Für den Politologen Maik Herold beschreibt der „Bürgerbegriff“ heute weniger eine gesellschaftliche Klasse als in der Vergangenheit. Der seit jeher facettenreiche Begriff sei über manche Selbstzuschreibung hinausgewachsen - „oder dahinter wieder zurückgefallen“, meint der an der TU Dresden forschende Professor für Politische Theorie im Gespräch mit der „Tagespost“. Was einen „guten Bürger“ ausmache, verändere sich und werde im öffentlichen Diskurs immerzu neu ausgehandelt. „Im Allgemeinen dient in modernen Demokratien der Begriff ,Bürger' dazu, sich über die Rolle des Einzelnen im Gemeinwesen zu verständigen“, so Herold. Auf den ersten Blick handele es sich dabei um eine westliche Idee, „die über Jahrhunderte europäischer Vorherrschaft und Kolonialisierung verbreitet wurde“. Es verberge sich dahinter jedoch gleichzeitig eine Vielzahl an Überlegungen, die sich auch andernorts herausgebildet hätten, wenn auch abgewandelt und mit eigener Begrifflichkeit, gibt der Politologe zu bedenken.
Das Bürgerverständnis sagt nach Auffassung Herolds auch etwas über die politische Situation in einem Land aus. Die Idee des Bürgers spiele immer dann eine Rolle, wenn die politische Herrschaft in bestimmten Rechten des Einzelnen seine Grenzen finde. „Klar ist auch, dass selbst die elementarsten Menschenrechte nach wie vor nur dort gelten, wo sie als ,Bürgerrechte' von einer funktionierenden staatlichen Ordnung für ihre ,Mitglieder' durchgesetzt werden“, so Herold. Zudem diene das Verständnis des Bürgerbegriffs auch der Legitimation politischer Entscheidungen. Hier berufe sich eine Demokratie auf eine Gemeinschaft von Bürgern, deren Rechte und Pflichten in vielen Bereichen von denen abwichen,die keine Bürger seien.
Das ausführliche Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der „Tagespost“ vom 26. April.
DT