Vatikanstadt

Symbol für die Einheit

In seinem neuen Buch "Römische Begegnungen" lässt Gerhard Kardinal Müller die Menschen in Rom zu Wort kommen: Bischöfe und Priester, Ordensfrauen und Laien, Presseleute und auch solche, die der Kirche fernstehen.
Vatikan in Abendstimmung
Foto: Matteo Nardone (Pacific Press via ZUMA Wire) | Kardinal Gerhard Ludwig Müller hat ein neues Buch geschrieben: "Römische Begegnungen".

Wenn an Weihnachten und Ostern die dicht gedrängte Menge auf dem Petersplatz und die Millionen Menschen am Bildschirm auf die Loggia von St. Peter blicken, wo der Papst sich zeigt, dann erlebt man Heilsgeschichte und Weltkirche zum Anfassen. Wie „Petrus, zusammen mit den Elf“ (Apg 2,14) am Pfingstfest tritt auch der Papst öffentlich auf, „erhebt seine Stimme und beginnt zu reden“ von dem gekreuzigten Jesus, „den Gott zum Herrn und Messias gemacht hat“ (Apg 2,36). Die Universalität des Heilswillen Gottes, der die Menschen in der Kirche Christi zusammenführen will, vollzieht sich im Heiligen Geist, der auf alles Fleisch ausgegossen wurde (Apg 2,17): „Denn euch und euren Kindern gilt die Verheißung und all denen in der Ferne (vgl. Jes 57,19), die der Herr, unser Gott, herbeirufen wird.“ (Apg 2, 39) Da zitiert der junge Theologie-Student so andächtig einen alten Kirchenvater „Niemand kann Gott zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat“ (Cyprian, De unit. eccl. 6), dass die zwei Ministrantinnen an seinem Cafetisch über so viel Gelehrsamkeit nur so staunen. Urbi et orbi erteilt der Papst in einem Akt höchster Symbolik allen den „Segen Gottes, der unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel“ (Eph 1,3) bezeichnet. Auch die von der Kirche Distanzierten und vom Leben Enttäuschten, die Andersgläubigen und sogar einige Skeptiker spüren ein wenig vom Hauch des christlichen Glaubens, der Völker verbindet und Hoffnungen weckt.

In Rom und überall kann aber der Enthusiasmus für einen populären Papst die Sorgen des obersten Hirten für die Kirche auf der ganzen Welt – die sollicitudo omnium ecclesiarum – nicht übertönen. Die schleichende und offen betriebene Entchristlichung der westlichen Welt, die Einheit der Christenheit unter dem einen Hirten Jesus Christus, der Antagonismus der politischen Kräfte fordern seinen Einsatz zusammen mit den Bischöfen und allen Gläubigen für die Neuevangelisierung, den ökumenischen Weg zur Wiedervereinigung aller Gläubigen in der einen Herde Christi, und seine moralische Autorität für die weltweite Geltung der Menschenrechte, der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens in der Völkerfamilie. Der Katholik weiß darum in einem tieferen geistlichen Sinn, warum„alle Wege nach Rom führen“ – „tous les chemins vont a Rome“. Da hatte sogar Voltaire mal Recht.

Der Katholik denkt jedoch nicht zuerst an Rom als Hauptstadt eines Weltreiches, das Kaiser Augustus mit dem Goldenen Meilenstein (milliarium aureum) auf dem Forum Romanum ins Zentrum seiner Macht rückte, oder an Rom als kulturellen Mittelpunkt Europas im Zeitalter von Renaissance und Barock. Vor den Augen seines Geistes steht das Reich Gottes und die Einheit der Menschen im Glauben an Jesus Christus in der Gemeinschaft Seiner Kirche: unus Christus – una fides – una ecclesia (Eph 4,4–6). Der Goldene Meilenstein der gesamten Welt- und Menschheitsgeschichte ist nicht mehr an einen Raum- und Zeitpunkt gebunden, sondern in einer Person an jedem Ort und zu jeder Zeit jedem Menschen unmittelbar gegenwärtig. „Denn als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen.“ (Gal 4,4)

Darum ist das Rom der Apostelfürsten Petrus und Paulus auch nicht das centrum unitatis eines religös-sozialen Weltreiches mit seinen Provinzen und Peripherien, wie selbst die Gallikaner und Febronianer einräumten, sondern das principium unitatis der Gemeinschaft von Ortskirchen. Die römische Kirche ist nicht die Fortsetzung des Imperium Romanum, sondern seine Überbietung. Der Papst ist in den Ortskirchen präsent und die Ortskirchen sind in Petrus vereint als die sichtbare katholische Kirche mit ihrem Glaubensbekenntnis, ihrer Liturgie und hierarchisch-sakramentalen Verfassung. Denn das Haupt und Zentrum der Universalkirche und der Ortskirchen im eigentlichen Sinn ist Christus – das fundamentum principale – und ihre Seele ist der Heilige Geist. Er gibt den Gliedern dieses Leibes Leben und vereint die Jünger Christi in Glauben, Hoffnung und Liebe. Die Apostel und ihre Nachfolger im Bischofsamt mit der apostolischen und kirchlichen Lehre sind nur im sekundären Sinn Prinzip und Fundament der Einheit der sichtbaren Kirche, indem der erhöhte Herr vernehmbar sein Wort durch sie spricht und zu unserm Heil in den Sakramenten handelt. Die Kirche will nicht Weltherrschaft und sucht nicht Nähe zu den Mächtigen, zu Privilegien und sozialen Medien; und wenn, dann nur, um den ethischen Imperativ in die weltliche Macht einzupflanzen. Sie ist nur Kirche Christi als Kirche für andere (Dietrich Bonhoeffer), wenn sie für das Kommen des Reiches Gottes betet, leidet und wirkt. Petrus wurde in Rom wie sein Herr gekreuzigt, aber mit dem Kopf nach unten, Paulus als römischer Bürger wurde mit dem Schwert hingerichtet. Das ist die martyrologische Begründung der Autorität der Heiligen Römischen Kirche. „Wir verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit.“ (1Kor 1,23) Die kritische Distanz zur Welt und nicht schlaue Kumpaneien und diplomatische Absprachen mit den „Weisen und den Mächtigen im irdischen Sinn“ (1Kor 1,26) beglaubigt die Autorität des wahren Apostels, „damit sich euer Glaube nicht auf Menschenweisheit stütze, sondern auf die Kraft Gottes.“ (1Kor 2,5) Wie muss im heidnischen Rom in den Ohren dieser unübersehbaren Scharen von Sklaven, die ihrer Menschenwürde und jeder Hoffnung beraubt waren, die christliche Botschaft geklungen haben: „Du bist nicht mehr Sklave, sondern Sohn.“ (Gal 4,47)

Und das gilt auch uns heute und morgen. Wer sich in aller Verweltlichung und Abstumpfung nur ein letztes Gefühl für die Fragilität der menschlichen Existenz bewahrt hat, den reißt das Evangelium Christi aus der Lethargie der Gottvergessenheit. Denn kein anderer als der Sohn Gottes und Retter der Welt verbürgt uns die Hoffnung, die alles Leid dieser Welt tröstet: „Die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.“ (Röm 8,21) Letztlich bleibt es egal, ob und an welcher Stelle man auf der Forbes-Liste der reichsten Männer und Frauen dieser Welt platziert ist. Entscheidend ist, wer das letzte Wort hat.Wer stärker ist als der Tod, der hat Recht. Wer auf Gottes Liste steht, der überlebt nicht bis zur nächsten Gefahr, sondern hat das Leben für immer. Der Tourist schaut sich in Rom nur um und kehrt mit seinen Impressionen wieder heim und weiß nicht, was er damit anfangen soll.

Der Katholik kommt als Pilger an die Stätten der Apostel Petrus und Paulus, um seinen Glauben an ihrem Zeugnis von Jesus dem Christus zu stärken. Und er kehrt nach Hause zurück als Expressionist, der ausdrucksstark und hoffnungsfroh sein Christsein in Kirche und Welt lebt. Am Grab des Heiligen Petrus bekennt er mit dem Ersten der Apostel. „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). Ohne sophistische Klügeleien nimmt er das Jesus-Wort in allen seinen Dimensionen ernst: „Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen.“ (Mt 16,18). Es gibt nur ein „Haus Gottes, welches die Kirche des lebendigen Gottes ist, Säule und Fundament der Wahrheit.“ (1Tim 3,15)

Nicht nur symbolisch, sondern auch real ist die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche „in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen undWerkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.“ (Lumen gentium 1) Die Kirche ist das Sakrament der Vereinigung mit Gott und der Einheit des Menschengeschlechtes – intimae cum Deo unionis totiusque generis humanae. In der Gemeinschaft der örtlichen Kirchen, aus denen und in denen die katholische Kirche besteht, hat die römische Kirche den Primat der Lehre und der Leitung. Sie bewahrt die Gläubigen in der Einheit des Glaubens gegen Irrlehren und Spaltungen. Die heilige römische Kirche hat den Auftrag vom Herrn, alle Christen in die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche zu führen. Die katholische Kirche ist eine in ihrer Gründung, einzig in ihrer Sendung und eins in ihrem Leben (una, unica et unita), weil sie in Christus ihren Grund und ihr wahres Haupt hat, das im Apostel Petrus sichtbar ist. Kein Katholik kommt nach Rom ohne zu wissen, „dass er zum Stuhl Petri (ad cathedra Petri) und zur Hauptkirche (ecclesia principalis) pilgert, dem Ausgangspunkt der bischöflichen Einheit, und ohne zu bedenken, dass es die Römer sind, deren Glaubenstreue der Apostel lobt und rühmt und zu denen Irrglaube keinen Zutritt finden kann.“ (Cyprian von Karthago, Ep. 59,14) Das ist die weltgeschichtliche Sendung der römischen Kirche.

Die Existenzberechtigung ihres Primates besteht einzig und allein darin, die Einheit der universalen Kirche im Glauben zu sichern und zu fördern. Damit verbunden ist der Auftrag, für die Einheit der Menschheitsfamilie zu werben, für die Würde jedes Menschen zu kämpfen und ihm seine göttliche Berufung vor Augen zu halten. Der Papst ist die höchste moralische Autorität der Menschheit, weil er das natürliche Sittengesetz unmissverständlich artikuliert: Das Gute ist zu tun; das Böse aber zu meiden.

Auszug aus dem Buch „Römische Begegnungen“ von Gerhard Kardinal Müller, das am 15. Juli 2019 im Verlag Herder erscheint. 160 Seiten, ISBN 978-3-451-38565-0, EUR 18,- Vorabdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags.
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