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Facetten der Liebe

Martina Kreidler-Kos und Eberhard Schockenhoff debattieren mit einem engagierten Publikum über die Liebe. Dabei ging es auch um Begriff und Wesen der Ehe. Und um Sex. Von Josef Bordat
Eberhard Schockenhoff debattieren mit einem engagierten Publikum über die Liebe
Foto: Bordat


Was ist Liebe? Das Podium in der Marienschule hat sich eine große, eine für das christliche Selbstverständnis zugleich unumgängliche Frage zum Thema gewählt. In einem überfüllten Klassenraum stellten sich ihr Martina Kreidler-Kos (Osnabrück), zuständig für Ehe- und Familienpastoral, und der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff, einer der profiliertesten Ethiker aus den Reihen der Kirche; leider musste Marc Röbel, der Geistliche Direktor der Katholischen Akademie Stapelfeld, kurzfristig seine Teilnahme absagen. Für eine umsichtige Moderation sorgte Ulrich Hoffmann.

Eberhard Schockenhoff hat in seiner „Grundlegung der Ethik. Ein theologischer Entwurf“ (2007) die Liebe als christliche Tugend im Sinne der Agape einen „sittlicher Grundakt“ genannt, „in dem der Mensch mit Zustimmung, Gutheißung und Urvertrauen dem Geschenk des Seins antwortet“. So werde sie zum „Strukturprinzip, das den Grund, die Form und das Ziel des christlichen Lebens und Handelns bestimmen soll“. Das kleine, aber feine Podium konkretisierte diese Formel und kam so auch auf das katholische Eheverständnis zu sprechen, das vom gesellschaftlichen abweicht.

In seinem Eingangsvortrag erinnert Schockenhoff, dass die Frage der Veranstaltung die Grundfrage des Menschseins zitiere, da die Liebe das Grundwort der Ethik, des Christentums und der menschlichen Sinnsuche sei. Gott wirke aus Liebe, um seine Bejahung der Welt auszudrücken, die sich zugleich in der Liebe des Menschen zeige, der Liebe zu Gott und zum Mitmenschen. „Wenn wir das Christentum mit einem Wort bezeichnen wollten, dann ist es 'Liebe'“, so Schockenhoff. Dabei unterschied der Moraltheologe die Dimensionen der Liebe – die agape, das Wort, das in der Bibel für „Nächstenliebe“ steht, die philia („das einander Freund sein“) und den eros (das „Begehren“). Ihm gehe es darum, die Verengung des Liebesverständnisses in unserer Gesellschaft aufzubrechen, denn Liebe erschöpfe sich nicht in gefühlsbetonter Intimität. Das Gefühl gebe der Liebe zwar Kraft, doch der Wille, dem Anderen Gutes zu tun, gebe ihr „langen Atem“. Liebe sei die „Summe des Gebots“, zugleich gebe sie dem Einzelnen die Chance, „Geborgenheit zu organisieren“. Die ganze Komplexität des Begriffs tritt in der theologischen Analyse zutage.

Konkret wird es mit der Pastoral. Martina Kreidler-Kos nennt aus ihrer Erfahrung als Mitarbeiterin in der Ehe- und Familienpastoral vier Aspekte der Liebe in der erotischen Perspektive – gemeint als Zweierbeziehung auf der Gefühlsebene. So verstandene Liebe sei Freude, Turbulenz, Gottesgabe und Mühe zugleich. Liebe ohne Schmerz mag es geben, aber nicht ohne Freude, so Kreidler-Kos im Anschluss an Papst Fanziskus' „Amoris laetitia“. Zudem ergebe sich aus der Liebesbeziehung immer ein kreatives Durcheinander, das sich auch in Fruchtbarkeit ausdrücke. Mit Bernhard von Clairvaux charakterisiert sie die Liebe als Geschenk Gottes, das als solches behandelt werden will: Wer in der Liebe etwas anderes sucht als Liebe, verliert sie. Wahre Liebe sei ohne Berechnung, doch mit Lohn. Schließlich verlange die Liebe in Ehe und Partnerschaft Geduld, die sprichwörtliche „Liebesmüh“.

In der Diskussion tritt doch wieder recht schnell das auf Erotik verengte Liebesverständnis zu Tage, das in unserer Zeit vorherrscht – fasst alle Fragen drehten sich um Sexualität. Schockenhoff stellte klar, dass die Dauerhaftigkeit der Liebe in der Paarbeziehung heute ein Problem sei: 40 Prozent der Ehen scheitern bereits nach kurzer Zeit. Das Projekt „Ehe für immer“ wird schwieriger – durch abnehmende soziale Verbindlichkeit, die gewachsene Optionenvielfalt, aber auch durch die höhere Lebenserwartung. Lebenslange Treue erfordere daher besonders heute auch „Härte gegen sich selbst“ und „Wachsamkeit vor erotischen Versuchungen, die es geben kann“. Bei der Sexualität gehe es immer um die Anerkennung der Personalität des Partners. Schockenhoff verteidigte insoweit die Moralisierung der erotischen Dimension von Liebe in der katholischen Lehre. Wenn Sex nach christlicher Auffassung zwischen Personen und nicht nur zwischen Körpern stattfindet, rechtfertigt das auch eine allgemeinverbindliche Normativität für diesen höchstpersönlichen Kontext, mit deren Hilfe deutlich wird, wann Sexualität eben nicht in der erforderlichen Achtung vor dem Partner gelebt wird.

Auf die Frage der Homosexualität angesprochen, betont der Ethiker, überall dort, wo moralische Werte gelebt werden, finde moralisch Achtenswertes statt – unabhängig von der konkreten Form, in der dies erfolge. Dennoch: Die gleichgeschlechtliche Partnerschaft ist seiner Ansicht nach gegenüber der Ehe (verstanden als Partnerschaft von Mann und Frau) defizitär, denn die Erfahrung der Fruchtbarkeit bleibt der homosexuellen Beziehung verschlossen. Eine begriffliche Differenzierung sei daher keine Diskriminierung, wobei Schockenhoff schon das Leitmotiv der Debatte, Diskriminierung abbauen zu wollen, hinterfragte, weil es die Berücksichtigung der Unterschiede ausschließe. Der vehemente Widerspruch aus dem Publikum bestätigte diese These: Offenbar hatte Schockenhoff soeben jene Sagbarkeitsgrenze überschritten, die im Paradigma der Nicht-Diskriminierung aufgerichtet wurde.

Dennoch blieb Schockenhoff dabei: Die „Ehe für alle“ folge nur dem „sinnentleerten Muster der Ehe“, wie es in der Gesellschaft diskursprägend sei. Dabei falle die Fruchtbarkeit weg, es bliebe die Verantwortungsgemeinschaft. Kreidler-Kos verwies hier auf Ansätze, den Fruchtbarkeitsbegriff allen Formen von Beziehung verfügbar zu machen, dadurch dass man ihn erweitert, etwa auf ein allgemeines Kreativitätspotential bezieht, gewonnen aus der Gemeinschaftserfahrung von jedweder Partnerschaft. Dass diese Verwässerung das Konzept „Fruchtbarkeit“ im Kontext von Partnerschaft und Ehe entwertet, sollte klar ersichtlich sein. Auch, dass der Kinderwunsch homosexueller Paare „erhebliche ethische Probleme“ (Schockenhoff) aufwirft – für das Kind, zu dessen Wohl das Auseinanderfallen von biologischer und sozialer Elternschaft nicht gerade beiträgt. Dass es überdies kein „Recht auf Kinder“ gibt, wäre zu ergänzen. Doch mit dem Zauberwort „Diskriminierung“ lässt sich über kurz oder lang auch das erstreiten.

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