Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, hat sich gegen eine Einführung der Widerspruchsregelung bei der Organspende in Deutschland und für die Modifizierung der geltenden Entscheidungslösung ausgesprochen. Im Interview mit der katholischen Wochenzeitung „Die Tagespost“ bezeichnete der evangelische Theologe die Bereitschaft zur Organspende als „sinnvolle und zu fördernde Haltung“, die „gelebte Solidarität mit schwerstkranken Menschen“ sei.
Es gebe jedoch keinen Beleg dafür, dass die Widerspruchsregelung zu mehr Organspenden führe. Dabrock: „Studien zeigen vielmehr, dass die Zunahme von Organspenden in anderen Ländern auf der Verbesserung der Organisationsstrukturen beruhen.“ Eine solche hatte kürzlich auch der Bundestag beschlossen. „Aber deshalb sollten wir auch abwarten, ob das was bringt“, so Dabrock.
„Schweigen als Zustimmung? Das verstehe, wer will“
Es habe sich „bewährt, bei höchstpersönlichen Fragestellungen auf Zustimmung zu setzen. Heute müssen wir sogar jeder Datenweitergabe aktiv zustimmen. Und dann soll ausgerechnet bei einer Frage, bei der es um Leben und Tod geht, Schweigen als Zustimmung gelten? Das verstehe, wer will“, so Dabrock.
Üblicherweise verfahre der Staat bei der Regelung von Sachverhalten nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dabrock: „Das heißt: wähle zuerst immer das mildeste Mittel. So könnte man die jetzige schon existierende Entscheidungslösung schärfer stellen und – wie jüngst von einer Gruppe Abgeordneter um Frau Baerbock und Herrn Pilsinger vorgeschlagen – ein Zentralregister einführen, in das sich jeder eintragen kann, ob er bereit, ist Organe zu spenden oder nicht. Dann hätten die zuständigen Stellen schnell und sicher Zugriff auf alle Organspendewilligen.“
„Massiver Wechsel in unserer Trauerkultur“
Dagegen hätte die Einführung der Widerspruchsregelung „einen massiven Wechsel in unserer Trauerkultur zur Folge“. Wer die doppelte Widerspruchsregelung favorisiere, bei der auch die Angehörigen einer Organentnahme widersprechen können, der verlange, „dass Angehörige während des Trauerprozesses aktiv werden müssen, um etwas zu verhindern, das sie nicht wollten. Ich halte das für einen ganz erheblichen Eingriff.“ Wenn nicht mehr diejenigen, die etwas wollten, darum bitten müssten, handele es sich letztlich um eine „Organabgabepflicht“. Dabrock: „Ich weiß, Herr Spahn hört das nicht gern, aber ich finde, hier muss der Wahrheit das Wort gegeben werden. Auch die Steuerpflicht hört ja nicht auf eine Pflicht zu sein, nur weil sich Einzelne davon befreien lassen können.“
DT/reh
Wie sich der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats zum Streit um das Werbeverbot für Abtreibungen und nichtinvasive Gentests äußert, erfahren Sie in der aktuellen Ausgabe der "Tagespost" vom 14. März 2019.