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Klaus Kelle: Tagebuch Israel - Tag 2

Klaus Kelle erzählt von einer Pilgerreise durch das Heilige Land. - Tag 2 der Reise.
Burg Nimrod
Foto: Klaus Kelle | Burg Nimrod.

Tag 2

Die Pilgergruppe des ökumenischen Tempelritterordens fühlte sich beim Aufstieg zur 800 Meter hoch gelegenen Festung Nimrod spontan an „Game of Thrones“ erinnert, die US-Serie, die vom Kampf der sieben Königreiche handelt und nicht zuletzt wohl wegen dauernder deftiger Gewalt- und Sexszenen zu einem Welterfolg wurde. Die Fantasieserie orientiert sich inhaltlich am europäischen Mittelalter – und genau zu dieser Zeit wurde Nimrod einst errichtet.

Über 420 mal 150 Meter erstreckt sich die massive Steinburg, von der Historiker
annehmen, dass sie von Saladins Neffen al-Azis Uthman gebaut wurde, um Damaskus vor dem anlaufenden Fünften Kreuzzug zu schützen.

Die Pilger aus Deutschland genossen den atemberaubenden Blick von der Burg aus über die Ebenen, auf denen Eroberer auf ihrem Weg nach Libanon und Syrien unterwegs waren. Da sich die heutigen Templer selbst – gewaltfrei versteht sich – in der Tradition der Kreuzfahrer von einst sehen, gerieten sie schnell ins Fachsimpeln, wie so ein Krieg damals eigentlich verlaufen sein musste.

Wenn das feindliche Heer auf dem gegenüberliegenden, aber weit entfernten Hügel auftauchte, dauerte es noch mindestens zwei Tage, bis die Schlacht begann, denn die Ritter waren ja mit Pferd und ihr Gefolge zu Fuß noch mindestens acht bis zehn Stunden zur Festung Nimrod unterwegs. Skurril, oder? Die Verteidiger sehen die Angreifer und gehen erst mal schlafen, oder beobachten, wie sich die Kolonne der Angreifer im Schritttempo auf sie zubewegt, dann irgendwo mitten in der Landschaft ein Lager für Tausende Männer errichtet, Feuer anzündet und dann erst mal ein Nickerchen einlegte. Man darf davon ausgehen, dass erst mal Nahrung für Mensch und Tier herangeschafft wurde, denn mit leerem Magen kämpft es sich nicht gut – schon gar nicht in der sengenden Hitze und wenn man ein Kettenhemd und einen Helm trägt.

Oben auf der Burg bereiteten sich derweil die Muselmanen auf den Kampf vor. 500 von Ihnen sollen damals hier oben gelebt haben, zusammen mit ihren Pferden. Allein, wie es möglich war, all die Tausenden zentnerschweren Steinquader für die Festung hier hoch zu schaffen, übersteigt die Phantasie der Pilger, denn LKWs und Kräne gab es ja nicht. Und all die Quader von Hand und mit Rollen hochschaffen? Was für eine jahrelange Quälerei muss das gewesen sein.

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Immerhin hat man herausgefunden, wie die Wasserversorgung funktionierte, nämlich mittels eines Speichers und eines ausgeklügelten Systems aus steinernen Leitungen. Und über das Abwassersystem, wie wir das heute bezeichnen, möchten Sie wahrscheinlich gar nicht so viel wissen.

Struktur und Organisation so einer Burg hat viele Facetten, aber die Frage, wie und wo Hunderte Kämpfer jeden Tag ihre Notdurft verrichten und wie die … Hinterlassenschaften weggeschafft werden, war in der Tat eines der größten Probleme damals.

Das Thema verfolgte die deutschen Pilger auch beim folgenden Besuch in der Hafenstadt Akkon, die heutzutage mehrheitlich von israelischen Arabern bewohnt wird. Ein buntes Treiben herrscht dort tagsüber, die engen Gassen der Altstadt sind nicht schön. Geschäftiges Treiben im Basar, ja, aber überall Unrat in den Seitenstraßen. Autos, die viel zu schnell durch die Gassen rasen, dazwischen auch mal ein altes Pferdefuhrwerk, ein Gaul zieht vorn, einer ist hinten angebunden, wohl zum Wechseln bei längeren Strecken.

Und immer wieder kommt die deutsche Pilgergruppe ins Staunen, zum Beispiel als ein Rabbi (seiner schwarzen Kleidung, Locke und Hut nach) um die Ecke spaziert, mit einer Frau an seiner Seite. Unbehelligt, ja, unbeachtet von den vielen arabischstämmigen Menschen um ihn herum, schlendert er von Laden zu Laden. Ein Stück multikulturelle Normalität – so wirkt diese kleine Szene auf uns.

Doch zurück zu Akkon und den Kreuzrittern. Die Hafenstadt hatte im Mittelalter eine herausragende strategische Bedeutung für die christlichen Heere. Ein erster Versuch, Akkon zu erobern, scheiterte noch im Jahre 1103. Ein Jahr später zogen die Ritter mit ihren weißen Mänteln und dem roten Tatzenkreuz darauf siegreich in Akkon ein. Pilger und christliche Kaufleute brachten die Stadt zum Blühen, ein Bistum Akkon wurde 1135 begründet.

Und so ging es munter weiter, wie die Deutschen von ihrem Reiseführer Samir – einem palästinensischen Christen – erfuhren. 1187 eroberte Sultan Saladin Akkon zurück. Nur vier Jahre später kam im Rahmen des Dritten Kreuzzugs Richard Löwenherz mit seinen Kreuzrittern vorbei und holte sich die Stadt zurück. Scharmützel folgte auf Scharmützel. Kaufleute als Bremen und Lübeck gründeten noch den Deutschen Orden in Akkon. Doch am 18. Mai 1291 war alles vorbei, als ägyptische Mamluken Akkon erneut eroberten und damit die Kreuzzüge endgültig zum Scheitern brachten.

Nicht wenige Templer aus unserer Reisegruppe bedauern das übrigens noch heute.

Und das bringt uns zurück zu unserem Besuch in der letzten Bastion der Kreuzritter in Akkon. Wir bestaunten die gewaltige Anlage, liefen gebückt durch die verborgenen Fluchttunnel und kamen dann – endlich – zum Toilettensystem. Das erstreckte sich über drei Etagen mit Steinsitzen. Was dort produziert wurde, floss nach unten durch, um es zurückhaltend zu beschreiben. Und noch mehr wollen Sie darüber ganz sicher nicht wissen.

DT (jobo)

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