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Spielfilm „Tausend Zeilen“: Die Lüge in der Presse

Der preisgekrönte und hochgelobte Claas Relotius und der „Spiegel“ sind Thema des Spielfilms „Tausend Zeilen“. Michael Herbig verarbeitet den Medienskandal um nie geführte Interviews und eine gelogene Realität in vorgeblichen Berichten in Qualitätsmedien.
Film: Tausend Zeilen
Foto: Warner Bros.

Es war wohl der größte Medienskandal seit 1983, als der „Stern“ die gefälschten Hitler-Tagebücher veröffentlichte: Am 19. Dezember 2018 gab das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ bekannt, dass sein Star-Reporter Claas Relotius, der für seine Reportagen vielfach ausgezeichnet worden war, einen großen Teil seiner Reportagen und Interviews manipuliert oder komplett frei erfunden hatte. Lange Zeit hatte die „Spiegel“-Dokumentationsabteilung versagt, und niemand hatte auf den freien „Spiegel“-Mitarbeiter Juan Moreno hören wollen, der die etwas zu perfekten Geschichten seines gefeierten Kollegen in Frage stellte und sie aufdeckte.

Über die Fälschung der Hitler-Tagebücher drehte 1992 Helmut Dietl den Spielfilm „Schtonk!“, und 2021 strahlte RTL+ die Miniserie „Faking Hitler“ aus. Nun ist der Relotius-Skandal von Michael „Bully“ Herbig verfilmt worden, der für seine Komödien bekannt wurde, jedoch mit der DDR-Fluchtgeschichte „Ballon“ (2018) unter Beweis stellte, dass er auch das dramatische Genre beherrscht. Der Film basiert auf dem Buch „Tausend Zeilen Lüge“ von Juan Moreno. „Dieser Film ist reine Fiction. Vieles ist allerdings so passiert. Das meiste haben wir uns aber ausgedacht“, heißt es zu Beginn.

„Romero entdeckt immer mehr Ungereimtheiten in den Reportagen seines Kollegen Bogenius,
der jedoch von Ressortleiter Rainer M. Habicht
und dem stellvertretenden Chefredakteur der „Chronik“
Christian Eichner (Jörg Hartmann) ge- und befördert wird”

Die Handlung wird vorangetrieben, als der freie Journalist Juan Romero (Elyas M´Barek) wieder einmal einen Auftrag des Nachrichtenmagazins „Chronik“ bekommt: Zusammen mit dem Fotografen Milo (Michael Ostrowski) soll er eine Reportage über Flüchtlinge aus Mexiko machen, die in die Vereinigten Staaten zu gelangen versuchen. Ressortleiter Rainer M. Habicht (Michael Maertens) erklärt ihm, dass der Artikel in der nächsten Ausgabe an prominenter Stelle erscheinen soll. Allerdings soll Romero die eine Sicht beziehungsweise die eine Hälfte des Beitrags liefern. Die Sicht US-amerikanischer Grenzschützer liefere Lars Bogenius (Jonas Nay), der die sogenannten „Border Wolves“ interviewen werde, eine für ihre harte Vorgehensweise bekannte Gruppe patriotischer „Grenzschützer“.

Als Romero wieder zu Hause die fertige Reportage von Bogenius per E-Mail erhält, ist er entsetzt: Nicht nur, weil der Kollege ihm Vorgaben für den Mexiko-Teil der Geschichte macht, sondern auch, weil Bogenius darin Verbrechen gegen die Menschlichkeit schildert, die offenbar von den privaten Grenzschützern begangen wurden. Hatten die „Border Wolves“ keine Skrupel, sich von einem deutschen Reporter begleiten zu lassen, während sie auf Menschen schießen oder sie ohne Wasser zurück in die Wüste schicken? Romero entdeckt immer mehr Ungereimtheiten in den Reportagen seines Kollegen Bogenius, der jedoch von Ressortleiter Rainer M. Habicht und dem stellvertretenden Chefredakteur der „Chronik“ Christian Eichner (Jörg Hartmann) ge- und befördert wird. Deshalb hat der deutsch-spanische Journalist Romero lange Zeit den Eindruck, ähnlich Don Quixote gegen Windmühlen zu kämpfen. Er muss Beweise finden ...

Schreiben für die Erwartungshaltung der Leser - das Erfolgsrezept

„Tausend Zeilen“ setzt insbesondere auf den Kontrast zwischen den beiden Hauptfiguren: Mit minimalistischen Gesten, viel Charme und vor allem mit seinen aufsehenerregenden Reportagen trifft Bogenius den Nerv der Leser, wofür er gefeiert und mit Preisen überhäuft wird. Romero indessen hat auch zu Hause seine Probleme mit den vier Töchtern und seiner anspruchsvollen Frau Anne (Marie Burchard). Als weiteres Stilmittel spricht der von Elyas M´Barek dargestellte Juan Romero immer wieder direkt in die Kamera: Er teilt unmittelbar dem Zuschauer den jeweiligen Stand seiner Recherchen mit.

Über die durchaus aufwändig fotografierten, teilweise exotischen Landschaften hinaus konzentriert sich der Film auf die Darsteller. Daraus folgt eine Tragikomödie mit ernsten und auch komödiantischen Zügen, die teilweise auch die Züge eines Thrillers annimmt.

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José García

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