Fiktion hilft, die Wirklichkeit besser zu verstehen. Immer wenn Jesus seinen Jüngern eine besondere Lehre erteilen wollte, schilderte er ihnen keine Ereignisse – er erzählte ihnen eine Geschichte, etwa das wunderbare Gleichnis des barmherzigen Vaters, der den verlorenen Sohn mit offenen Armen empfängt. Ein Gleichnis, das der Herr nach einem klassischen Drehbuch in drei Akten – Weggang aus dem Vaterhaus, Umkehr nach dem Verschleudern des Erbes und der Verarmung, Rückkehr und Wiederannahme an Sohnes Statt – beschreibt.
Ein weiteres Gleichnis Jesu drängt sich in Zeiten des Coronavirus geradezu auf, das des reichen Menschen, der nach einer hervorragenden Ernte die Scheunen abbrechen und größere bauen wollte. „Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“ Für etliche Weltregionen mag dies zwar nicht zutreffen, aber die westliche Welt ähnelte bis vor kurzem dem selbstzufriedenen Mann, der sagte: „Du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!“ Eine Spaßgesellschaft – mit deren Kehrseite, der Ellenbogengesellschaft – im Konsum- und Reise-Rausch.
Und dann kam ein Virus, das nicht nur viele Einschränkungen im Leben der meisten Menschen brachte, und auch das Leben von vielen forderte. Die Folgen für die Wirtschaft, aber auch für das gesellschaftliche Leben, sind noch kaum zu überschauen. Wäre nicht die Coronavirus-Krise auch eine Chance, das bis dato herrschende Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell zu überdenken?
Wie soll es nach der Katastrophe weitergehen?
Seit Jahren stellen genau diese Frage Spielfilme aus dem sogenannten postapokalyptischen Genre, etwa die Netflix-Serien „The Rain“ (DT vom 21.6.2018) und „Destination Io“ (DT vom 21.3.2019), die von einer Welt nach einer apokalyptischen Katastrophe handeln. Der deutsche Spielfilm „Endzeit“ (DT vom 22.8.2019) ist in einem Deutschland zwei Jahre nach dem Ausbruch eines geheimnisvollen Virus angesiedelt. Diesen Filmen gemeinsam ist die Frage: Wie soll es weitergehen, wenn fast die gesamte Menschheit untergegangen ist? Auf welcher Grundlage soll eine neue Zivilisation aufgebaut werden?
Ausdrücklicher als in den erwähnten Filmen stellen diese Fragen zwei postapokalyptische Filme aus dem Jahre 2010, „The Book of Eli“ (DT vom 16.2.2010) und „The Road“ (DT vom 14.10.2010). „The Book of Eli“ ist im Jahr 2044, dreißig Jahre nach der Apokalypse, angesiedelt, weshalb kaum Menschen leben, die älter als 30 sind. Die neuerrichtete, auf Angst und Gewalt basierende neue Gesellschaftsordnung verdeutlicht: Ohne den Glauben an eine transzendente Welt sind die Menschen zu Bestien geworden. Nicht irgendwelche Gutmenschen sind in der Lage, die menschliche Zivilisation wiederherzustellen. Dafür benötigt der Mensch etwas, was über seine Kräfte und Fähigkeit hinausgeht. Und das findet er nur in der Bibel.
In „The Road“ haben nur wenige Menschen den durch eine atomare Katastrophe verursachten Untergang der Zivilisation überlebt. Knüpft „The Book of Eli“ die Frage des Überlebens an den Glauben an etwas an, was über den Menschen hinausgeht und in der Bibel seinen Ausdruck findet, so kreist „The Road“ um die Geborgenheit in der Familie, in der die Menschenwürde ihren letzten Zufluchtsort findet. „The Road“ stellt die Frage nach dem Sinn des Lebens in einer entmenschlichten Welt.
Eine Chance, über Grundsätzliches nachzudenken
Die Einschnitte, der die Corona-Krise mit sich bringt, könnten auch eine Chance sein, über Grundsätzliches in Gesellschaft und Wirtschaft nachzudenken. Dies reicht von der einfachen Frage, welche Bedeutung den Berufen in Zukunft eingeräumt werden soll, die sich nun in der Krise als (über)lebenswichtig herausstellen, bis hin zu Überlegungen, wie eine Wirtschaft Vollbeschäftigung in menschenwürdigen Verhältnissen garantieren kann, ohne dass dies mit einem Immer-Mehr-Konsumieren einhergehen soll. Anders ausgedrückt: Wie kann die Warnung der letzten Päpste von Johannes Paul II. bis Papst Franziskus vor dem Konsumismus mit einer Wirtschaft vereinbart werden, die auf den technischen Fortschritt und damit auf die Erzeugung immer besserer Produkte ausgelegt ist? Hier sind etwa Think Tanks gefragt, um kreative Lösungen anzubieten.
Auch die Fiktion postapokalyptischer Filme kann eine Orientierung bieten, etwa die Aussage aus „The Book of Eli“, dass ohne den Glauben an eine transzendente Welt die Menschen zu Tieren werden. Was sozusagen eine Abwandlung des berühmten „Böckenförde-Diktums“ darstellt: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Vor-aussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“
Wenn die Corona-Krise ein Nachdenken über die uns transzendierenden Grundlagen unserer Zivilisation, und vielleicht sogar über eine erneute Achtung vor dem Leben von seinem Anfang bis zu seinem natürlichen Ende mit sich bringt, dann würde die Nach-Coronavirus-Welt keine postapokalyptische Zeit darstellen, sondern vielmehr eine Chance für eine gerechtere Gesellschaft und eine menschenwürdigere Wirtschaft.
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