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Neues vom Übermenschen

Wer will, dass andere Menschen ihm vertrauen, der muss Verantwortung für sein Verhalten übernehmen und sich zu Inhalten bekennen. Von Beile Ratut
Die Generation Streaming und der Sport
Foto: dpa | Wer seine Kräfte nur für schnelle Erfolge einsetzt, führt sich und andere in die Irre.

Der Übermensch weiß nichts von Visionen außerhalb seiner selbst, er träumt nichts, hofft nichts und sehnt nichts herbei, das nicht ihn selbst zum Zentrum hätte. Der Übermensch kommt nicht auf die Idee, dass er falsch liegen könnte, dass er sich irrte; er lebt in seiner eigenen Welt. Er zweifelt nicht, er hinterfragt nicht seinen Plan. Selbst wenn man ihm nachwiese, dass er falsch liegt, lernt er nichts daraus. Ein Nachweis seines Irrtums ist ihm nur Anlass für neuen Konflikt.

Solch ein Übermensch steckt in jedem Menschen, in jedem Einzelnen: Es fällt uns nicht leicht, zuzugeben, wenn wir uns irren. Niemand stellt sich gern der Ambivalenz des Lebens, niemand reißt sich darum, die eigene Aufgeregtheit auszubremsen, um dem Anderen zuzuhören, und keiner stellt gerne seine eigenen Belange zurück, um dem Anderen Raum zu geben. Doch wenn einem etwas an einem Miteinander liegt, das kreativ, frei und freudenreich ist, wenn einem an dem anderen Menschen liegt, an Ideen, an Inhalten und an Zielen – dann tut man es dennoch.

Der Übermensch aber will davon nichts wissen. Wenn er in die Politik geht, dann behauptet er, das, was gewesen ist, sei falsch. Sein Wahlversprechen ist, alles besser zu machen – er verspricht, alle Beamten zu entlassen, schließlich genügt es ihm vollkommen, wenn er am Ruder ist. „Dienst am Menschen!“ – das ist sein Werbeslogan, aber er versteht ihn nicht. Es ist sein Anliegen nicht, eine Welt zu errichten, die allen Menschen dient – die Welt soll doch nur ihm dienen.

Manchmal hat der Übermensch die Möglichkeit, sich weit in die Welt hinauszurecken, sie mit seiner Taktik zu durchdringen. Manchmal ist er aber leise, erscheint freundlich, betulich und gesetzt. Dann erkennt man sein Wesen nur da, wo man seiner Ansicht nach aus der Reihe tanzt. Wenn er ein Haus baut, dann interessiert es ihn nicht, dass es stabil gebaut ist, dass es sich in die Umgebung einfügt, dass es in hundert Jahren noch dort stehen und anderen Freude bereiten wird. Der Übermensch kennt keine langfristigen Ziele, die außerhalb seiner selbst liegen. Sein Thron kann überall sein – wenn nicht hier, dann eben dort.

Weil der Übermensch sich nicht um Inhalte schert, interessiert ihn auch nicht, was ein Unternehmen ausmacht. Vielleicht hat einer über Jahrzehnte hinweg mit viel Können und Fleiß eine Möbelfabrik errichtet; er hat an das geglaubt, was er herstellt, hat es mit viel Freude geplant und entwickelt und ausgefeilt. Er hat seine Kunden mit seinem Wissen und seiner Verlässlichkeit überzeugt, seine Mitarbeiter mit Treue gesichert und seine Konkurrenten mit Fairness und Leistung hinter sich gelassen. Für den Meister steht Kreativität im Mittelpunkt, Freude und Geduld, Ideenreichtum und Freiheit, Demut und Können.

Der Übermensch aber sieht nur Macht und Profit: Er kauft die Möbelfabrik auf, zugunsten von Einsparungen merzt er Güte und Schöpferkraft aus – dafür installiert er ein Qualitätszertifikat, er fährt eine schlagkräftige Image-Kampagne, und keiner durchschaut die Qualitätseinbußen. Kurzfristig steigert der Übermensch den Wert der Möbelfabrik, und es hat den Anschein, als wüsste er, was er tut – die raschen Erfolge geben ihm recht.

Weil der Übermensch sich für nichts wirklich interessiert, kann er auch nichts säen; er erntet, was andere gesät haben. Für kurze Zeit ist er erfolgreich, und wenn es ihm gelingt, von einem Projekt zum nächsten zu hasten, erst die Möbelfabrik, dann ein Schuhgeschäft, dann ein Werbebüro und eine Rundfunkanstalt und ein Bergwerk, so scheint es, dass seine ganze Lebensbahn von Erfolg gezeichnet ist. Dann bekommt er eine Auszeichnung nach der anderen, Ehrungen und Applaus, Posten in den bedeutendsten Gremien und Verbänden. Andere Übermenschen scharen sich um ihn und applaudieren ihm und recken sich wiederum nach seinem Beifall – suchen sie doch selbst nur das Ihre. Doch die Stimmen derer, die sehen, wer und was er wirklich ist, werden immer leiser.

Der Übermensch ruft keine blühenden Wirklichkeiten ins Leben. Weil er nur Profit will, wo doch das Leben gedeihen könnte, gräbt er jeder Entwicklung das Wasser ab. Er ist kein Motor von Erneuerung, Tatkraft und Begabung, weil er an nichts glaubt außer an sich selbst.

Wer will, dass andere Menschen ihm wirklich vertrauen, der muss Verantwortung für sein Verhalten übernehmen – er muss sich zu Inhalten bekennen und die Folgen seines Handelns tragen. Er muss an der Verwirklichung einer Idee bauen, die ihm etwas bedeutet, er muss sich hinter seine Vorstellungen und Träume stellen, Schritte gehen, um sie zu realisieren, und die Folgen von Fehltritten erleiden. Gedeihen setzt Vertrauen voraus, Geduld, Demut, Visionen und Mühen um der Träume willen. Gedeihen setzt Wagnisse voraus, und Treue. Der Übermensch aber steht alledem feindselig gegenüber.

Wenn der Übermensch genug gestritten, gerungen, verleumdet und ausgebootet hat, dann erlangt er mit etwas Glück eine Machtfülle, die ihm die Möglichkeit verschafft, der Mitwelt sein im Grunde gemeines Wesen tief einzubläuen.

Er steht im Dienste des Durcheinanders, er hat Freude daran, alles, was ist, zu verwirren; er sagt, oben wäre unten und unten oben, gerecht wäre ungerecht und ungerecht gerecht, Trübes wäre klar und Klares trüb. Nicht der Übermensch aber ist der eigentliche „Feind“, sondern das Prinzip, an das er sich hält, das er in sein Leben lässt und das dort schließlich die Oberhand gewinnt. Während bei ausgewogenen, stimmigen und reifen Persönlichkeiten die Verantwortung des Einen dort endet, wo die Verantwortung des Anderen beginnt, verliert sich diese Grenze, wenn man an den Übermenschen gerät. Wenn er zornig ist und Macht hat, kann der Übermensch, wenn er von den Träumen eines Anderen Kenntnis hat, alles zu Fall bringen, was jenem etwas bedeutet.

Die Folge ist, dass die Mitwelt Verantwortung übernehmen muss für den Übermenschen: Man darf ihn nicht provozieren, man darf seine Aufmerksamkeit nicht auf das lenken, was einem wertvoll ist. Man muss Ruhe bewahren und ausharren, bis die Gefahr vorüber ist.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Kompendium des Übermenschen“ (ISBN 978-3-88509-130-1), das am 14. August erscheint. Der Vorabdruck erscheint mit freundlicher Genehmigung des Ruhland-Verlages und der Autorin.

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