Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung

Sind kritische Debatten im Buchhandel unerwünscht?

Die Unruhe um „Finis Germania“ von Rolf Peter Sieferle und um „Muttertier“ von Birgit Kelle zeigt, welch geistige Enge teilweise auf dem deutschen Buchmarkt herrscht. Von Sebastian Krockenberger
Lage der Buchbranche
Foto: dpa | Wer Bücher der Öffentlichkeit vorenthält, unterdrückt Kultur.

Wie viel Diskurs verträgt der Buchmarkt in Deutschland? Das muss mittlerweile gefragt werden. „Finis Germania“ von Rolf Peter Sieferle wird von der Spiegel-Bestseller-Liste gestrichen. „Muttertier“ von Birgit Kelle wird von einer bedeutenden Buchhandlung trotz Kundennachfrage nicht ins Sortiment aufgenommen. In Berlin muss ein von zwei jungen Israelis betriebener Buchladen schließen, nachdem sie den Ursprüngen des Faschismus nachspüren wollten. Doch der Reihe nach. Rolf Peter Sieferles Essaysammlung „Finis Germania“ steht unter Beschuss. Sie wird als rechtsradikal bezeichnet. Ihre öffentliche Ächtung tut dem Verkaufserfolg keinen Abbruch. Ein Spiegel-Redakteur hatte Sieferles Buch auf die Bestenliste „Sachbücher des Monats“ von NDR und Süddeutscher Zeitung katapultiert. Trotz des Verkaufserfolges strich das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ das Buch gerade von der Spiegel-Bestsellerliste.

Rolf Peter Sieferle war Professor für Geschichte an der Universität St. Gallen. 2016 beging er Selbstmord. In „Finis Germania“ setzt er sich ohne Rücksicht auf Tabus mit der geistigen Situation Deutschlands auseinander, auch im Hinblick auf den Holocaust. In einem anderen postum erschienen Werk erklärt er, dass Sozialstaat und Masseneinwanderung nicht vereinbar seien.

Birgit Kelle kann ebenfalls von Schwierigkeiten mit dem Buchhandel berichten. Sie schrieb am 24. Juli 2017 auf Facebook: „So Freunde, das ist die Buchhandlung Wittwer in Stuttgart. Lokalmatador. Man wirbt mit dem Slogan ,Vielfalt erleben‘. Leider reicht die Vielfalt des Hauses nicht dazu aus, mein Buch ins Sortiment zu nehmen.“ Bemerkenswert ist, dass in diesem Fall – wohl mehr aus Zufall – die Motive offengelegt wurden. Kelle hat von ihrem Verlag erfahren: „Die Einkäuferin sagte am Telefon, sie sei schon mit ,Gendergaga‘ inhaltlich nicht einverstanden gewesen, und ,Muttertier‘ könnte ja nur eine ähnliche Polemik sein. So was möchte man in ihrem Laden nicht haben.“

Einen Tag später reagierte die Buchhandlung Wittwer auf ihrer Facebook-Seite: „Seit gestern erreichen uns Beschwerden, wir würden das Buch ,Muttertier‘ von Birgit Kelle unseren Kunden vorenthalten. Wir sind mit 80 000 Titeln eine der Buchhandlungen mit der größten Auswahl für Buchliebhaber mit unterschiedlichsten Interessen. Aber auch wir führen nicht jedes der rund 2,5 Millionen in Deutschland lieferbaren Bücher, sondern haben ein Sortiment.“ Anschließend wird auf die Möglichkeit der Bestellung verwiesen.

Am 28. Juli 2017 konkretisiert Kelle auf Facebook ihre Kritik. Sie bemängele nicht, „dass mein Buch nicht im Regal steht, sondern dass nachweislich Kunden, die mein Buch bestellen wollten bei Wittwer, dort die Auskunft bekamen, das Buch sei nicht erhältlich. Diese Kunden meldeten sich dann bei meinem Verlag. So haben wir überhaupt erst von der Sache erfahren. Die Nachfrage meines Verlages bei Wittwer, was da los sei, brachte dann die unverblümte Auskunft, man wolle das Buch nicht haben, weil der Einkäuferin auch ,Gendergaga‘ schon nicht gefallen hat.“

Sogar Buchhandlungen, die sich als Räume für einen freien Diskurs verstehen und eher dem linken Spektrum zuzuordnen sind, haben es zurzeit schwer. Eine solche war der Topics-Buchladen in Berlin, wie die Welt berichtet. Die beiden israelischen Betreiber Amir und Doron sind freie Geister, die das intellektuelle Abenteuer suchen. In ihrem Konzeptladen, ein Verkaufsraum mit Schaufenster zur Straße, hatten sie Boxen mit Büchern zu verschiedenen Rubriken wie „Postmoderne Western“, „Suizidale Schriftsteller“ oder „Faschisten“. Die beiden loteten dunkle, gefährliche Geisteswelten aus.

Als sie ein Gespräch über Julius Evola planten, wurde ihnen das zum Verhängnis. Der Italiener Evola (1898–1974) war Esoteriker und Faschist, er träumte von einem sakralen Führerstaat mit einem Priesterkönig an der Spitze. „Heidnischen Imperialismus“ heißt sein Hauptwerk. Topics wollte verstehen, was rechte Denker in den USA an dem Autor fasziniert. Der Antifa in Berlin war das jedoch zu viel. Es soll zu Anfeindungen gekommen sein. Die Kunden blieben aus. Nun die Schließung.

Sieferle, Kelle und Topics reißen Themen an, die auf der Tagesordnung stehen und deren offene Diskussion in Deutschland notwendig ist. Das zeigen alleine schon die heftigen Reaktionen. Man muss ihre Ansichten nicht teilen, doch es muss möglich sein, in der öffentlichen Debatte Grenzen intellektuell auszuloten und sich auch mit fremden oder gewagten Thesen auseinanderzusetzen. Dazu gehört die Beschäftigung mit Ansichten, die von einem selbst als falsch oder abwegig erkannt werden, das Ertragen anderer Meinungen. Dabei ist es gerade bei „Muttertier“ so befremdlich, dass es alleine schon zu heftigen Konflikten führt, wenn eine Frau ein entschiedenes Plädoyer für Mutterschaft vorlegt.

Der Buchhandel hat eine Schlüsselfunktion in der öffentlichen Debatte, er macht durch den Buchverkauf die verschiedensten Gedanken zugänglich. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Kirche den Index der verbotenen Bücher aufgehoben. Doch von Seiten links-orientierter Kreise werden zurzeit neue verbotene Bücher benannt, wie Sieferles „Finis Germania“ oder Kelles „Muttertier“. Unser Land hat dringend mehr geistige Freiheit nötig.

Themen & Autoren

Kirche

Eine Tagung in Stift Heiligenkreuz mit Erzbischof Georg Gänswein und Kardinal Kurt Koch befasste sich mit der Relevanz des Priestertums heute. 
18.04.2024, 13 Uhr
Leander Lott