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Kaiser Trajan: Ein „idealer“ Herrscher

Vor genau 1 900 Jahren starb der römische Kaiser Trajan. Die antike Geschichtsschreibung hat ihn erheblich stilisiert – ein illustratives Beispiel für die Idealisierung von Herrschaft überhaupt. Von Tobias Klein
Kaiser Trajan: Roma Caput Mundi exhibition opening
Foto: dpa | In Ausstellungen wird der römische Kaiser Trajan, der vor 1 900 Jahren starb, bis heute verehrt – doch sein Wirken war ambivalent.

Als der römische Kaiser Marcus Ulpius Traianus – kurz Trajan – am 8. August 117, auf dem Rückweg von einem Feldzug gegen die Parther, in Selinus im Süden der heutigen Türkei starb, hatte das Römische Reich die größte Ausdehnung seiner Geschichte erreicht und war auch im Innern durch umfangreiche Infrastrukturmaßnahmen und Städtegründungen wirtschaftlich und sozial konsolidiert. Angesichts dieser Bilanz überrascht es nicht, dass Trajan als der fähigste und erfolgreichste römische Herrscher neben Augustus in die Geschichte eingegangen ist.

Das Ausmaß der Idealisierung Trajans und seiner Regierungszeit in der antiken Geschichtsschreibung dürfte dennoch mit einiger Skepsis zu betrachten sein. Vielfach waren die Historiker der Antike weniger an der akkuraten Wiedergabe von Fakten interessiert, als an modellhaft-exemplarischer Stilisierung. Im Falle Trajans erscheint es besonders bemerkenswert, dass ihm der Titel „optimus princeps“ – das heißt „bester Herrscher“ – bereits in der Frühzeit seiner Regierung vom Senat verliehen wurde und ab dem Jahr 103 auch auf Münzen geprägt wurde. Dieser Umstand lässt darauf schließen, dass die Stilisierung Trajans zum idealen Herrscher nicht bloß das Ergebnis seiner erfolgreichen Regierungspolitik war, sondern Bestandteil dieser Politik und in gewissem Maße sogar Voraussetzung für ihren Erfolg.

Kaiser Trajan: Herkunft und Aufstieg 

Marcus Ulpius Traianus, Nachkomme römischer Siedler in Südspanien, war Statthalter in Obergermanien, als er im Jahr 97 vom alternden und kinderlosen Kaiser Nerva adoptiert und damit zum Nachfolger designiert wurde. Nerva seinerseits war erst ein Jahr zuvor, nach dem Sturz und der Ermordung des wegen seiner Willkürherrschaft verhassten Kaisers Domitian, zum Kaiser ernannt worden; offenbar hatten die verschiedenen Interessengruppen im Staat ihn nicht zuletzt wegen seines Alters und seiner Kinderlosigkeit als einen geeigneten Kompromiss- und Übergangskandidaten angesehen, mit dessen Hilfe es gelingen konnte, Bürgerkrieg und Anarchie, wie sie 27 Jahre zuvor auf die Ermordung Neros gefolgt waren, zu vermeiden. Diese Vorgeschichte ist für die Beurteilung der Herrschaft Trajans von entscheidender Bedeutung.

Als Trajan am 28. Januar 98 vom Tod Nervas erfuhr, hatte er es keineswegs eilig, sich zum Zweck der persönlichen Machtübernahme nach Rom zu begeben; stattdessen blieb er noch fast zwei Jahre in Germanien und widmete sich dort der Grenzsicherung und der Verbesserung der Infrastruktur an Rhein und Donau. Er scheint sich seiner Machtposition demnach recht sicher gewesen zu sein.

Seinen Einzug in Rom im Herbst 99 gestaltete er nicht als Triumphzug, sondern im Gegenteil mit demonstrativer Bescheidenheit: Er überschritt die Stadtgrenze zu Fuß und begrüßte die ihn erwartenden Senatoren mit einem Kuss. Im Oktober 99 legte Trajan einen feierlichen Eid auf die Republik ab: Die Götter sollten ihn strafen, falls er wissentlich gegen das Wohl der Republik handeln sollte. Es ist interessant, dass das Römische Imperium sich nach 126 Jahren Kaiserherrschaft immer noch als „Republik“ verstand. Tatsächlich war es charakteristisch für die von Kaiser Augustus etablierte Herrschaftsform des „Prinzipats“, dass die politischen Institutionen der Republik – allen voran der Senat – pro forma bestehen blieben, ihr realer Einfluss aber durch die nahezu unbegrenzten Machtbefugnisse des „princeps“, also des Kaisers, stark zurückgedrängt und weitgehend auf symbolische Funktionen reduziert wurde.

Herrschaft und Legitimation 

Trajan setzte – in krassem Gegensatz zu seinem autokratischen Vor-Vorgänger Domitian – offenkundig darauf, den Senat mit ostentativem Respekt zu behandeln und den Senatoren so die Illusion zu vermitteln, sie hätten immer noch Anteil an der Macht im Staate. Die Senatoren dankten es ihm mit einer an Unterwürfigkeit grenzenden Ergebenheit. Exemplarisch kommt dies in einer von Plinius dem Jüngeren in einer im Jahr 100, also schon recht bald nach Trajans Einzug in Rom, verfassten Lobrede („Panegyricus“) zum Ausdruck, die den Herrschaftsantritt Trajans als den Beginn eines „glücklichen Zeitalters“ feiert.

Man kann sagen, dass es Trajan gerade dadurch, dass er sich gezielt als nicht-autokratischer Herrscher in Szene setzte, gelang, sich eine innenpolitisch praktisch unangefochtene Machtposition zu sichern. Seine „Größe“ besteht so gesehen zu einem nicht unwesentlichen Teil darin, dass er es wie nur wenige Andere verstand, die Projektion eines positiven „Image“ zur Legitimation und Festigung seiner persönlichen Herrschaft zu nutzen. Außer für seine militärischen Erfolge gegen die Daker im heutigen Rumänien und die Parther im Orient wurde er vor allem für seine persönlichen Tugenden gepriesen: Neben den traditionellen römischen Tugenden der „clementia“ (Milde), „iustitia“ (Gerechtigkeit) und „pietas“ (ein Begriff, den man mit „Frömmigkeit“ übersetzen könnte, der aber im Horizont des heidnischen Rom eine erheblich andere Bedeutung hatte als etwa im christlichen Kontext und der eher „pflichtgemäßes Handeln gegenüber Menschen und Göttern“ bedeutete) wurden Trajan auch „moderatio“ (Mäßigung), „comitas“ (Freundlichkeit) und „mansuetudo“ (Sanftmut) zugeschrieben.

Dabei wäre selbst nach traditionellen römischen Maßstäben eine gänzlich andere Beurteilung seiner Person und seiner Herrschaft durchaus möglich gewesen. Selbst seine erfolgreiche Expansionspolitik auf dem Balkan, in Armenien und Mesopotamien bot theoretisch Anlass zu Kritik, da sie gegen die von Kaiser Augustus begründete Tradition verstieß, die Grenzen des Reiches lediglich zu bewahren, aber nicht weiter auszudehnen. Zudem durften Kaiser nach römischer Auffassung ausschließlich „gerechte Kriege“ („bella iusta“) führen; unter diesem Aspekt betrachtete etwa der Historiker Cassius Dio Trajans Vorgehen bei der Unterwerfung Armeniens als moralisch fragwürdig und attestierte dem Kaiser „Ruhmsucht“. Noch erheblich schärfere Töne schlug der Rhetor Marcus Cornelius Fronto, der Erzieher des späteren Kaisers Mark Aurel, an: Er urteilte, Trajan habe Soldaten und Offiziere seinem persönlichen Ehrgeiz geopfert und es an Milde gegenüber besiegten Gegnern fehlen lassen, und bezichtigte ihn obendrein der Trunksucht. Allerdings gerieten Frontos Werke bald in Vergessenheit und wurden erst im 19. Jahrhundert wiederentdeckt.

Das Bild vom "guten Kaiser" Trajan 

Alles in allem erwies sich das Bild vom „guten Kaiser“ Trajan als so dominant und wirkmächtig, dass es auch die christliche Trajan-Rezeption auf bemerkenswerte Weise prägte. Wie aus dem Briefwechsel des Kaisers mit Plinius dem Jüngeren, damals Statthalter von Bithynien und Pontus im Norden der heutigen Türkei, hervorgeht, befürwortete Trajan ausdrücklich die Todesstrafe für Christen, die sich weigerten, ihrem Glauben abzuschwören und den römischen Göttern Opfer darzubringen. Rund drei Jahrhunderte später hatte sich die Fama von der Güte, Gerechtigkeit und Sanftmut Trajans jedoch so sehr verfestigt, dass der spätantike Kirchenschriftsteller Orosius, ein Schüler des Augustinus, sich in seinem Hauptwerk „Historiae adversum Paganos“ (circa 417) veranlasst sah, die Haltung des Kaisers gegenüber den Christen als „Irrtum“ zu entschuldigen. Dazu, dass Trajan in der christlichen Überlieferung einen so guten Ruf genoss wie kein anderer heidnischer römischer Kaiser – einschließlich solcher, die dem Christentum tolerant oder sogar wohlwollend gegenüberstanden, wie etwa Severus Alexander (222–235) oder Philippus Arabs (244–249) –, mag es auch beigetragen haben, dass Konstantin der Große, der erste christliche Kaiser, Trajan als Vorbild betrachtete und ihm im Stil seiner öffentlichen Selbstrepräsentation nacheiferte.

Im frühen Mittelalter entstand sogar eine christliche Legende, die die Gerechtigkeit Trajans illustrieren sollte: Auf dem Weg zu einem Feldzug sei der Kaiser von einer armen Witwe aufgehalten worden, die ihn angefleht habe, ihr Gerechtigkeit zu verschaffen; auf ihr hartnäckiges Bitten hin habe er schließlich nachgegeben. Diese Anekdote, die eine auffällige Ähnlichkeit mit dem „Gleichnis vom ungerechten Richter und der Witwe“ (Lukas 18, 1–8) aufweist, soll Papst Gregor den Großen (590–604) dazu veranlasst haben, für die Erlösung des heidnischen Kaisers aus der Hölle zu beten; das berichtet beispielsweise Paulus Diaconus in seiner Vita Gregors des Großen (um 770). Thomas von Aquin griff diese Legende in seiner „Summa theologica“ (circa 1265–73) auf, um zu erörtern, ob es möglich sei, aus der Hölle erlöst zu werden.

Verantwortlich für Christenverfolgungen 

Der Kirchenlehrer wies in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass Trajan „den grausamen Mord vieler Blutzeugen befohlen“ habe und darum von Rechts wegen in die Hölle gehöre; im 13. Jahrhundert hatte die fromme Legende die historischen Fakten demnach noch nicht gänzlich überlagert, wenngleich die Anekdote um Kaiser Trajan und die Witwe, die über die „Legenda aurea“ des Jacobus de Voragine (um 1264) Eingang in zahlreiche volkstümliche Legendensammlungen fand und auf die auch Dante Alighieri im 10. Gesang seines zwischen 1307 und 1321 entstandenen „Purgatorio“ anspielt, erheblich größere Breitenwirkung entfaltet haben dürfte, als das historische Wissen um die von diesem Kaiser verantworteten Christenverfolgungen.

Daran, Kaiser Trajans Ruf als „idealer Herrscher“ bis in die Moderne hinein zu befestigen, hatte jedoch ein entschiedener Gegner des Christentums wesentlichen Anteil: der vom Rationalismus der Aufklärung geprägte Historiker Edward Gibbon (1737–1794), der die Geschichte der christlichen Religion als „Mixtur aus Irrtum und Korruption“ bewertete und in seinem Hauptwerk „Verfall und Untergang des römischen Imperiums“ den Aufstieg des Christentums für den Niedergang der antiken Weltmacht Rom verantwortlich machte. In Gibbons Sicht auf die römische Geschichte erscheint die Ära der sogenannten „Adoptivkaiser“ – und insbesondere Trajans – als die „glücklichste und fortschrittlichste“ Phase der gesamten Menschheitsgeschichte – dank der „Rechtschaffenheit und Weisheit“ von Herrschern, „die sich an der Idee der Freiheit erfreuten und zufrieden waren, sich selbst als die verantwortlichen Verwalter der Gesetze zu betrachten“.

Im gleichen Atemzug hebt der Historiker aber auch die „absolute Macht“ der Kaiser als ein positives Merkmal jener Zeit hervor. Trajan und seine Nachfolger bis zu Mark Anton erscheinen bei Gibbon somit geradezu als Urbilder des aufgeklärten Absolutismus.

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