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Rolf Hochhuth: Nicht von dieser Welt

Der Dramatiker Rolf Hochhuth (1931-2020) wurde weltberühmt durch sein Stück "Der Stellvertreter", mit dem er antikatholische Propaganda betrieb. Ein Nachruf.
Rolf Hochhuth mit 89 Jahren verstorben
Foto: Britta Pedersen (ZB)

Rolf Hochhuth war ein "One trick pony". So nennt man im Tingeltangel jene Artisten, die zwar bloß eine einzige echte Zugnummer beherrschen, doch damit ihr Publikum über einen sehr langen Zeitraum in den Bann zu schlagen verstehen. Hochhuths Nummer war die Attitüde des unbestechlichen Aufklärers. Sein "Trick" war "Der Stellvertreter", ein in der Papierform unlesbares Theaterstück, das, vom kommunistischen Regisseur Erwin Piscator straff aufs Wesentliche zusammengekürzt und von ihm selbst im Februar 1963 in West-Berlin inszeniert, in kürzester Zeit die Bühnen der Welt erobert hat. Hochhuth selbst nannte es " ein christliches Trauerspiel". Das Stück ist nicht nur in Deutschland zum Kassenschlager geworden. Vierzehn ausländische Bühnen haben fast über Nacht die Aufführungsrechte erworben, darunter Ingmar Bergmann für das Stockholmer Dramaten, Peter Hall für die Royal Shakespeare Company London, Billy Rose für New York und Julius Gellner für das Habima National-Theater Tel Aviv. Über welches deutsche Theaterstück kann das schon sagen?

Aber damit nicht genug. Auch hinter dem Eisernen Vorhang war das Drama ein Riesenerfolg. Man übertreibt nicht, wenn man sagt, dass quasi der gesamte sozialistische Ostblock dieses Schauspiel in sein tiefrotes Herz schloß. Nicht einmal zwei Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer hat dieses Theaterstück seinen Siegeszug um den Globus angetreten. Doch auch nach 1990, als die DDR abgewickelt und der antikapitalistische Schutzwall zu Betonstaub zerschreddert wurde, ist es keineswegs in der Versenkung verschwunden.

Wer ist schon Wilhelm Tell gegen den Stellvertreter Gottes?

Offenbar hat Hochhuth ein zeitloses Werk verfasst und ist zu einer Art Schiller der Moderne geworden. Der Vergleich ist gar nicht so unsinnig, wie er sich im ersten Moment anhört. Wie der unsterbliche Friedrich, so hat auch Hochhuth den Vorteil erkannt, eine weltberühmte historische Figur zum Helden seines Schauspiels zu erheben. Hochhuth hat allerdings nicht Wilhelm Tell ins Zentrum eines Dramas gestellt, sondern einen Papst. Nichts gegen den Mann mit der rotweißen Armbrust. Aber was ist ein Schweizer Freiheitskämpfer gegen den Stellvertreter Gottes auf Erden?

Zweifellos hat Rolf Hochhuth einen unschlagbaren Einfall gehabt. Den Papst kennt jeder. Auch wer nicht katholisch ist. Den Papst kennt auch, wer die katholische Kirche für einen reaktionären Verein hält, der in einem entscheidenden geschichtlichen Augenblick unwiderruflich versagt hat. Hochhuths Papst ist nämlich nicht irgendwer. Sein Papst stammt nicht aus den Tiefen der Geschichte wie die schillerschen Tells, Philipps und Wallensteins. Hochhuths Papst ist erst am 9. Oktober 1958 gestorben und nannte sich Pius XII.
Zwar ist das Reich der Päpste nicht von dieser Welt. Aber neben den ungeheuren Kunstschätzen im Vatikan und dazu einige hundert Kirchen allein in Rom, tragen die Päpste einen noch größeren Anspruch vor sich her. Sie behaupten nämlich, im Besitz der Wahrheit zu sein. Ihr moralischer Nimbus reicht bis an den Himmel heran. Exakt diesen Heiligenschein hat ihnen Hochhuth entrissen. Im "Stellvertreter" spricht er aus, was offenbar alle Welt ahnte, aber bis dahin noch niemand zu sagen gewagt hatte. "Der König ist nackt!", hat der kleine Junge im Märchen hinausposaunt, und erst nach diesen vier Worten fiel auch bei allen anderen Bürgern der sprichwörtliche Groschen.

"Wie die Wahrheit irgendwann immer über die Lüge siegt,
so meinte Hochhuth über die mächtige Katholische Kirche siegen zu können.
Einfach so.
Mit einem Schauspiel."

Hochhuth hat auf seine Weise das Gleiche getan. Er meint herausgefunden zu haben, dass Papst Pius XII. den Holocaust hatte verhindern können. Ein großes, ein donnerndes, ein spektakuläres Wort von diesem Papst gesprochen hatte den Völkermord an den europäischen Juden gestoppt. So denkt jedenfalls Rolf Hochhuth. Doch dieser Papst habe es vorgezogen, das entscheidende Wort nicht zu sprechen. Pius XII. habe es vorgezogen zu schweigen. Davon handelt "Der Stellvertreter". Wie die Wahrheit irgendwann immer über die Lüge siegt, so meinte Hochhuth über die mächtige Katholische Kirche siegen zu können. Einfach so. Mit einem Schauspiel. Das war schon ein starkes Stück. So jedenfalls lautet die Fama über diesen Theatercoup.

Hochhuth wollte eine Schwarze Legende erschaffen

Zur historischen Wahrheit gehört: Hochhuth wollte antikatholische Propaganda betreiben. Darum hat er nur die Quellen verwendet, die zu seinen Schweigethesen passen. Ob Hochhuth, der vor dem "Stellvertreter" den Bertelsmann Lesering betreut hat und eine Wilhelm Busch-Gesamtausgabe publizieren durfte, der Stoff für sein Trauerspiel von sowjetischen Geheimdiensten zugespielt worden ist, wird schlussendlich vermutlich nicht zu beweisen sein. Fest steht jedoch, Hochhuth hat es geschafft eine Schwarze Legende in die Welt zu setzen.

Eugenio Pacelli, Pius XII., war bis zu seinem Tode 1958 außerordentlich beliebt. In Deutschland und überall in der Welt und sogar in Israel. Das hat sich nach dem "Stellvertreter" grundlegend geändert. Auch deshalb, weil Hochhuth zahlreiche Gesinnungsgenossen dabei unterstützt haben. Nach dem "Stellvertreter" konnten endlich all jene ihr Mütchen kühlen, die schon immer mit dem Vatikan abrechnen wollten. Hilfreich war dabei leider auch, dass Modernisten innerhalb der nachkonziliaren Kirche wenig Interesse daran hatten, die positive Erinnerung an Pius XII. wachzuhalten. Galt er doch im Denken, Handeln und Habitus als ein Mann von gestern.

Was motivierte Hochuth?

Bleibt die Frage, was den am 1. April 1931 im nordhessischen Eschwege geborenen und protestantisch getauften Hochhuth motiviert haben könnte, zu einem solchen Stoff zu greifen? Wer Zugang zu seinem Privatarchiv hat, wird dort einen Brief vom Juni 1958 finden, in dem der 27-Jährige freimütig gesteht, als Theaterautor weltberühmt werden zu wollen. Er wisse nur noch nicht, ob er, um dieses Ziel zu erreichen, ein Stück gegen den Bundeskanzler Konrad Adenauer oder gegen Papst Pius XII. schreiben solle. Nun, wir wissen, wie er sich entschieden hat.

Im selben Archiv befindet sich auch ein Brief Hochhuths, der an seine erste Ehefrau Marianne Heinemann adressiert war. Marianne Heinemann war die Tochter von Rose Schlösinger, die 1943 als Mitverschwörerin der Schulze-Boysen-Gruppe ("Rote Kapelle") enthauptet wurde. Die sogenannte Rote Kapelle war im Dritten Reich eine Widerstandsorganisation mit guten Verbindungen nach Moskau. Hochhuth dankt Marianne Heinemann in seinem Schreiben dafür, ihn in die Welt der sozialistischen Literatur eingeführt zu haben. Womit er das in der Moskauer Akademie für Wissenschaften verfasste Propagandaelaborat "Der Vatikan im Zweiten Weltkrieg" meint. Das ihm, seinen eigenen brieflichen Aussagen nach, die Augen für die Verbrechen der katholischen Kirche im Zweiten Weltkrieg geöffnet habe. Bekanntlich war das eine Initiation mit fatalen Folgen.

Moskaus Ziel: Delegitimierung des Vatikans

Die Moskauer Arbeitsmethoden zur Delegitimierung des Vatikans lassen sich gut auch an dem Film "Der Fall von Berlin" besichtigen. Dort gibt es eine Szene, in der jenseits der historischen Fakten Hitler davon ausgeht, dass die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion in einem Blitzkrieg besiegt hat. Um dem Sieger zu huldigen, hat sich das Diplomatische Corps vollzählig in einem prächtigen Saal in Berlin eingefunden. Hitler stolziert siegestrunken in die Versammlung. Die Diplomaten begrüßen ihn mit jubelndem "Sieg Heil" und hochgereckten Armen. Mit stolzgeschwellter Brust schreitet Hitler das Spalier ab, um schließlich vor Cesare Orsenigo, dem Nuntius des Papstes, Halt zu machen.

"Hitler und der Nuntius des Papstes als Bruder im Geiste.
Genau das wollte Stalin der Welt in dieser Szene erzählen,
und Hochhuth hat diese perfide Lüge
im "Stellvertreter" getreulich aufgegriffen
und mit dem Völkermord an den europäischen Juden verquickt."

Traditionell ist ein papstlicher Nuntius immer und überall der Doyen jedes Diplomatischen Corps. Als "Stubenältester" gratuliert er "dem Führer" zum Sieg uber den Bolschewismus. Hitler dankt Orsenigo jovial und lädt ihn ein, doch möglichst bald die Uniform eines Nazis anzulegen. Denn, so Hitler im Original auf Russisch: "Sie sind doch in Wirklichkeit ein richtiger Nazi und gehören zu uns!" Offensichtlich fasst der Nuntius diesen Satz als Kompliment auf. Er strahlt über das ganze Gesicht. Diese Sequenz passt haargenau in die sowjetische Propagandalinie "Antikommunismus führt zum Faschismus". Hitler und der Nuntius des Papstes als Bruder im Geiste. Genau das wollte Stalin der Welt in dieser Szene erzählen, und Hochhuth hat diese perfide Lüge im "Stellvertreter" getreulich aufgegriffen und mit dem Völkermord an den europäischen Juden verquickt.

In meinem Kriminalroman "Der Fall Pacelli" gesteht der dort fiktiv unter dem Namen Flor Kapp agierende Hochhuth seinem Widersacher Adrian Friedhoven: "Auf dem Gebiet der Propaganda sind die Halbwahrheiten eine wirksamere Waffe, als es die Wahrheit ist. Man ist in dem Moment besiegt, da man sich in die Defensive begibt. Ich habe das beherzigt, Friedhoven. Sehr genau sogar. Und die Katholische Kirche ist in diesem Kampf von Anfang an in der Defensive gewesen. Aus der ist sie nie wieder herausgekommen. Bis heute nicht." In diesem Augenblick fühlt sich Kapp als Sieger. Doch am Ende verschwindet er auf Nimmerwiedersehen in der Judäischen Wüste. Auf eine Fiktion, die der schwarzen Legendenbildung diente, kann man nur angemessen mit einer Fiktion antworten, die der Wahrheitsfindung dient. Rolf Hochhuth ist am 13. Mai in Berlin im Alter von 89 Jahren gestorben.

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