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Jonathan Nolan: Zwischen Spektakel und hohem Anspruch

Mit „Westworld“ und „Person of Interest“ erschuf Jonathan Nolan spannende und nachdenklich stimmende Science-Fiction-Serien. Sein Serienuniversum soll sich nun noch weiter ausdehnen.
Jonathan Nolan mit Ehefrau Lisa Joy
Foto: Imago | Der Drehbuchautor, Produzent und Regisseur Jonathan Nolan (hier mit Ehefrau Lisa Joy) gehört gegenwärtig zu den umworbensten Serienerfindern.

Die Roboter sind wieder los: Seit kurzem ist in Deutschland die 4. Staffel der opulenten US-Science-Fiction-Serie „Westworld“ zu sehen. Die hierzulande bei dem Sky-Nachfolge-Streamingdienst Wow laufende HBO-Serie gilt seit ihrem Start im Jahr 2016 mit Produktionskosten von 100 Millionen US-Dollar pro Staffel als eines der teuersten, aber auch polarisierendsten Serienprojekte der Gegenwart – und wartet neben großen Schauwerten zudem mit Fragen über die tatsächliche Existenz des freien Willens sowie das Verhältnis von Mensch und Maschine auf.

„Um die Orientierungslosigkeit des Protagonisten auf die Spitze zu treiben,
ließen sich die Nolan-Brüder bei „Memento “
– der bereits 2017 in das Nationale Filmregister der USA aufgenommen wurde –
beziehungsweise dessen Handlung etwas Besonderes einfallen
und erzählten den Film in achronologischer, rückwärts ablaufender Reihenfolge“

Schöpfer der auf dem gleichnamigen Roman von Michael Crichton („Jurassic Park“) sowie den Filmen „Westworld“ (1973) und „Futureworld“ (1976) basierenden Serie ist der britisch-amerikanische Produzent, Drehbuchautor und Regisseur Jonathan Nolan. Nolan, 1976 in London geboren und in Chicago aufgewachsen, wurde gewissermaßen über Nacht berühmt, als er mit seiner im Männer-Lifestyle-Magazin „Esquire“ erschienenen Kurzgeschichte „Memento mori“ die Vorlage für den erfolgreichen und hochkomplexen Neo-Noir-Thriller „Memento“ (2000) lieferte, der sowohl für ihn selbst als auch für dessen Regisseur, seinen älteren Bruder Christopher Nolan, den großen Durchbruch und eine Oscar-Nominierung für das beste Drehbuch einbrachte.

In „Memento mori“ beziehungsweise „Memento“ geht es um den Versicherungsvertreter Leonard, der an sogenannter anterogader Amnesie, also der Unfähigkeit, neue Erinnerungen zu bilden, leidet. Ursache hierfür ist der von Unbekannten ausgeführte Mord an seiner Frau, der bei dem von Guy Pearce gespielten Protagonisten ein tiefes Trauma auslöste. Trotz seines Handicaps begibt sich Leonard auf die Suche nach den Mördern seiner Frau – und behilft sich mit zahlreichen Notizen und Tätowierungen, um die gewonnenen Erkenntnisse nicht zu vergessen. Um die Orientierungslosigkeit des Protagonisten auf die Spitze zu treiben, ließen sich die Nolan-Brüder bei „Memento “– der bereits 2017 in das Nationale Filmregister der USA aufgenommen wurde – beziehungsweise dessen Handlung etwas Besonderes einfallen und erzählten den Film in achronologischer, rückwärts ablaufender Reihenfolge.

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Erfolgreiche Brüder im Filmgeschäft

Die beiden Brüder arbeiteten im Verlauf der Jahre weiter an ungewöhnlichen Blockbustern wie der „The Dark Knight“-Trilogie um den Superhelden Batman (2005-2012), dem Magierfilm „The Prestige“ (2006) und dem Science-Fiction-Film „Interstellar“ (2014) zusammen. Doch auch auf eigene Faust und ohne seinen großen Bruder Christopher, der im Alleingang anspruchsvolle Filmhits wie „Inception“ (2010), „Dunkirk“ (2017) und „Tenet“ (2020) realisierte und gegenwärtig an einer Filmbiographie über den US-Atomwissenschaftler Robert Oppenheimer arbeitet, konnte sich Jonathan Nolan ebenfalls als großer Geschichtenerzähler etablieren – zwar nicht im Kino, dafür aber auf dem Fernsehbildschirm.

So startete 2011 auf dem US-Fernsehsender CBS und hierzulande 2012 bei RTL die von ihm konzipierte Krimiserie „Person of Interest“, die ebenfalls mit einer besonderen Prämisse aufwarten konnte: Der mysteriöse Tech-Milliardär Harold Finch (Michael Emerson, „Lost“) entwickelt nach den Anschlägen vom 11. September 2001 für die US-Regierung ein Computerprogramm beziehungsweise eine Künstliche Intelligenz, welche in der Lage ist, sowohl Terroranschläge als auch gewöhnliche Gewaltverbrechen vorauszusagen – letztere will die Regierung jedoch nicht mithilfe des Programms aufklären, welches dem moralisch sensiblen Finch keine Ruhe lässt.

Eine Entwicklung zu einer der besten Science-Fiction-Serien

Das System (in der Serie als „die Maschine“ bezeichnet) befindet sich zwar in Regierungshand, dennoch kann Finch in Form von Sozialversicherungsnummern auf deren Daten zurückgreifen – und so müssen er und sein Partner, der Ex-CIA-Agent und -US-Marine John Reese (gespielt von Jesus-Darsteller Jim Caviezel aus „Die Passion Christi“) ermitteln, ob die zu den Sozialversicherungsnummern gehörenden Personen potenzielle Opfer oder Täter sind. Schnell merken die im Verborgenen agierenden Finch und Reese, dass auch noch andere Organisationen an deren wertvoller „Maschine“ interessiert sind und müssen schließlich um ihr eigenes Leben fürchten.

Was als ungewöhnliche Krimiserie mit dem obligatorischen „Fall der Woche“ begann, entwickelte sich unter der Ägide Nolans im Laufe von fünf Staffeln bis einschließlich 2016 zu einer der laut Kritikern besten Science-Fiction-Serien aller Zeiten, die inhaltlich und visuell oftmals an die Grenzen dessen ging, was im normalen US-Fernsehen überhaupt noch zeigbar war. So behandelte die Serie neben versuchten Morden Fälle von Identitätsdiebstahl, Finanzbetrügereien, manipulierten Wahlen und künstlich erzeugten Börsencrashs und mutet aus heutiger Sicht nicht nur prophetisch, sondern auch wie eine Zeitkapsel an, mit der Interessierte erneut in die Post-9/11- und NSA-Abhöraffären-Ära unter George W. Bush und Barack Obama eintauchen können – nur um festzustellen, dass diese Ära immer noch nicht vorbei ist, sondern sich die Möglichkeiten permanenter technischer Manipulation nur noch verschärft haben.

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Künstliche Intelligenz: Helfer oder Henker?

Durch „Person of Interest“ wurde der Pay-TV-Sender HBO („Game of Thrones“, „Succession“) auf Nolan aufmerksam – und verpflichtete ihn nach dem Ende von „Person of Interest“ noch im selben Jahr für die Gestaltung von „Westworld“, wobei ihm der Sender sowohl inhaltlich als auch finanziell vollkommen freie Hand ließ. Das Ergebnis ist ähnlich wie schon bei „Person of Interest“ eine Serie, die sich neben aller Schauwerte philosophischen Fragen über das menschliche Dasein sowie die ethischen Herausforderungen stellt, vor welche Künstliche Intelligenz ihre Erfinder und Nutzer stellt. Der titelgebende Freizeit- und Themenpark „Westworld“, in welchem Besucher unter anderem in Western-, Shogun- und Kriegswelten eintauchen können und mit den menschenähnlichen Robotern – den sogenannten „Hosts“ – buchstäblich alles machen können, was sie wollen, wird zum Schauplatz einer blutigen Revolte der Maschinen – und führt diese schließlich unerkannt in die reale Welt außerhalb des Parks.

Der Versuch Nolans, gemeinsam mit seiner Ehefrau Lisa Joy bei „Westworld“ Spektakel und Anspruch miteinander zu verbinden, gelingt laut Kritikermeinung im Vergleich zur Vorgängerserie „Person of Interest“ nicht immer: Während es letztgenannter Serie möglicherweise gar qualitativ genützt hat, mit dem Budget und den Jugendschutzbestimmungen eines öffentlich-rechtlichen Senders wie CBS auskommen zu müssen und so das erzählerische Element in den Vordergrund zu rücken, verlor sich „Westworld“ im Verlauf der bisherigen drei Staffeln zuweilen trotz des Könnens aller Protagonisten vor und hinter der Kamera in erzählerischer Weitschweifigkeit, fragwürdigen Gewaltdarstellungen und simplen KI-Bösewichten á la „Terminator“.

Ohne Publikumserfolg kommt schnell das Ende

Doch immerhin: Zumindest die erste Folge der aktuellen vierten Staffel fällt neben einem Zeitsprung sowohl durch eine kohärente Handlung als auch durch eine differenzierte Charakterzeichnung auf. Möglicherweise ein Zeichen dafür, dass Jonathan Nolan bereit ist, einen Teil der Kritik an „Westworld“ anzunehmen: Denn dass eine Serie, die mehr Fragen aufwirft, als dass sie Antworten gibt, einen schweren Stand beim Publikum hat, musste vor kurzem selbst Regielegende Ridley Scott mit der thematisch ähnlich gelagerten Serie „Raised by Wolves“ erfahren, die nach lediglich zwei Staffeln inklusive offenem Ende eingestellt wurde.

Auch unabhängig von „Westworld“ bleibt Nolan dem Science-Fiction-Genre treu: So entwickelt er gegenwärtig für Amazon Prime sowohl eine Serienadaption des William-Gibson-Romans „Peripherie“ als auch eine Serienfassung des Computerspiels „Fallout“. Und für seinen Stammsender HBO wird er gemeinsam mit Regisseur Denis Villeneuve („Dune“, „Blade Runner 2049“) in bester „Memento“-Tradition bald den Roman „Der Sohn“ des norwegischen Krimiautors Jo Nesbø verfilmen.

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