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Spekulationen über den Rückzug von Benedikt XVI. in den Medien

Benedikt XVI. hat sein Amt niedergelegt und sich weitgehend zurückgezogen. Trotz seiner eindeutigen Erklärungen rätseln noch immer viele Menschen über die Hintergründe. In Italien sorgt der Rückzug Benedikts in manchen Medien sogar noch immer noch für schräge Spekulationen. Eine Übersicht.
Abschied von Papst Benedikt XVI.
Foto: Bernd von Jutrczenka (dpa) | Mythos Vatikan: Zahlreiche Journalisten verfolgen eine Generalaudienz auf dem Petersplatz. Einige fühlen sich berufen, nicht nur Bericht zu erstatten, sondern ganz eigene Lesarten des Geschehens in Umlauf zu setzen.

Vor über acht Jahren ist Benedikt XVI. zurückgetreten – und noch immer sorgt der Rückzug eines Papstes für Diskussionsstoff. Anfang des Monats rollte die italienische Tageszeitung „Libero“ mit der Schlagzeile „Benedikt XVI. hat niemals abgedankt“ den Fall erneut auf. Nun ist der Libero nicht gerade für seinen nüchternen und zurückhaltenden Stil bekannt: das Silvio Berlusconi nahestehende Blatt tritt besonders bei politischen Themen gerne sensationsheischend auf. Allerdings ist die Zeitung mit 200 000 täglich verkauften Exemplaren immer noch eines der Schlachtrösser der gedruckten Medienkultur des Landes. Dass der Libero dem Thema die erste Seite seiner Beilage „Libero Pensiero“ widmete, den Artikel danach im Internet veröffentlichte und dieser anschließend in den sozialen Netzwerken seine Kreise zog, sorgte für noch größere Aufmerksamkeit. Spätestens mit einer englischen Übersetzung ging die Reichweite über jenes konservative katholische Milieu hinaus, das sich durch Benediktaffinität und Hang zum Mystischen auszeichnet.

„Es gebe demnach nicht etwa einen Papst oder zwei Päpste,
sondern einen „halben“ Papst:“

Es ist nicht das erste Mal, dass der Journalist Andrea Cionci die These vertritt, dass Benedikt immer noch im Amt sei. Als im März der Papa emeritus in einem Interview des Corriere della Sera darauf beharrte, dass es nur „einen Papst“ gebe, behauptete Cionci, dass gerade dies ein Beleg sei, dass er sich selbst, und nicht etwa Franziskus meinte – weil Benedikt es unterließ, den Namen des Pontifex zu nennen. Cionci hat zudem in der Vergangenheit belegt, dass er kein Freund des amtierenden Papstes ist. Im Februar verbreitete er die scharfe Attacke von Aldo Maria Valli („Rom ist ohne Papst“), einem Wegbegleiter Johannes Pauls II., auf seinem Blog.

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Wie argumentiert Cionci? In erster Linie nimmt der ausgebildete Kunsthistoriker einen Faden auf, den bereits der Franziskaner Alexis Bugnolo aus den USA strickte. Cionci wie Bugnolo gehen davon aus, dass Benedikt in seiner Rücktrittsrede zwar sein „magisterium“ – die ausführende Amtsgewalt des Papstes – abgelegt hätte, jedoch in keiner Stellungnahme den „munus“ – das Papstamt als solches. Auf einer kanonischen Eben sei der Unterschied zwischen diesen beiden Eigenschaften 1983 ausformuliert worden, wenn auch vage. Es gebe demnach nicht etwa einen Papst oder zwei Päpste, sondern einen „halben“ Papst: nämlich Benedikt, der sein „magisterium“ eingebüßt hätte. Da aber Benedikt demnach nie aus dem Amt geschieden sei, hätte auch kein Konklave einberufen werden dürfen, die Wahl von Franziskus und dessen Amtshandlungen sei damit nichtig.

Historische Ungenauigkeit

Cionci fügt dieser Theorie jedoch bisher ungewohnte Details hinzu. So unterscheidet Cionci sehr genau zwischen den Begriffen „Rücktritt“ und „Abdankung: von Funktionen tritt man zurück, von seiner Stellung als Souverän dankt man jedoch ab. Ratzinger habe in keinem seiner Interviews, auch nicht in den Gesprächen je von einer „Abdankung“ gesprochen, sondern in Bezug auf seine Handlung immer den Begriff „Rücktritt“ verwendet (die deutschen Termini sind Cionci geläufig). So käme in dem Seewald-Buch „Ein Leben“ zwar das Wort „Abdankung“ neunmal vor, aber niemals bezieht der Papa emeritus den Begriff auf seine eigene Person, sondern nur auf historische Vorgänger, die tatsächlich abgedankt haben. Zu einer Schlüsselstelle stilisiert Cionci eine Frage Seewalds an Benedikt aus dem Buch „Letzte Gespräche“. Auf die Frage nach der Demission antwortet Benedikt: „Nachdem tausend Jahre kein Papst zurückgetreten ist und es auch im ersten Jahrtausend eine Ausnahme war, ist es eine Entscheidung, die man nicht leicht fällt (…).“ Die Passage dürfte jeden Historiker stutzig machen: einerseits, weil in den letzten tausend Jahren gleich vier Päpste zurückgetreten sind; andererseits, weil der letzte Papst, der dies tat, Papst Coelestin V. im Jahr 1294 war. Sollte Ratzinger, der Mozart des Papsttums, solche historischen Fakten der Dramatik wegen zur Seite schieben? Dass ausgerechnet er, der sich vor seinem Rücktritt umfassend mit Präzedenzfä

llen auseinandergesetzt haben dürfte, solche groben Schnitzer zulässt, erscheint erstaunlich.

Cionci sieht in diesen Worten eine deutliche Botschaft – nicht zuletzt deswegen, weil Benedikt auf Nachfrage den Vergleich mit Coelestin V. abgelehnt hat, da dieser Fall in „keiner Weise“ mit seiner Situation vergleichbar sei. Denn einer der vier Päpste unterscheidet sich von den anderen vier: Papst Benedikt VIII., der im Jahr 1012 von seinem Amt zurücktrat – aber nicht abdankte. Cionci zitiert den Kirchenhistoriker Francesco Mores von der Universität Mailand, der davon spricht, dass Benedikt VIII. zeitweilig sein ministerium an den Gegenpapst Gregor VI. verloren habe, bevor er von Kaiser Heinrich II. wieder eingesetzt wurde. Schon damals war die Rechtmäßigkeit des Aktes unbestritten, weil Benedikt VIII. zwar seine Amtsgewalt verloren, aber den munus behalten hatte. Cionci schließt daraus: „Benedikt sagt uns ganz klar, dass er wie sein Namensvetter auf das ministerium verzichtet hat, aber keiner von beiden auf seinen munus.“ Das sei auch die Erklärung, warum Benedikt sich weiß kleide, mit PP unterschreibe und weiterhin im Vatikan lebe.

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Benedikt der XVI. hat die Diskussion selbst beendet

Man könnte an dieser Stelle aufhören, und Cionci mit dem Argument abwürgen, dass Benedikt in seiner Rücktrittsformel sagt, dass der „Stuhl des heiligen Petrus“ ab dem 28. Februar 2013 „vakant“ sei. Warum sollte Benedikt diese klare Formulierung wählen, wenn er tatsächlich den munus behalten hätte und dies auch beabsichtigt hat? Doch Cionci geht es um mehr. Das wird deutlich, als er Marco Tosatti, dem ehemaligen Vaticanista der Tageszeitung „La Stampa“ die Erlaubnis gibt, den gesamten Artikel auf seinem Blog „Stilum Curiae“ zu kopieren – samt vertiefender Ergänzungen Cioncis. Wie für diese Kreise üblich, nimmt der katholische Mystizismus eine deutlich wichtigere Stellung ein als die veröffentlichten Artikel.

So zitiert Cionci eine Vision der Seherin Anna Katharina Emmerick, die den Kaiser Heinrich II. kniend und betend in einer Kirche sieht, wo sich ihm die Gottesmutter zeigt. Cionci erinnert auch an die Vision eines neuen Papstes, der die Kirche wiederherstellt. Die Prophezeiung erinnert an die Marienerscheinung von Quito (Unsere Liebe Frau vom Guten Erfolg), die von einem „Prälaten“ spricht, der den „Geist seiner Priester erneuere“.

Bezug auf die Geheimnisse von Fatima

 

Es sind deutliche Anspielungen, die durch eine weitere Anspielung unterstützt werden: Cionci spricht davon, dass Franziskus ohne munus auch nur ein „Bischof in Weiß“ sei, wie ihn die Kinder im dritten Geheimnis von Fatima sehen. Dass der Papst und Maria auf eine besondere Art und Weise verbunden sind, dafür ist Fatima ebenfalls ein Beleg: nur der Heilige Vater kann Russland dem Unbefleckten Herzen Mariens weihen. Benedikt hat noch in Zeiten seines Pontifikats davon gesprochen, dass die „prophetische Mission Fatimas“ nicht beendet sei. Pater Pio, von dem der Exorzist Gabriele Amorth sagt, er habe das dritte Geheimnis von Fatima gekannt, sah darin die große Apostasie der Kirche. Und Anna Katharina Emmerick, die Cionci bemüht, ist berühmt für ihre Vision von zwei Päpsten, die jeweils einer Kirche vorstehen: einer wahren und einer falschen (letztere bezeichnet sie als „Afterkirche“, in der Götzen aufgestellt werden). In höchster Not sollte dann die Jungfrau Maria ihren Mantel ausbreiten.

Vielleicht – so könnte man unabhängig von Cionci fortführen – ist es gar nicht Franziskus, sondern Benedikt im weißen Gewand, der im dritten Geheimnis durch das „zerstörte Rom“ geht, und einen Geistlichen nach dem anderen (vom Glauben) fallen sieht, angesichts von Missbrauchsskandalen und synodalen Neuerungen, schwach und zitternd ob der eigenen Hilflosigkeit und des Alters? Das mag glauben, wer will.

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