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Horrorvision Volksfrömmigkeit

Die Corona-Krise deckt die Schwäche eines dienstleistungsorientierten Kirchenbildes auf. Kann eine Rückbesinnung auf die Tradition Alternativen aufzeigen?
Pilger bei der Fußwallfahrt Paris-Chartres 2019
Foto: Notre-Dame de Chrétienté | Pilger bei der Fußwallfahrt Paris-Chartres 2019

Ein Gespenst geht um in der katholischen Kirche Deutschlands: das Gespenst des „Retrokatholizismus“. Seit einigen Jahren ist in den Kreisen der akademischen Theologie, der kirchlichen Gremien und Verbände eine wachsende Irritation über das zunehmende Interesse gerade jüngerer Katholiken an Frömmigkeitsformen zu beobachten, die die sogenannte „Konzilsgeneration“ vermeintlich „überwunden“ hatte – wie etwa Beichte, Mundkommunion oder eucharistische Anbetung. In der Corona-Krise scheint sich dieser Trend verstärkt zu haben – zumindest in der Wahrnehmung seiner Kritiker. So äußerte etwa die Erfurter Dogmatikerin Julia Knop ihr Unbehagen gegenüber „Einzelkommunionen außerhalb der privatim zelebrierten Messe“, „Sakramentsprozessionen durch leere Straßen“, der „Weihe ganzer Bistümer an das Herz der Gottesmutter“ sowie „Generalabsolutionen und Ablässe[n] im Jahr 2020“. 

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Wiederkehr der Volksfrömmigkeit

Unter (ihrem Selbstverständnis nach) „progressiven“ Kräften innerhalb der Kirche grassiert, wie es scheint, die Angst vor der Wiederkehr einer totgeglaubten Volksfrömmigkeit, die wie Nicole Kidman in Alejandro Amanábars Horrorfilm „The Others“ durch die Gänge eines alten Hauses schleicht, das längst von Anderen bewohnt wird. Allerdings besteht die Pointe dieses Films gerade darin, dass aus der Sicht der Hauptfigur – die wohl nicht zufällig eine strenggläubige, traditionelle Katholikin ist – die neuen Bewohner des Hauses die Gespenster sind; und sie zeigt sich entschlossen, mit ihren Kindern in dem Haus auszuharren, von dem sie überzeugt ist, dass es nach wie vor ihr gehört. 

Dass ein Aufschwung traditioneller Frömmigkeitspraktiken derartige Abwehrreaktionen auslöst, lässt erkennen, dass dadurch ein scheinbar fest etabliertes Narrativ über Fortschritt und Zukunftsfähigkeit in der Kirche infrage gestellt zu werden droht. Dass das Modell „Volkskirche“ – das in der seiner Blütezeit wesentlich davon lebte, dass die Kirchenmitgliedschaft und auch ein gewisses Mindestmaß an aktiver Teilnahme am kirchlichen Leben zur gesellschaftlichen Normalität gehörten und Gesellschaft und Kultur in einem solchen Maße christlich grundiert waren, dass auch persönlich eher wenig religiöse Individuen davon in gewissem Sinne mitgetragen wurden – im Zeichen galoppierender Mitgliederverluste nicht länger tragfähig ist, wird quer durch die innerkirchlichen Lager und Fraktionen kaum mehr bestritten. Umso verbissener tobt der Kampf darum, was zukünftig an die Stelle dieses Kirchenmodells treten soll und welche Art von Reformen dieser Transformationsprozess erfordert. 

DT/tok

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