Dem physischen ging ein sozialer Tod voraus: Nicht nur Jesu Ausgrenzung, seine Absonderung von allen Anhängern, seine Trennung von der Schar seiner Weggefährten, sondern auch seine Verlassenheit und seine Vereinsamung stehen am Beginn der Leidensgeschichte. Simon von Cyrene musste mit Gewalt gezwungen werden, sich in die Nähe des Verurteilten zu begeben. Alle anderen – Freunde wie Feinde – gingen auf Abstand. Niemand wollte oder konnte mehr mit ihm zu tun haben. Erst unter dem Kreuz versammelt sich ein kleiner Teil der versprengten Gemeinde wieder. Zuvor aber, nach der Festnahme am Ölberg, trieben alle, die um ihn herum waren, seine Bewacher und seine Schergen, ungehindert ihren Spott mit ihm.
Vernunft und Geheimnis
Die Leidensgeschichte Jesu Christi nach Matthäus – jene Perikope, die nach dem katholischen Ritus an Palmsonntag gelesen wird – berichtet, ausführlicher als die anderen Evangelien, von der Verhöhnung als Teil des jesuanischen Martyriums. Dem Leser wird auf diese Weise klar, dass der Tod Jesu eben nicht nur eine physische, sondern zugleich auch eine soziale und eine psychische Dimension hat. Eine Meditation über Allmacht und Ohnmacht. Von Christoph Böhr