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Hier wirkt der Heilige Geist

Warum das Loretto-Pfingsttreffen eine wichtige Tankstelle ist, warum er selbst mitunter zum Systemkritiker wird und wie wir den Erwählungsgedanken verlieren, erklärt der Salzburger Erzbischof Franz Lackner im Gespräch mit der „Tagespost“. Von Stephan Baier
Erzbischof Franz Lackner beim Loretto-Pfingsttreffen 2016
Foto: Loretto | Erzbischof Franz Lackner beim Loretto-Pfingsttreffen 2016 im Salzburger Dom. Er stellt auch bei diesem Pfingstfest den Dom für das Jugendtreffen zur Verfügung.

Jedes Jahr zu Pfingsten versammeln sich tausende Jugendliche, gerufen von der Loretto Gemeinschaft, im und um den Salzburger Dom: anbetend und lobpreisend, meditierend und diskutierend. Erkennen Sie als Erzbischof von Salzburg darin das Wirken des Heiligen Geistes?

Ja, schon! Das ist so etwas wie ein prophetisches Zeichen. Der Dom ist auch immer wieder gut gefüllt, zuweilen mit Menschen, die wegen Kunst und Musik kommen. Aber dass der Dom voll betender Jugendlicher ist, so dass wir die Bestuhlung entfernen müssen, das ist beeindruckend. Da kann man nur staunen und dankbar sein. Das sind gefüllte Tage! Am Abend der Barmherzigkeit ist bei den vielen Beichten zu spüren, dass junge Menschen nach Halt im Glauben suchen und mit den Herausforderungen unserer Zeit ringen. Ich freue mich immer wieder, wenn ich in ihnen eine so große Sehnsucht entdecken kann – eine tiefe Sehnsucht nach Wegweisung, letztlich nach Gott. Hier wirkt der Heilige Geist, vergleichbar dem Anfang der Kirche. Es gibt solche Berührungspunkte zwischen Himmel und Erde: Im toten Winkel einer zu sehr Institution gewordenen Kirche findet echte Berührung statt.

Haben wir uns als Kirche zu sehr auf das verlassen, was wir selbst machen, planen, organisieren können und dabei die Achtsamkeit für die Überraschungen verloren, die Gott uns bereiten möchte?

Gewiss! Der Mensch ist gut und schafft vieles – so vergisst man allerdings, dass Gott Gott ist, und Ursprung alles Guten. Das Gutsein des Menschen scheint irgendwie gegen Gott zu sprechen. Eine fatale Konstellation unserer Zeit. Selbst Euthanasie bekommt einen sehr vermenschlichten Anstrich, sogar bei Sterben und Tod wird Gott noch verdrängt. Am Anfang des Lebens scheint es ja weithin schon so: Gott wird kein Mitspracherecht mehr einräumt. Anfang und Ende des Menschen weisen aber weit ins Göttliche hinein. Hierin sehe ich die Grundproblematik unserer Zeit. Die jungen Leute geben dagegen ein großartiges Zeichen für das Leben.

Sie sagten in Ihrer Predigt zu Pfingsten 2016 im Salzburger Dom: „Wir haben das Lobpreisen verlernt“; wir sollten Gott „nicht immer nur schulmeisterlich bedrängen“. Und wir müssten wieder „lernen, was es heißt, geisterfüllt zu leben“. Wo finden sich solche Schulen des Lobpreises und des geisterfüllten Lebens?

Da muss man in die Gebetsschule Jesu gehen und das „Vater Unser“ durchmeditieren. Wenn wir uns die spirituelle Landschaft heute ansehen, müsste es ja mit „Vater unser auf Erden“ beginnen. Uns allen fällt es schwer, über den Himmel zu reden. Die Ausrichtung beim Gebet auf Gott hin, diese Grundeinstellung, dass Gott im Zentrum ist und nicht wir selbst, halte ich für entscheidend. Als Weihbischof in Graz wollte ich mir den Wahlspruch geben „Ich aber stehe daneben“. Ich weiß, das klingt missverständlich, dennoch ist es christologisch richtig: Ich stehe auch als Erzbischof von Salzburg nicht im Zentrum, denn im Zentrum steht Gott!

Verdeckt nicht sogar in der Liturgie mitunter der Aktionismus der Gläubigen diese Ausrichtung auf Gott und Seine Gegenwart? Die Präsenz Gottes scheint die Jugend aber zu faszinieren, wie bei den Loretto-Pfingsttreffen deutlich spürbar ist.

Die Lorettos führen eine Jüngerschaftsschule. Das ist sehr gut. Sie begeistern selbst Firmlinge aus allen religiösen Schichten. Am Anfang steht immer der Lobpreis. Darin liegt eine Glaubwürdigkeit, die sonst dem herkömmlichen Leben fehlt. Mit offenen Händen vor Gott treten, Ihm für das Dasein zu danken. Die Übersetzung in die Alltagstauglichkeit aller Generationen bleibt als ständige Herausforderung. Auch hier gilt es, neue Wege zu gehen. Es gibt schon einige Schulen: die Entdeckung des Geheimnisses von Nazareth in der schlichten einfache Liturgie, oder den Alpha-Kurs oder das Bibelteilen. Trotz guter Ansätze erscheint mir generell der Tiefpunkt noch nicht erreicht. Die Kirche ist, so haben Papst Benedikt und Papst Franziskus wiederholt gesagt, noch immer reich an Ressourcen, personell und finanziell, dennoch arm an Glaubenssubstanz. Ich glaube auch nicht, dass – wie einige meinen – die ankommenden muslimischen Flüchtlinge so etwas wie eine Rückkehr des Religiösen bringen werden. Es mag ein Weckruf sein. Wirklicher Glaube schöpft aber nicht aus einer Oppositionshaltung.

Die katholischen Milieus sind weithin weggebrochen. Werden da die spirituellen Tankstellen – wie die Loretto-Pfingsttreffen – nicht umso notwendiger?

Solche Tankstellen brauchen wir wie ein Stück Brot! Ich bin Gott dankbar, dass wir solche Oasen in Salzburg haben. Ich denke an das Wirken der Lorettos in St. Blasius, an die HOME Mission-Base. Da wachsen auch Berufungen. Junge Menschen von heute sind ansprechbar für Anbetung und Lobpreisen. Ich bin allerdings skeptisch, ob sich ein katholisches Milieu wieder herstellen lässt. In Österreich und im gesamten Westen Europas werden wir noch mehr leiden müssen. Diese jungen Aufbrüche gilt es in das Gefüge der Kirche sorgsam einzubauen. Gewachsenen Strukturen sind oft statisch. Hier werde auch ich zum Systemkritiker.

Wenn die geistliche, die religiöse Versteppung weiter um sich greift, ist die Oase, die Keimzelle der Erneuerung doch umso wichtiger: einerseits als missionarische Kraft nach außen, aber auch zur Erneuerung der Kirche selbst. Ist das die Funktion der sogenannten Movimenti?

Die Bewegungen haben etwas Missionarisches. Ich denke etwa an das Neokatechumenat, das sich mit seiner „missio ad gentes“ bei uns im „Neu-Heidentum Europa“ abmüht und dafür auch kirchenintern sehr kritisiert wird. Diese Gruppen fordern uns heraus, sie gehören in das Geflecht einer Diözese eingebunden. Darum bemühe ich mich, wenngleich mit mäßigem Erfolg.

Zeigt sich darin die bekannte Spannung zwischen Amt und Charisma, die es auch früher in der Geschichte der Kirche gegeben hat? Auch der heilige Franziskus musste ja darunter leiden.

Diese Spannung ist und muss da sein – überall, wo Heiliger Geist wirkt, ist etwas in Bewegung und in Spannung zu einer Kirche, die etwas unbeweglich geworden scheint. Wir haben in der Verwaltung der Erzdiözese zum Beispiel einen Betriebsrat, wie bei einem großen Betrieb üblich. Man sollte über einen theologischen Betriebsrat nachdenken, mit dem Blick auf die Regeln und das Glaubensleben! Die Aufgabe des Bischofs ist es immer, sich um der Einheit willen zu bemühen, um sowohl das Prophetische und Spontane wie das Bewährte und Festgewordene zu verbinden. Ich merke in den Schulen, vor Kindern und Jugendlichen fällt mir das Reden von Gott nicht schwer. In den Gremien ist es nicht so, dort herrscht viel Vorgefasstes, die Rede von Gott ist eher störend.

Kann es sein, dass in der relativistischen, säkularisierten Gesellschaft die Sinn- wie die Gottesfrage zumindest in der Gestalt der Sehnsucht wieder präsenter ist?

Ich entdecke bei der jungen Generation eine Neugierde nach Gott – mir scheint, weil sie eher weit weg sind. Fragen nach dem Bösen, nach der Ursünde, aber auch nach dem Sinn des Lebens treiben viele Schüler um – da ist es nicht schwer, über Gott zu reden.

Vor genau einem Jahr starteten Sie einen Zukunftsprozess für die Erzdiözese Salzburg: Was ist dafür die Motivation – und was das Ziel?

Als ich mein Amt in Salzburg übernahm, sagte man mir, es gebe für mich drei aufgelegte Elfmeter, die ich nur noch einnetzen müsse: Jugend, Kultur und ein Zukunftsprozess. In Salzburg hat es alle zehn Jahre einen großen Prozess gegeben, angefangen 1968 mit der ersten Diözesansynode. Nun naht das Jahr 2018! Vier Prinzipien stehen im Zentrum des Zukunftsprozesses. Erstens: Das Gebet muss wieder Ursprung unseres Tuns und Handelns werden. Die heilige Klara sagt: „Durch die Berührung mit Gott bin ich keusch.“ Zweitens: Impulse von außen. Selbst weltliche Systeme brauchen eine Außenperspektive. Unser Glaube basiert auf Offenbarung – Gott spricht, der Mensch hört. Ich habe heute zuweilen den Eindruck, dass wir diesen Charakter unseres Glaubens verlieren. Der christliche Glaube ist keine Naturreligion menschlicher Prägung. Das Schiff Kirche hat eine Schieflage in den Weltmeeren dieser Zeit, nicht weil es leck wäre, sondern es ist auf Gott hin geneigt. Durch diese wesentliche Hinordnung auf Gott können wir nie ganz in der Welt aufgehen. Mit anderen Worten: Kirche ist eine egalitäre Kontrastgesellschaft, wie auch das Volk Israel. Wir drohen den Erwählungsgedanken zu verlieren! Drittens: So verstandener Glaube will handeln, kann nicht in sich ruhen. Mit Papst Franziskus gesprochen: hinausgehen zu den Rändern! Viertens: Ressourcen-Check: wobei es nicht nur ums Geld geht. Jede und jeder Einzelne ist eine Ressource, der Glaube ist eine Ressource, wie auch das Salzburger Pfingsttreffen. Bei Gott ist jeder Einzelne wichtig.

Sie sehen den Zukunftsprozess vor allem als spirituellen Prozess, als geistlichen Übungsweg?

Strukturen sind wie ein Flussbett. Wenn es keine Bewegung gibt, keine Dynamik, dann brauchen wir gar nicht über Strukturen sprechen. Diese sind nicht das Lebendige, sie sind das Formgebende für das Wasser. Die Dynamik des Glaubens lässt uns über Strukturen nachdenken. Hingegen stellt sich mir die Frage, könnte es nicht sein, dass uns Gott in Europa auch eine Wüstenwanderung zutraut? Das dürfen wir nicht ausschließen.

Die Minderheiten-Rolle der Gottgläubigen, die Gottvergessenheit der Mehrheit rückt die Frage der Stellvertretung neuerlich in den Blick. Ist das nicht eine zutiefst christliche Dimension: stellvertretend für die vielen anbetend, lobpreisend vor Gott zu treten?

Jemand hat gesagt: Wir haben nicht nur Gott vergessen, sondern wir haben vergessen, dass wir Gott vergessen haben. Das scheint für nicht Wenige Realität zu sein. Das Heilige, die Gottesfurcht rückt in die Ferne! Das Gespür für heilige Orte und Schwellen ist verloren gegangen. Wie Jesus stellvertretend für alle gestorben ist, können und sollen auch wir stellvertretend leiden, beten und Gott dankbar sein. Mit der Verbindung mit Jesus stehen wir für die Menschen, die uns anvertraut sind, vor Gott.

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