Wenn man sich seine Familie anschaut, ist es kein Wunder, das Gioachino Rossini, der am 29. Februar 1792 in Pesaro innerhalb des Kirchenstaates das Licht der Welt erblickte, Musiker wurde. Schon als kleines Kind war der Sohn der Sängerin Anna und des Hornisten Guiseppe Rossini, der eigentlich auf den Namen Giovacchino getauft wurde, von einer Welt von Tönen umgeben. Er erhielt schon früh Unterricht in Violine, Cembalo und Gesang und überzeugte vor allem durch seine strahlend schöne Sopranstimme. Seine Mutter Anna wehrte sich jedoch entschieden, als ihr Bruder sie dazu drängte, Gioachino, wie er sich selbst schrieb, was in der Musikforschung dann später übernommen wurde, zu einem Kastraten zu machen. Eine mutige und fürsorgliche Entscheidung, die zugleich darauf verweist, dass die Rossinis ein gutes Einkommen gehabt haben müssen und nicht, wie zahlreiche ärmere Familien, darauf angewiesen waren, ihre Söhne einem unwiderruflichen Eingriff zu unterziehen, damit diese sie finanziell über Wasser hielten. Bei Anna Rossini mag auch mitgeschwungen haben, dass sie es als Sängerin aus gutem Grund überflüssig fand, Männer zu verstümmeln, um ihnen eine Fähigkeit zu verleihen, die Frauen natürlicherweise hatten.
Tatsächlich gab es zwar Bereiche, in denen Frauen als Sängerinnen nicht erwünscht waren, die Grenzen waren aber kaum so fest gezogen, dass es sich nicht lohnte, gelegentlich einen Fuß über dieselbe zu setzen. Anna Rossini schütze ihren Sohn vor der Kastration, förderte aber zugleich nach Kräften seine Ausbildung, deren Finanzierung sie phasenweise allein bewerkstelligte, da ihr Mann als Sympathisant der Französischen Revolution zeitweise inhaftiert war. Die Familie zog 1802 nach Lugo, wo der junge Gioachino in der gut ausgestatteten Bibliothek des wohlhabenden Organisten Guiseppe Malerbi unter anderem die Werke Haydns und Mozarts studieren konnte; zwei Jahre später, im Alter von zwölf Jahren, hatte Gioachino gemeinsam mit seiner Mutter seinen ersten Theaterauftritt als Sänger. Seine Ausbildung in Komposition, Horn, Klavier und Gesang am Liceo Musicale in Bologna, wohin die Familie 1805 zog, beendete Rossini ohne Abschluss, aber er überzeugte offenkundig durch seine Leistungen als Sänger, für die er in die Accademia Filarmonica in Bologna aufgenommen wurde, und durch seine Kompositionen – zunächst vornehmlich Opern, mit denen er sich bis 1815 so weit etablieren konnte, dass er in diesem Jahr Leiter beider Opernhäuser in Neapel wurde. Rossinis Produktivität war gewaltig.
Innerhalb zweier Jahrzehnte komponierte er 39 Opern, die letzte, als er in Paris Leiter der dortigen italienischen Oper sowie Hofkomponist und Generalinspekteur des Gesangs in Frankreich war. Nach dem Verlust seiner Ämter im Zuge der Abdankung des französischen Königs im Verlauf der Julirevolution setzte der geschäftstüchtige Tonsetzer gerichtlich den Erhalt einer lebenslänglichen Rente durch. Doch wer glaubt, dass sich Rossini danach zur Ruhe setzte, irrt. Er wirkte nicht nur als Direktor des Musiklyzeums in Bologna, sondern komponierte auch weiter, nun mit einem Fokus auf geistlicher und Kammermusik. Rossini war ein sehr humorvoller Mensch, der sich, zumal in höherem Alter, auch immer wieder gönnte, allein zu seiner persönlichen Freude zu komponieren. In seinen Péches de vieillesse, den sogenannten „Alterssünden“, finden sich zahlreiche wirklich witzige Klavierwerke mit Titeln wie „Gefolterte Walzer“, „Asthmatische Etüde“ oder „Chromatischer Drehteller“.
„Sei also gepriesen und gewähre mir das Paradies“
Nachhaltige Spuren in der Kirchenmusik hinterließ Rossini vor allem mit seinen großen Werken „Stabat mater“ und der ungeachtet ihres Namen „Petite Messe solennelle“ angesichts ihrer Aufführungsdauer von 90 Minuten keineswegs kleinen Ordinariumsvertonung. Gioachino Rossinis „Stabat mater“ ist eine der bemerkenswert zahlreichen Vertonungen der im Mittelalter entstandenen Sequenz, als deren Autoren unter anderem Papst Innozenz III. sowie die Franziskaner Jacopone da Todi und Johannes Bonaventura genannt werden, die 1521 ins Missale Romanum aufgenommen und nach dem Konzil von Trient, das Schicksal zahlreicher anderer Sequenzen teilend, wieder entfernt wurde.
Der Rezeption des eindrucksvollen, den Schmerz der Gottesmutter über den Tod ihres Sohnes widerspiegelnden Textes hat dies kaum Abbruch getan, wie die schier endlose Liste der Komponisten beginnend mit Josquin Desprez zeigt, die ihn im Laufe der Jahrhunderte vertont haben. Rossini wählte die Besetzung Soloquartett, Chor, zwei Klaviere und Harmonium für sein 1832 entstandenes Werk. Die „Petite Messe solennelle“ steht unbestritten an der Spitze der geistlichen Kompositionen des Italieners, der zuletzt gleichermaßen in seiner alten wie in seiner neuen Heimat Frankreich zu Hause war. 34 Jahre nach seiner letzten Oper schrieb Rossini dieses Werk in Passy, heute ein Stadtteil von Paris, dem Lebensmittelpunkt seiner letzten Jahre.
Rossini widmet sein ungeachtet der bescheidenen Verkleinerungsform im Titel in der Tradition großer Festmessen stehendes Werk „dem lieben Gott“ und fährt fort: „Hier ist sie, die arme kleine Messe. Ist es wirklich heilige Musik (musique sacreé) oder doch vermaledeite Musik (sacreé musique)? Ich bin für die Opera buffa geboren. Du weißt es wohl! Ein bisschen Können, ein bisschen Herz, das ist alles. Sei also gepriesen und gewähre mir das Paradies“, formuliert der große Tonsetzer in unnachahmlich selbstironischer Demut.
Die ursprüngliche Fassung der Messe für Soloquartett, Chor, zwei Klaviere und Cembalo – die Orchesterversion entstand drei Jahre später in der berechtigten Sorge, das bald sehr beliebte Werk könne nach seinem Tod von einem anderen Komponisten bearbeitet werden – ist eine Frucht der neapolitanischen Cembalo-Tradition des 18. Jahrhunderts. Rossini kehrt mit seiner Festmesse also in mehrfacher Hinsicht nach Hause zurück. Zum einen in seine Heimat Italien, zum anderen in die im Glauben erhoffte Wohnung im Haus seines himmlischen Vaters. Seine ganz eigene Version der Messe bevorzugte er ausdrücklich und verbat sich die Aufführung der Orchesterversion, die tatsächlich erst nach seinem Tod, am 24. Februar 1869, im italienischen Theater in Paris präsentiert wurde. Danach dominierte die Orchesterfassung viele Jahre lang, genau wie Rossini es befürchtet hatte, die Rezeption. Im Zuge der Bemühungen um eine historisch informierte Aufführungspraxis hat sich der Fokus nun jedoch wieder auf die Originalfassung mit ihrem ganz eigenen, introvertiertem kammermusikalischen Charme gerichtet. Rossini wird das sicher freuen.