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„New York Times“–Journalist Ben Smith „entsorgte“ Julian Reichelt

„New York Times“–Journalist Ben Smith „entsorgte“ Julian Reichelt. Jetzt hat er neue Pläne.
Ben Smith von der „New York Times“.
Foto: Wikicommons | Einer der wirkmächtigsten Medienjournalisten geht neue Wege: Ben Smith von der „New York Times“.

Einer der bekanntesten amerikanischen Medienjournalisten geht neue Wege: Ben Smith verlässt nach nicht einmal zwei Jahren die „New York Times“ und will ein eigenes Nachrichtenunternehmen gründen. Zielgruppe seien die weltweit „200 Millionen Menschen mit Hochschulbildung, die in englischer Sprache lesen“, gab der Journalist vielsagend in einem aktuellen Interview bekannt. Unterstützt wird er hierbei von Justin Smith, dem bisherigen Chef von Bloomberg Media.

Genauere Informationen gab Smith in dem Interview, aus dem die „New York Times“ zitiert , jedoch nicht bekannt. Offen ist sowohl, wann das neue beziehungsweise noch zu gründende Unternehmen an den Start gehen soll, als auch wie viel Geld die Gründer investieren oder welche Themenbereiche abgedeckt werden sollen. Auch ein Name für die „globale Nachrichtenorganisation“ wurde weder von Ben noch von Justin Smith bislang nicht kommuniziert.

„Axel Springer wagte vergangenes Jahr parallel zu dem Zeitpunkt, a
n dem die Causa Reichelt gerade hochkochte,
im großen Stil in den US-Medienmarkt einzusteigen“

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Klar ist jedoch die Rollenzuteilung der beiden Gründer: Während Justin Smith die geschäftliche Seite übernehmen soll, wird Ben Smith als Chefredakteur die inhaltliche Seite verantworten. Ziel der Neugründung sei es, komplexe Geschichten differenziert darzustellen, ohne in parteiische Muster zu verfallen, so Smith. Außerdem sollen die einzelnen Journalistinnen und Journalisten beim neuen Unternehmen mehr in den Fokus gestellt werden, um deren Profile zu schärfen und eine bessere Nachwuchsförderung zu ermöglichen.

Ben Smith hatte auch in Deutschland mit seinen Recherchen zum Machtmissbrauch bei Axel Springer und Vorwürfen gegen den damaligen „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt größere Bekanntheit erlangt. Unter dem Titel „Vorwürfe über Sex, Lügen und eine heimliche Zahlung“ berichtete die „New York Times“ unter Smith's Federführung über die aus US-amerikanischer Unternehmensführungssicht unhaltbaren Zustände bei Springer und berief sich hierbei auf interne Dokumente, in denen Machtmissbrauch, Mobbing und Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen durch den nunmehr ehemaligen „Bild“-Chefredakteur geschildert werden. Für seinen Artikel konnte Smith auch auf Recherchen des vom eigenen Verleger zurückgepfiffenen Ippen-Investigativteams zurückgreifen – sie veröffentlichten ihre Untersuchungen unterdessen vollständig beim „Spiegel“.

Es geht um Konkurrenz

Für Springer kamen all diese Nachrichten zur Unzeit – für den medialen Platzhirschen „New York Times“ jedoch selbst zahlte sich die negative Berichterstattung über den Konkurrenten doppelt aus. Denn Axel Springer wagte vergangenes Jahr parallel zu dem Zeitpunkt, an dem die Causa Reichelt gerade hochkochte, im großen Stil in den US-Medienmarkt einzusteigen: Mit dem Kauf des renommierten US-Nachrichtenportals „Politico“ tätigte der Berliner Medienkonzern die größte Finanzakquisition seiner Verlagsgeschichte – mindestens 650 Millionen Euro soll Springer der Kauf von „Politico“ gekostet haben, die Nachrichtenagentur Bloomberg wiederum wollte erfahren haben, dass Springer mehr als eine Milliarde Euro auf den Tisch gelegt haben soll.

Doch aufgrund der „NYT“-Berichterstattung erschien Springer, genau in dem Moment, als der Konzern zum geschäftlichen Sprung über den Großen Teich ansetzen wollte, innerhalb der weltweiten Medienlandschaft als patriarchalischer und rückwärtsgewandter „Me Too“-Dinosaurier, der lediglich so tut, als sei er modern, weltoffen und digitalaffin aufgestellt. So blieb dem deutschen Medienkonzern nichts anderes übrig, als mit Blick auf die überaus politisch korrekten USA Julian Reichelt zu entlassen und sowohl eine neue „Bild“-Chefredaktion als auch neue Complianceregeln auf den Weg zu bringen.

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Der digitale Champion „New York Times“

Ben Smith verlässt die „New York Times“ zu einem Zeitpunkt, an dem diese im US-amerikanischen Journalismus das ökonomische Maß aller Dinge ist. Denn der Zeitung, die Smith bei sich einstellte, um von dessen Expertise beim Aufbau der internationalen Investigativredaktion des Nachrichtenportals „Buzz Feed News“ zu profitieren, gelingt es seit geraumer Zeit, ihre Digitalabonnentenzahlen nachhaltig zu steigern. Denn im dritten Quartal 2021 zählte die „New York Times“ rund 7,59 Millionen digitale Abonnements (digital-only subscriptions). Gegenüber dem Vorjahresquartal war das eine Steigerung um rund 25,2 Prozent. Zum Vergleich: Im ersten Quartal 2015 betrug die Zahl der digitalen Abonnements lediglich ganze 1,1 Millionen.

Mit diesen Zahlen kann die 1851 gegründete Tageszeitung den kontinuierlichen Auflagenrückgang der Printausgabe mehr als kompensieren: Im Jahr 2020 erzielte die „NYT“ nämlich wochentäglich eine verkaufte Auflage von 374 000 Exemplaren, was gegenüber 2015 einen Auflagenrückgang um rund 230 000 Exemplare darstellt. Die Auflage der Wochenendausgabe sank im selben Zeitraum von knapp 1,13 Millionen auf rund 854 000 Exemplare.

Smith wird seinen bisherigen Arbeitgeber von außen beobachten

Die Umsätze der Muttergesellschaft, der New York Times Company, lagen im Jahr 2020 insgesamt bei rund 1,78 Milliarden US-Dollar und es waren rund 4 700 Mitarbeiter beschäftigt. Zwar stellt dies die höchste Mitarbeiterzahl seit 2013 dar, im Jahr 2008 waren zum Vergleich aber noch mehr als 9 300 Mitarbeiter angestellt. Und die New York Times Company will ihr Digitalgeschäft weiter ausbauen – zum Beispiel mit Zukäufen. Zuletzt geschah dies vergangene Woche durch den Kauf des erfolgreichen Online-Sportmagazins „The Athletic“. Für die Übernahme legte der Medienkonzern 550 Millionen Dollar (487 Mio Euro) auf den Tisch.

„The Athletic“ wurde 2016 gegründet und verfolgt bislang ein striktes Abo-Modell mit konsequenter Bezahlschranke ohne Werbeanzeigen – ein Geschäftsmodell, das der „NYT“ zusagt. Zuletzt hatte die in San Francisco ansässige Web-Plattform nach eigenen Angaben rund 1,2 Millionen Kunden und über 450 Mitarbeiter. „The Athletic“ berichtet weltweit über 200 Sportclubs und -teams und setzt dabei auch stark auf Podcasts. Die Übernahme soll noch im ersten Quartal 2022 abgeschlossen werden. Der Zukauf soll im Verlag als selbstständige Tochter erhalten bleiben, die ihren eigenen Weg geht.

Diese und weitere Entwicklungen innerhalb der „NYT“ wird Ben Smith nun bald von außen betrachten – und kommentieren.

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