die „Obdachlosen“ (1919), so der Bildtitel, sitzen oder liegen verkrümmt auf den Parkbänken und schlafen. Nur eine Frau hat die Augen offen und hält sich aufrecht.

Zur Entstehungszeit von Baluscheks „Obdachlosen“ hatte Kaiser Wilhelm II. bereits abgedankt. Er war ein Verfechter der „Schönheit“ in der Kunst. In seiner berühmten „Rinnsteinrede“ anlässlich der Einweihung der Berliner „Siegesallee“ 1901 tat er kund: „Wenn nun die Kunst, wie es jetzt vielfach geschieht, weiter nichts tut, als das Elend noch scheußlicher hinzustellen, wie es schon ist, dann versündigt sie sich am deutschen Volke.“ Die Kunst solle die Menschen erheben, „statt dass sie in den Rinnstein niedersteigt“. Wie viele weitere Künstler war da aber auch Baluschek anderer Meinung: „Armut, Not, Verkommenheit, Laster materialisierte ich – wenn auch nur zweidimensional. Ich fühle mich als das Instrument des Gottes, der den bedürftigen Menschen, die ich erleben muss, wohl will.“ Er kreierte sogar die „Muse“ der Rinnsteinkunst. Nackt und mit zerzaustem Haar sitzt sie am Stadtrand auf einem Bordstein. Seine Federzeichnung ist auf den Einbänden der von Hans Ostwald herausgegebenen Textsammlung „Lieder aus dem Rinnstein“ (Drei Bände, 1903–1906) abgedruckt.

Trotz „Berliner Realismus“ ein optimistischer Maler

Mit Käthe Kollwitz und Heinrich Zille bildete Hans Baluschek das Dreigestirn des sozialkritischen Berliner Realismus. Aber seine Bilder haben weder den deftigen Humor von Zilles Arbeiten, noch tragen sie so dick auf, wie Käthe Kollwitz es absichtsvoll tat. Nüchterne Beobachtungen bilden die Grundlage seiner Kompositionen. In ihnen sind Bildgeschichten angelegt, die sich der Betrachter dann selbst zusammenreimen soll. Viele Szenen sind sehr ausschnitthaft dargestellt. Einige Akteure scheinen aus der Wirklichkeit ins Bild zu laufen. Andere verschwinden aus ihm zurück in die Wirklichkeit. In „Heimkehr“ (1899) läuft ein Paar von rechts ins Bild. Der Mann schreitet vor-an, die hinterdrein gehende Frau hat es nicht mal bis zur Hälfte ins Bild geschafft. Es herrscht Abenddämmerung. Der regennasse Weg führt an einem Kornfeld vorbei, dahinter erheben sich Häuser mit beleuchteten Fenstern. Was die beiden auch immer unternommen haben mögen: Gute Laune hat es ihnen nicht verschafft. Obwohl noch jung, gehen sie gebeugt und der Missmut steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Aber immerhin: Sie hält einen Strauß blauer Blumen in der Linken. Ist das ein Sinnbild der Hoffnung auf bessere Tage?

Der im Kaiserreich argwöhnisch beäugte Baluschek war in der Weimarer Republik ein angesehener Künstler. Nach der Machtaneignung der Nazis 1933 zog sich der Vater zweier Töchter weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück. Ins Reich der Legenden gehört jedoch die Behauptung, die Nazis hätten ihn als marxistischen, kulturpolitisch unzuverlässigen Künstler verfemt. Seine Arbeiten waren weiterhin auf Sonderausstellungen zu sehen und keines seiner Werke wurde als „entartet“ aus einer öffentlichen Sammlung entfernt.

Auf einer ganzen Reihe von Bildern feiert Baluschek den technischen Fortschritt. Über Maschinen im Allgemeinen und Lokomotiven im Besonderen äußerte er: „Für mich sind sie positive Schönheit – und da werde ich auch positiv, wenn ich sie darstelle.“ Bevor er 1935 an einem Nierenleiden starb, schloss er seinen letzten Auftrag ab. Den hatte ihm das Reichsbahn-Werbeamt anlässlich der Ausstellung „100 Jahre Deutsche Eisenbahnen“ erteilt, die von Juli bis September 1935 in Nürnberg lief. Die zugehörige Broschüre stattete Baluschek mit Federzeichnungen sowie seinem auf der Titelseite abgedruckten Eisenbahn-Gemälde „Über den Dächern“ (1934) aus.

Sonderschau zum 150. Geburtstag Hans Baluscheks: Unter dem Titel „Zu wenig Parfüm, zu viel Pfütze“ hat das Berliner Bröhan-Museum zu Ehren Hans Baluscheks eine Ausstellung vorbereitet, die 100 Werke des Künstlers umfasst. Wegen der Pandemie ist Sonderschau auf der Homepage: www.broehan-museum.de. Aber für den 12. Mai ist die Wiedereröffnung des Hauses angekündigt. Bis 27.9.2020 im Bröhan-Museum, Schloßstraße 1a, Berlin.

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