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„Jojo Rabbit“: Hitler-Doppelgänger als Ratgeber

Der Spielfilm „Jojo Rabbit“ bietet eine nicht verharmlosend wirkende, sondern entlarvende Parodie auf den Nationalsozialismus. Im Mittelpunkt steht eine Liebe zwischen Mutter und Sohn.
„Jojo Rabbit“
Foto: 3535 | Hitler-Doppelgänger als Ratgeber

Muss eine Komödie über Hitler zwangsläufig verharmlosend wirken? Oder umgekehrt gefragt: Darf über Adolf Hitler gelacht werden? Übrigens: Die Frage stellte sich ebenfalls im Zusammenhang mit einem weiteren Massenmörder, als die Politsatire „The Death of Stalin“ (DT vom 29.3.2018) vor knapp zwei Jahren in die Kinos kam.

Über Dani Levys „Mein Führer. Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ (DT vom 13.1.2007) und über „Er ist wieder da“ (2015) von David Wnendt entbrannte deshalb eine heftige Diskussion. So erklärte etwa die Publizistin Lea Rosh: „Ich sehe keine Möglichkeiten, Hitler lächerlich zu machen – es sei denn, man ist ein Genie wie Charlie Chaplin“. In „Der große Diktator“ (1940) hatte Chaplin zwar Hitler und die NS-Ideologie parodiert. Allerdings erklärte er in seiner Autobiographie, er hätte den Film nicht gedreht, wenn er 1940 schon Kenntnis von den Konzentrationslagern gehabt hätte. Der andere Klassiker untern den Hitler-Parodien, Ernst Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ (1942), macht sich eigentlich über ein Hitler-Double lustig.

Begeisterung trotz herannahendem Kriegsende

Einen ähnlichen Weg geht der nun anlaufende Spielfilm „Jojo Rabbit“ von Taika Waititi. Im fiktionalen Falkenheim, einem idyllisch-altmodischen Städtchen, haben zwar die Nazis noch das Sagen, doch der Krieg geht spürbar dem Ende zu. Der zehnjährige Johannes, Jojo genannt (Roman Griffin Davis), ist Feuer und Flamme für die Hitlerjugend, was bereits zu Beginn deutlich wird, als der Junge sich in Uniform im Spiegel selbstbewusst betrachtet. Der von der allgegenwärtigen Propaganda eingelullte, gutgläubige Jojo kann sich endlich dem Jungvolk anschließen.

Das Selbstbewusstsein geht ihm jedoch schnell abhanden, als er es nicht übers Herz bringt, einen Hasen zu töten, was bei einem Ausbildungswochenende als Mutprobe gedacht war – deswegen erhält er den Spitznamen „Rabbit“. Wie gut, dass Jojo ein imaginärer Freund zur Seite steht, ein clownesker Hitler-Doppelgänger (dargestellt von Drehbuchautor und Regisseur Taika Waititi selbst). Auch wenn seine Mutter Rosie (Scarlett Johansson) Jojo über alles liebt, vermisst der Junge seinen an der Front stehenden Vater. Deshalb stellt die Hitlererscheinung für ihn eine Verschmelzung des „Führers“ mit der Vaterfigur dar. Von ihm bekommt Jojo zu hören, er sei der „beste, loyalste kleine Nazi“, den er getroffen habe.

"Führer" und Vaterfigur verschmelzen

Jojos Weltbild bekommt kräftige Risse, als er entdeckt, dass seine Mutter im eigenen Haus hinter der Wand das jüdische Mädchen Elsa (Thomasin McKenzie) versteckt. Der Junge ist verwirrt: Einerseits wäre es seine Pflicht, Elsa und auch seine Mutter zu melden. Andererseits ist dieses Mädchen ganz anders als die eindringliche antisemitische Propaganda verbreitet hat. Ganz abgesehen davon, dass er seine Mutter vergöttert. Richtig gefährlich wird es, als plötzlich fünf Gestapo-Leute auf der Suche nach der Mutter auftauchen, die vom Erdboden verschwunden zu sein scheint.

Taika Waititis Nazi-Satire basiert auf dem 2014 erschienenen, bisher auf Deutsch nicht veröffentlichten Roman „Caging Skies“ von Christine Leunens, einer US-amerikanischen Schriftstellerin mit italienischer Mutter und belgischem Vater, die seit 2006 in Neuseeland lebt. Zum Hintergrund des Films gehört, dass der Regisseur die ausgelassen fröhlichen Bilder von Jojo und seinem besten Freund Yorki (Archie Yates) mit alten Wochenschau-Aufnahmen mit einer Hitler frenetisch zujubelnden Menschenmenge zusammenschneidet. Dass diese Szenen mit dem Titelsong „Komm gib mir deine Hand“, der 1964 von den Beatles aufgenommenen, deutschsprachigen Version von „I Want To Hold Your Hand“, unterlegt sind, stellt sich die Frage: Ist die „Hitlermania“ eine Spielart der „Beatlemania“?

Ambivalente Figuren

„Jojo Rabbit“ lebt zum Teil von herrlich überzeichneten Figuren, etwa der Jungvolk-Ausbilderin Fräulein Rahm (Rebel Wilson) oder des eifrigen Gestapo-Hauptmanns Herman Deertz (Stephen Merchant). Das I-Tüpfelchen setzt aber Hauptmann Klenzendorf (Sam Rockwell), der sich als Ausbilder der Hitler-Jugend durch Zynismus und Desillusionierung auszeichnet. Als schwuler Nazi ist Klenzendorf eine besonders ambivalente Figur, die durch seine „rechte Hand“ Freddie Finkel (Alfie Allen) ergänzt wird – der Regisseur bezeichnet ihn als „hundertprozentigen Anhänger von Deutschland, und noch mehr von Klenzendorf, zu dem er eine unausgesprochene Verbindung hat“. Über die Verhohnepipelung des Nazi-Regimes hinaus stellt „Jojo Rabbit“ die Mutter-Sohn-Liebe in den Mittelpunkt. In einer Schlüsselszene des Films redet Rosie mit Jojo ein ernstes Wort, wozu sie in die Rolle von Jojos abwesendem Vater schlüpft: Sie zeichnet sich einen Bart und beginnt eine Unterhaltung mit sich selbst. Rosie Betzler versteht, dass ihr Sohn von der Nazi-Propaganda verblendet wurde, aber hofft, dass er selbst das NS-Regime als Ideologie entlarven wird.

Dem Drehbuchautor und Regisseur gelingt eine teilweise erheiternde Komödie über den Nationalsozialismus, ohne die Gräueltaten des Naziregimes zu verharmlosen. Denn dazu gehört auch eine Indoktrinierung, die Kinder von ihren Eltern entfremdet. „Jojo Rabbit“ wurde vergangene Woche für sechs Oscars nominiert, darunter in der Hauptkategorie „Bester Film“.

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