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Atelierbesuch bei Thomas Jessen

Thomas Jessen, Maler, ist überzeugt: „Der Künstler ist von der Gesellschaft dafür freigestellt, den ganzen Tag Bilder zu malen“. Ein Atelierbesuch.
Thomas Jessen mit einem noch unvollendeten Werk
Foto: Peter Winnemöller | Ein Foto des Künstlers vor dem Gerüst muss sein - Thomas Jessen mit einem noch unvollendeten Werk. Mit den Altarbildern für die Kirche in Drolshagen hat er es in die Schlagzeilen gebracht: Maria trägt Jeans!

Wer Thomas Jessen besuchen will, muss tief ins Sauerland vordringen. Berge und Täler der Mittelgebirgsregion gleiten auf dem Weg sanft am Autofenster vorbei. Der Alte Bahnhof von Eslohe liegt etwas außerhalb des Ortes. Ein Haus aus der Gründerzeit erwartet den Besucher. Es ist die Zeit, zu der auch die Bahnstrecke gebaut wurde. Hohe Decken und große Räume prägen die Häuser dieser Zeit. Klingelt man an der Tür und schaut durch das kleine Fenster im Türblatt, dann schaut ein kleines, blondes Kind zurück. Erst beim zweiten Hinsehen, man möchte schon winken, erkennt man, dass es ein Bild ist. Thomas Jessen ist verheiratet und hat vier Kinder. Er hat sie alle mehrfach gemalt. Die Zeit steht still, die längst erwachsenen jungen Menschen dürfen hier noch Kinder sein.

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Es sind die ersten Bilder, die der Künstler dem Besucher zeigt. Er zeigt dem Besucher nebenbei etwas wesentliches, was seine Kunst ausmacht. Bilder stehen bei Thomas Jessen nie für sich. „Ich male Bilder immer für Räume“, erklärt er. So steht das Bild des jüngsten seiner Kinder neben einer Tür und der gemalte (Tür-)Rahmen des Bildes gleicht der Tür zum Verwechseln. Wenn Räume ein Gedächtnis haben können, dann sind die Bilder von Thomas Jessen so ein Gedächtnis. Die Zeit ihres Werdens haben sie für immer eingefangen und sie erklären sich dem Betrachter oft genug erst in dem Kontext, in dem sie entstanden sind. Der Künstler tritt auf diesem Weg mit dem Raum aber auch mit dem Betrachter in eine Beziehung. Das Bild ist für Jessen die Botschaft. „Der Resonanzraum ist der Mensch, der vor dem Bild steht“ ergänzt er und weiter: „Menschen, die über ein Bild reden, reden über sich selbst.“ Viel Resonanz beim Künstler Thomas Jessen findet Caravaggio. Oft zitiert Jessen ihn in seinen Bildern.

„Dass der Künstler Maria in Jeans abgebildet hat,
wird ihm von einigen übel genommen“

Der Weg führt weiter durch Räume mit Bildern, die durch die Bilder zu anderen Räumen werden. Der Künstler führt seinen Besucher von der Presse ins Atelier. Leise Musik läuft im Hintergrund. Ein Computer steht auf einem Rollwagen. Angefangene und fertige Bilder umgeben den Betrachter. Ein Stuhl und ein bequemer sichtlich alter Sessel stehen sich gegenüber. Thomas Jessen beobachtet die Welt, die Kirche, die Politik, seine nahe und ferne Umgebung sehr genau. Künstler sein ist für ihn eine ernste Angelegenheit. „Der Künstler ist von der Gesellschaft dafür freigestellt, den ganzen Tag Bilder zu malen“, sagt er. Das ist ein Auftrag.

Thomas Jessen wurde 1958 in Lübbecke in Westfalen geboren. Er wurde als Kind evangelisch getauft, wuchs in Eslohe auf, wo sein Vater evangelischer Pfarrer war. Später wurde sein Vater katholisch und 1979 zum Priester geweiht. Mit einem charmant provozierenden Lächeln unterstreicht er, dass er der Sohn eines katholischen Priesters sei. Thomas Jessen studierte Kunst in Düsseldorf und in Paris. Er war Meisterschüler von Alfonso Hüppi. Es folgt 1985 ein Aufenthalt in der Cité Internationale des Arts in Paris. In der französischen Hauptstadt begegnet der evangelische Deutsche dem Katholischen Frankreich. Die katholische Liturgie beeindruckte den Künstler. In der Liturgie war es vor allem dem Choral, der ihn berührte. Lange Jahre singt Jessen, der ebenfalls konvertierte, vor allem an seinem späteren Wohnort Düsseldorf in einer Choralschola.

Historische Persönlichkeiten im Hier und Jetzt darstellen

Zahlreiche Werke für die Kirche hat der Künstler geschaffen. St. Norbert in Werl wurde 2016 von ihm künstlerisch ausgestaltet. Die Fenster der Kapelle im Pauluskolleg, wo die Studenten der Religionspädagogik wohnen, die später in den Gemeindedienst gehen, sind von ihm. Ebenso das Atrium des Paderborner Doms. Das Kölner Taufbild in St. Pantaleon ist von ihm. Auch die Porträtgalerie im Palais Holnstein, dem Wohnsitz der Münchener Erzbischöfe ist von ihm. Im Jahr 2018 hat er Bischof Stefan Oster porträtiert. Die Liste ließe sich noch weit fortsetzen.

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Selten gelingt einem Künstler eine Schlagzeile. Mit seinem Altarbild war es Thomas Jessen gelungen. Die Kirche in Drolshagen, eine Kombination aus alter und angebauter neuer Kirche ist in den vergangenen Monaten renoviert und umgestaltet worden. Der Drolshagener Altar ist ein echter Flügelaltar. Das Bild hat das Thema Menschwerdung und zeigt verschiedene Aspekte der Menschwerdung Christi. Erste Gedanken hängen an der Wand. Eine Skizze zeigt Ideen und Überlegungen. Der Weg vom Gedanken zum Bild wird sichtbar. Von der Verkündigung über die Geburt hin zu Kreuzweg und Kreuzigung, sind Stationen des Lebens Jesu zu sehen. Im Vordergrund steht Maria in Jeans auf einer Leiter, was die Himmelfahrt der Gottesmutter symbolisieren soll. Dem Zweifler Thomas, ebenfalls in Jeans mit bloßen Oberkörper reicht sie ihren Gürtel. Auf der linken Seite steht Veronika gleichfalls in Alltagskleidung. Veronika kommt von vera icon, das wahre Angesicht. Das Schweißtuch der Veronika, das das wahre Angesicht zeigt, schwebt über ihr.

Über Kunst muss gesprochen werden

Das Bild erschließt sich nur scheinbar auf Anhieb. Es enthält viel mehr, als der Betrachter sofort sieht. Dass der Künstler Maria in Jeans abgebildet hat, wird ihm von einigen übel genommen. Die Diskussionen um das Bild stören den Künstler nicht. Kunst ist schließlich dafür da, dass man darüber redet. Da ist wieder der Beziehungsaspekt. Thomas Jessen versteht nicht die Kritik an einer Maria in Jeans. Er hat die Frau, die für Maria Modell gestanden hat, so gemalt, wie sie angezogen war. Das haben Künstler zu allen Zeiten gemacht. Die Außenseiten der Flügel, die den Altar schließen sind im Atelier des Künstlers noch in Arbeit (s. Foto). Während des Gesprächs im Atelier fiel der Blick immer wieder auf das Gerüst vor der weißen Leinwand und den noch schemenhaften Skizzen darauf. Ein Foto des Künstlers vor dem Gerüst muss sein. Schließlich entsteht hier etwas, was sich Menschen in Jahrhunderten noch anschauen werden. Zum Abschied geht es am Eingang des Alten Bahnhofes noch einmal an dem kleinen blonden Kind vorbei. Die Zeit ist für das Bild gefangen. Für uns geht sie weiter.

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