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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn steht in der Kritik. Der Grund: Der Minister will untersuchen lassen, ob und wenn ja, welche seelische Schäden Frauen nach Abtreibungen davontragen. Ein Faktencheck, der zeigt, wie absurd die Kritik daran ist. Von Stefan Rehder
Abtreibung: Führt es bei Frauen zu Schaden an Leib und Seele?
Foto: (163989437) | Abtreibung: Führt es bei Frauen zu Schaden an Leib und Seele?

Skandal“, „Unsinn“, „rechtsextremes Gedankengut“ – so schallte es vergangene Woche Bundesgesundheitsminister Jens Spahn aus den Reihen des Koalitionspartners SPD, der Linken und der Grünen entgegen. Und das nur, weil der CDU-Politiker es gewagt hatte, zusätzliche Haushaltsmittel in Höhe von fünf Millionen Euro für die Ausschreibung und Finanzierung einer Studie zu beantragen, die untersuchen soll, ob ungeborene Kinder die einzigen Opfer sind, die Abtreibungen fordern. Oder ob nicht vielleicht doch – zumindest hier und da – auch Mütter, die ihr Kind zur Tötung durch einen Arzt freigeben oder jedenfalls nicht die Kraft aufbringen, es davor zu bewahren, auch selbst Schaden an Leib und Seele nehmen.

Eine Hypothese, die alles andere als absurd ist. Denn dass die Tötung eines unschuldigen und wehrlosen Kindes im Mutterleib in der Seele seiner Mutter keinen diese erschütternden Eindruck hinterlassen können soll, kann nur annehmen, wer entweder die Existenz der Seele leugnet oder aber die Durchführung einer vorgeburtliche Kindstötung auf der Ebene eines Besuchs im Fitnessstudio ansiedelt. Im Bundeskabinett scheint weder die eine noch die andere Ansicht mehrheitsfähig. Denn es bewilligte – was für ein Affront – die von Spahn beantragten Gelder.

Weil aber nicht sein kann, was nicht sein darf, ist das für SPD, FDP, Linke und Grüne ein Skandal. Bis zu einem gewissen Punkt ist das sogar verständlich. Denn sollten Frauen unter einem „Schwangerschaftsabbruch“ tatsächlich leiden oder gar ursächlich wegen ihm psychisch erkranken können, widerspräche dies ihrem sorgsam gepflegtem Narrativ. Diesem zufolge „befreit“ Abtreibungen Frauen vom „Gebärzwang“ der zu Frauen besonders ungerechten Natur und erlaubt ihnen, ohne Beachtung derselben allein zu bestimmen, ob, wann und wie viele Kinder sie bekommen.

Wobei auch für eingefleischte Abtreibungsbefürworter der „Schwangerschaftsabbruch“ selbstverständlich nicht das „Mittel der Wahl“ ist. Wohl aber eines, auf das Frau bedenkenlos zurückgreifen können soll, wenn der Gebrauch von Kontrazeptiva in den wenigen fruchtbaren Tagen entweder vergessen wurde oder aber nicht wunschgemäß funktionierte (einen Pearl-Index von Null garantiert eben nur Enthaltsamkeit).

Doch damit nicht genug: Zu der Erzählung, Abtreibung befreie Frauen, gehört auch das Postulat eines (Frauen-) oder gar Menschenrechts auf Abtreibung, weshalb nicht nur ein Verbot derselben in diesen Kreisen als schweres Unrecht gilt, das bekämpft werden muss. Noch schwerer wiegt der Umstand, das ein Recht, das einem schweren Schaden zufügt, wenn man es in Anspruch nimmt, unmöglich ein solches sein kann. Denn keines der tatsächlichen Menschenrechte schadet den Personen, die es ausüben.

Forscher kritisieren

Stichproben: „häufig klein, ausgewählt und nicht repräsentativ“

Damit aber die Fiktion eines Rechts auf Abtreibung aufrechterhalten werden kann, muss nicht bloß das Verbot der Werbung für vorgeburtliche Kindstötungen fallen, sondern darf auch keine Studie in Auftrag gegeben werden, die nach den möglichen Folgen einer solchen Tat für die Frau fragt.

Was nun allerdings völlig absurd ist. Denn generell untersuchen wissenschaftliche Studien auf dem Gebiet der Medizin, „wie sinnvoll oder bedenklich Behandlungen und Präparate für die Anwenderinnen und Anwender sind. Das Ergebnis soll dazu dienen, die Aufklärung und Behandlung zu verbessern und Risiken zu mindern“, erklärt die Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA), Alexandra Linder. Die Lebensrechtlerin findet es daher auch „erstaunlich“, dass sich nun „gerade diejenigen, die angeblich für Frauengesundheit und Selbstbestimmung eintreten“, gegen eine solche Studie wendeten. Und in der Tat: Wäre Abtreibung eine medizinische Dienstleistung wie jede andere auch, wie Abtreibungsbefürworter nicht müde werden zu suggerieren, dann müssten sie ein geradezu genuines Interesse an den Ergebnissen der von Spahn geplanten Studie haben. Zumal bislang erschienene Studien kein einheitliches Bild zeichnen und hinsichtlich der Qualität der dabei erhobenen Daten sowie der Methodik erhebliche Unterschiede aufweisen.

Die bislang umfangreichste Meta-Studie erschien 2011 im „British Journal of Psychiatry“. (Coleman, P.K., Abortion and mental health: quantitative synthesis an analysis of research published 1995–2009. British Journal of Psychiatry, Volume 199, Issue 3, 2011, Seite 180–186). Für sie untersuchte Priscilla Kari Coleman von der Bowling Green State University in Ohio 22 Studien mit insgesamt 877 181 Teilnehmerinnen, von denen 163 831 eine Abtreibung hatten durchführen lassen. Das Ergebnis: Frauen, die sich einer Abtreibung unterzogen, wiesen im Vergleich zu Frauen, die ihr Kind zur Welt brachten, ein um 81 Prozent erhöhtes Risiko auf, psychische Probleme zu entwickeln. Rund zehn Prozent der tatsächlich auftretenden Probleme wurden dabei ursächlich auf die Vornahme einer vorgeburtlichen Kindstötung zurückgeführt. So litten Frauen nach einer Abtreibung im Vergleich zu Frauen, die nicht abgetrieben hatten, signifikant häufiger unter Angstzuständen und Depressionen. Auch Suizidversuche und Suizide seien unter Frauen, die ihr Kind abgetrieben hatten, signifikant öfter zu finden gewesen.

2015 erschien im „Journal of Pregnancy“ eine weitere Meta-Studie, die aus 7 912 Studien 48 auswählte, die die Einschlusskriterien erfüllten. Die Studie, die die psychischen Belastungen von Frauen sowie Männern durch sämtliche Formen des „Fortpflanzungsverlustes“ miteinander vergleicht (Fehl- und Todgeburten, Tod von Neugeborenen, medizinisch indizierte und nicht medizinisch indizierte Abtreibungen, nach oder ohne künstliche Befruchtungen), ist vor allem deshalb interessant, weil sie einen Mangel an Forschung auf diesem Gebiet konstatiert. Dies gelte, so die Autoren, ganz besonders für die Erforschung von psychischen Belastungsstörungen nach einer Abtreibung. Hier seien die Stichproben „häufig klein, ausgewählt und nicht repräsentativ“. Die „meisten Studien“ berichteten über Daten, die nicht länger als ein Jahr nach dem „Fortpflanzungsverlust“ erhoben würden und daher „keine Schlüsse über die langfristigen Folgen“ erlaubten. Wie die Autoren weiter schreiben, sei dies eine „gravierende Einschränkung“.

Daneben kommt die Studie aber auch zu einer ganzen Reihe von Ergebnissen, die sowohl Abtreibungsbefürworter einerseits, als auch Abtreibungsgegner andererseits in einigen ihrer Ansichten bestätigen. Zu Ersterem zählt etwa, dass Frauen in Ländern mit restriktiven Abtreibungsgesetzen nicht seltener über psychische Probleme nach Abtreibungen berichten als in Ländern, in denen diesbezüglich liberale Regeln gelten. Hier merken die Autoren, ohne sich festzulegen, immerhin an: „In der Tat scheint das Gegenteil richtig zu sein.“

Die meisten Studien erlauben keine Schlüsse über langfristige Folgen

Andererseits stützt die Studie die Annahme, dass psychische Belastungen nach medizinisch nicht indizierten Abtreibungen häufiger auftreten als nach irgendeinem anderen „Fortpflanzungsverlust“, und dies nicht nur bei Frauen, sondern – wenngleich in geringerem Umfang – auch bei Männern. Und noch etwas stellten die Forscher fest: Je höher die Qualität der Beziehung von Kindsmutter und Kindsvater ist, desto geringer ist das Risiko, dass eine Frau nach einem Fortpflanzungsverlust psychische Folgeschäden erleidet.

Ähnlich interessant für beiden Seiten dürfte der 2008 erschienene Report der Arbeitsgruppe „Mentale Gesundheit und Abtreibung“ der US-amerikanischen Vereinigung der Psychologen (APA) sein, der 17 Risikofaktoren ermittelt, die zu psychischen Problemen von Frauen nach Abtreibungen führen. Interessant deshalb, weil der Report einerseits zwar keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Auftreten psychischer Belastungen und Abtreibung konstatiert, sondern diese mit dem Umfeld und den Persönlichkeitsmerkmalen der jeweiligen Frauen assoziiert (geringes Selbstwertgefühl, der Gebrauch von Vermeidungs- und Verdrängungsstrategien zur Problembewältigung und anderes mehr), andererseits aber eben bestätigt, dass Abtreibungen sich für bestimmte Frauen in bestimmten Lebenssituationen sehr wohl nachteilig auf deren psychische Gesundheit auswirken (American Psychological Association Task Force on Mental Health and Abortion. Report of the task force on mental health and abortion. Washington, APA 2008).

Dagegen führt eine der wenigen, ebenfalls in den USA durchgeführten Langzeitstudien immerhin 8,7 Prozent aller mentalen Störungen direkt auf Abtreibungen zurück. Für die 2016 erschienene Studie (Sullins, D.P., Abortion, substance abuse and mental health in early adulthood: Thirteen-year longitudinal evidence from the United States. SAGE Open Medicine, 2016 (4), Seite 1–11), beobachteten die Autoren immerhin rund 8 000 US-Amerikanerinnen über einen Zeitraum von 13 Jahren.

Fazit: Es gibt überhaupt keinen Grund, die vom Bundesgesundheitsminister geplante Studie für unsinnig oder überflüssig zu halten. Im Gegenteil: Die bisherige Datenlage schreit geradezu nach einer Studie, die methodisch über jeden Zweifel erhaben ist. Anders als von einigen Abtreibungsbefürwortern behauptet, ist auch keinesfalls strittig, dass Frauen nach Abtreibungen – zum Teil schweren – psychischen Schaden erleiden, sondern nur, was dafür letztlich ursächlich ist. Die Tat selbst oder aber die Persönlichkeitsstruktur der Schwangeren sowie die Bedingungen des Umfeldes, in dem sie lebt.

Wer Frauen in solchen Situationen nicht allein lassen will, der muss hier mehr wissen wollen. Wer das ablehnt, führt keinen Feldzug für vermeintliche Frauenrechte, sondern bloß einen für die Abtreibungslobby, die sich mit vorgeburtlichen Kindstötungen eine goldene Nase verdient.

 

Kurz gefasst


Frauen, die abgetrieben haben,

  •   besitzen ein stark erhöhtes Risiko, psychisch zu erkranken (+ 81 Prozent),
  •   bilden häufiger Süchte aus,
  •   leiden öfter an Angstzuständen und Depressionen,
  •   unternehmen häufiger Suizidversuche und Suizide.

Bisher dazu veröffentlichte Studien

  • zeichnen kein einheitliches Bild hinsichtlich der dabei
    verwandten Methodik und der Qualität der erhobenen Daten,
  • erstrecken sich in der Mehrzahl über kurze Zeiträume(kaum Langzeitstudien),
  • führen psychische Belastungen teils auf das Abtreibungsgeschehen,
     teils auf die Persönlichkeit der jeweiligen Frauen und ihr spezifisches
    Umfeld zurück.

Fazit: Benötigt wird mehr, nicht weniger Wissen. 

DT/reh

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