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Unsinnliche Schatten

Der säkularisierte Jedermann: In Salzburg wurde der religiöse Bezug des Festspielklassikers auf ein. Minimum reduziert – Vor den Dom gehört das nicht. Von Oliver Maksan
Salzburger Festspiele 2017 - Jedermann - Fotoprobe
Foto: dpa | Man hätte auch den ganzen „Jedermann“ vor dem Absturz bewahren sollen; Stefanie Reinsperger als „Buhlschaft“, Tobias Moretti als „Jedermann“ (Mitte) und Hanno Koffler als ...

Der Jedermann: Das ist das pochende Herz der Salzburger Festspiele, Klassiker und verlässlich sprudelnde Einnahmequelle in einem. Generationen von Theaterkritikern haben sich verwundert die Augen gerieben und die Nasen darüber gerümpft, wie der – so heißt es in Kritiken dann gern – „weihrauchgeschwängerte“ Stoff das Publikum Jahr um Jahr fasziniert. Und tatsächlich ist das bewusst holzschnittartige, knittelreimende Spiel vom Sterben des reichen Mannes eine zu Herzen gehende Predigt, ein barock-sinnliches Memento mori, das durch radikale Altertümlichkeit Zeitlosigkeit erzeugen will.

Salzburgs Erzbischof soll 1920 bei der Premiere vor dem Dom Tränen der Rührung vergossen haben. Damit hatte Uraufführungsregisseur Max Reinhardt erreicht, was seine künstlerische Idee war: Theater als festliches Spiel, das zu seinem Gelingen der Wechselwirkung mit dem Publikum bedarf. Jenes pochende Herz nun hat seit dem Premierenwochenende vielleicht nicht aufgehört zu schlagen. Aber es ist nur noch ein Schatten seiner selbst, auf schnelle Reanimation durch eine neue Regie hoffend. Wo die britischen Regisseure Brian Mertes und Julian Crouch im vergangenen Jahr noch ein Feuerwerk der Kreativität auf die spektakuläre Kulisse der Domstadt hatten niedergehen lassen, führte der handwerklich eigentlich leicht zum Leben zu erweckende künstlich-volkstümliche Stoff dieses Jahr ein blasses, unsinnliches Schattendasein.

Stoff und Regisseur: Da sind sich offenbar zwei begegnet, die einander besser nie getroffen hätten, weiß doch der eine so wenig mit dem anderen anzufangen wie der andere. Regisseur Michael Sturminger hatte sich zuvor in einem Interview dazu bekannt, mit der Idee eines persönlichen Gottes nichts anzufangen zu wissen. Eigentlich ist das nicht zwangsläufig ein Hindernis, den Jedermann Hofmannsthals Originalintention nach zu inszenieren: „Sein eigentlicher Kern offenbarte sich immer mehr als menschlich absolut, keiner bestimmten Zeit angehörig, nicht einmal mit dem christlichen Dogma unlöslich verbunden: nur dass dem Menschen ein unbedingtes Streben nah dem Höheren, Höchsten dann entscheidend zu Hilfe kommen muss, wenn sich alle irdischen Treu- und Besitzverhältnisse als scheinhaft und löslich erweisen, ist hier in allegorisch-dramatische Form gebracht, und was gäbe es Näheres auch für uns?“ Doch wo Hofmannsthal bewusst auf die seelenaufwühlende Wirkung des großen Mysterienspiels setzte, führte Sturminger psychologische Subtilität ein – und scheiterte leise. Der Prolog im Himmel, wo Gott der Herr dem Tod befiehlt, den jenseitsvergessenen Prasser Jedermann zu holen, wurde kurzerhand vom Beginn an eine andere Stelle verlegt und auf das dramaturgische Minimum reduziert. Damit war das Stück aber von Anfang an auf einer abschüssigen Ebene. Es fand nicht im Horizont des Ewigen statt. An die Stelle der Theologie trat die Psychologie. Aus ewigem Weltentheater wurde zeitgeistige Seelenschau. Gewiss, das Stück leuchtet aus, was aus einem Leben wird, das plötzlich mit dem Tod konfrontiert wird. Aber ohne Transzendenz fehlt ihm Sinn und Richtung. Hofmannsthal ist nicht Ibsen.

Dass es überhaupt zur Neuinszenierung kam, liegt am neuen Hauptdarsteller. Tobias Moretti soll im Bewusstsein seines Starstatus derart in die Inszenierung der Briten eingegriffen haben, dass diese entnervt hinwarfen. Kaum drei Monate vor der Premiere wurde deshalb eine Neuinszenierung fällig. Diese blieb mit ihrer säkularisierenden Absicht dann aber auf halber Strecke zwischen Salzburg und deutschen Regietheaterbühnen stehen. Heraus kam ein dröger Abend. Die kathartische Wirkung des Stücks: Fehlanzeige. Das heißt nicht, dass es nicht den ein oder anderen gelungenen Regieeinfall gab. Die Tafel der Prasser etwa war aus Gips gefertigt – und zerschellte krachend, als die Bühne zur abschüssigen Ebene wurde. Kein diesseitiges Halten war da mehr für den Jedermann. Keiner seiner Zechgesellen mochte ihn auf die letzte Reise begleiten, auch die Buhlschaft nicht. Diese aber war nun trotz Stefanie Reinspergers Üppigkeit so konturenlos wie der Rest. Wie sollte es auch anders sein, da sie nach Auskunft des Regisseurs ein „autonomes und emanzipiertes“ Wesen sein musste. Vollends triumphierte der Zeitgeist dann aber in Jedermanns Werken. Mavie Hörbiger isolierte sich vom Jedermann in selbstgenügsam exaltiertem Spiel.

Die Entscheidung, die Schauspielerin zeitgenössische Kostüme (Kostüme und Bühne von Renate Martin und Andreas Donhauser) zu stecken, war aufgrund der beabsichtigten Distanzierung der Neuinszenierung von ihren Vorgängern natürlich unvermeidlich, vermochte von der Buhlschaft abgesehen aber an keiner Stelle zu überzeugen. Zusammen mit den Neonröhren des Bühnenaufbaus und eingespielter Videoelemente – die durften natürlich nicht fehlen – wurde daraus die konventionelle Ästhetik zeitgenössischer deutscher Bühnen. Bühnenbild und der erstmals eingesetzte Vorhang dienten so nicht der Illusionierung des Publikums, sondern der Distanzierung vom Stück.

Dass es das Wetter am Wochenende nicht gut meinte und unberechenbar strömender Regen eine Aufführung im Festspielhaus statt vor dem Dom erzwang, konnte man deshalb nur unbedingt begrüßen: Vor den Dom gehört dieser Jedermann nicht.

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