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Eine „Ökumene des Hasses“?

Ein Artikel der Jesuiten-Zeitschrift „La Civilta Cattolica“ über strategische Bündnisse zwischen evangelikalen Freikirchlern und „katholischen Integralisten“ in den Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch in anderen Kontinenten sorgt für Aufregung. Von Tobias Klein
Ignatius von Loyola
Foto: dpa | Die Kirche profitiert seit langem vom differenzierten Denken der Jesuiten, deren Gründer Ignatius von Loyola auf dem Gemälde (l.) zu sehen ist.

Arbeiten evangelikale Freikirchler gemeinsam mit konservativen Katholiken darauf hin, die Vereinigten Staaten mit Hilfe von Präsident Trump in ein theokratisches Regime umzugestalten? Was klingt wie eine krude Verschwörungstheorie von Internet-Trollen, die die aktuelle TV-Verfilmung von Margaret Atwoods dystopischem Roman „The Handmaid's Tale“ erheblich zu ernst genommen haben, ist tatsächlich lediglich eine leichte Zuspitzung einer zentralen These des Essays „Evangelikaler Fundamentalismus und katholischer Integralismus: Eine erstaunliche Ökumene“, der Mitte Juli in der traditionsreichen, vom Jesuitenorden herausgegebenen Zeitschrift „La Civilta Cattolica“ erschien (Vgl. DT vom 12. August 2017, S. 5). Als Verfasser des Artikels firmieren der Chefredakteur des Magazins, Pater Antonio Spadaro SJ, und Marcelo Figueroa, ein reformierter Theologe, der von Papst Franziskus persönlich als Chefredakteur der argentinischen Ausgabe der offiziellen Vatikanzeitung „L'Osservatore Romano“ ausgewählt wurde.

Ausgehend von einem historischen Abriss der Entwicklung des „evangelikalen Fundamentalismus“ in den Vereinigten Staaten seit etwa 1910 und einer Darstellung theologisch und politisch fragwürdiger Ausprägungen dieser religiösen Strömung, weisen Spadaro und Figueroa in ihrem Essay auf den – wie sie meinen – „absonderlichen“ und „erstaunlichen“ Umstand hin, dass sich zwischen „evangelikalen Fundamentalisten“ und sogenannten „katholischen Integralisten“ strategische Bündnisse entwickeln – getrieben von einem „gemeinsamen Verlangen nach religiösem Einfluss auf die politische Sphäre“. Im Zentrum dieser „Ökumene des Hasses“, die sich durch eine martialische Rhetorik, eine „manichäische“ Unterteilung der Realität in Gut und Böse und das Schüren apokalyptischer Ängste auszeichne, stehe ein „fundamentalistischer theopolitischer Plan“, der darauf abziele, ein „göttliches Königreich im Hier und Jetzt aufzurichten“. Damit, so Spadaro und Figueroa, unterschieden sich diese christlichen Extremisten, die mit der Präsidentschaft Donald Trumps ihre Stunde gekommen wähnten, nicht grundsätzlich von der Weltsicht radikaler Islamisten.

In den Vereinigten Staaten stieß dieser „Civilta Cattolica“-Beitrag auf heftige Kritik, insbesondere bei katholischen Publizisten. Auf der Website „Catholic Culture“ warf der Redakteur Phil Lawler den Autoren einen „ignoranten, maßlosen Angriff auf den amerikanischen Konservatismus“ vor, der geeignet sei, „gerade jene Amerikaner, die am ehesten geneigt wären, dem Einfluss der Kirche wohlwollend gegenüberzustehen“, vor den Kopf zu stoßen. Ross Douthat, Kolumnist der „New York Times“, attestierte dem Essay von Spadaro und Figueroa eklatante Unkenntnis der religiösen Landschaft der Vereinigten Staaten und spottete, die Informationsquellen der Autoren schienen sich in „Google-Suchanfragen und anti-evangelikalen Traktaten“ zu erschöpfen. Chad Pecknold, Theologieprofessor an der Katholischen Universität der USA in Washington, D.C., tadelte, die Autoren lieferten eine „Karikatur“ christlicher Konservativer in Amerika und wirkten, während sie diesen eine „manichäische“ Weltsicht vorhielten, „selbst ziemlich manichäisch in ihrer absoluten Ablehnung“. Übereinstimmend weisen die Kritiker des Artikels darauf hin, dass die Autoren unterschiedliche Erscheinungsformen des Evangelikalismus auf plakative und irreführende Weise miteinander vermengen und insgesamt ein sehr schiefes Bild der religiös-politischen Verhältnisse in den USA zeichnen. Insbesondere steht die These eines seit Jahrzehnten kontinuierlich zunehmenden Einflusses christlicher Fundamentalisten auf die US-Politik in offenbarem Widerspruch zu dem Umstand, dass der Stellenwert religiöser Überzeugungen in der gesellschaftlichen und politischen Meinungsbildung in den USA in jüngster Zeit rapide abgenommen hat.

Dass Spadaro und Figueroa in ihrer Darstellung des angeblichen Einflusses des „evangelikalen Fundamentalismus“ auf die Präsidenten der Vereinigten Staaten eine gerade Linie von Richard Nixon (einem Quäker) über Ronald Reagan und George W. Bush (die tatsächlich evangelikal geprägt waren) bis hin zu Donald Trump zu ziehen versuchen, der, wie die Journalistin Elizabeth Bruenig es formuliert, „in geradezu lächerlichem Maße desinteressiert an Religion“ ist, wirft ein grelles Licht auf die Konstruiertheit ihrer Thesen. Zwar hat Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl 2016 52 Prozent der katholischen und überwältigende 89 Prozent der evangelikalen Wähler für sich gewinnen können, aber in seinem Wahlkampf spielten die für religiös motivierte Wähler üblicherweise entscheidenden Themen kaum eine Rolle; für viele dieser Wähler reichte es offenbar schon aus, dass Trump nicht Hillary Clinton ist.

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch, dass Spadaro und Figueroa für die These, in einigen christlich-konservativen Zirkeln werde Trump geradezu zur gottgesandten Erlösergestalt stilisiert, auf katholischer Seite keinen anderen Beleg anzuführen wissen, als die eher randständige Website „Church Militant“, deren Bedeutung sie folgerichtig stark überbewerten.

Die Methode wirkt vertraut – auch aus dem deutschsprachigen Raum, wo in jüngster Zeit bis hinein in halboffizielle katholische Medien verstärkt vor sogenannten „Rechtskatholiken“ gewarnt und Gläubigen, die in doktrinellen, liturgischen und nicht zuletzt auch ethischen Fragen konservative Positionen einnehmen, teils mehr, teils weniger explizit eine Nähe zur AfD oder zur „Identitären Bewegung“ unterstellt wird. Hier wie dort wäre zu fragen, ob die Autoren, die gewissermaßen die Gefahr eines christlichen Pendants zum Dschihadismus beschwören, diese Gefahr tatsächlich für real halten oder bewusst ein Zerrbild entwerfen, von dem sich der eigene theologische oder kirchenpolitische Standpunkt umso vorteilhafter abheben soll.

Wie aber wäre dieser Standpunkt inhaltlich zu bestimmen? Spadaro und Figueroa verweisen wiederholt auf den „von Papst Franziskus betriebenen Ökumenismus mit diversen christlichen Körperschaften und anderen religiösen Bekenntnissen“ als Gegenentwurf zur „Ökumene des Hasses“: Die ökumenische Vision des Papstes sei bestimmt vom Streben nach „Inklusion, Frieden, Begegnung und Brückenbau“. Diese wohlklingenden Attribute bleiben inhaltlich jedoch recht unscharf. Für Irritationen sorgte nicht zuletzt die Aussage Spadaros und Figueroas, Christen dürften „das religiöse Element nicht mit dem politischen verwechseln“ (oder „vermengen“). Sofern diese Aussage auf eine prinzipielle Trennung von Politik und Religion abziele, stehe sie im Widerspruch „zum Großteil der von der Kirche produzierten Schriften über das katholische Verständnis von Politik und Religion“ und sei somit „ahistorisch und ausgesprochen unkatholisch“, erklärte Elizabeth Bruenig – wiewohl es zweifellos richtig sei, „zwischen der ewigen geistlichen und der zeitlichen Sphäre zu unterscheiden“. Eine gänzliche Entkoppelung der religiösen von der politischen Sphäre dürfte auch kaum im Sinne des Papstes sein, der sich selten scheut, auch zu politischen Fragen explizit Stellung zu beziehen. Umso mehr erscheint es unklar, was Spadaro und Figueroa meinen, wenn sie behaupten, Papst Franziskus wolle„die organische Verknüpfung zwischen Kultur, Politik, Institution und Kirche brechen“.

Wenn die „Civilta Cattolica“-Autoren zudem – an sich wohl nicht zu Unrecht – darauf hinweisen, dass die von ihnen skeptisch betrachtete Annäherung zwischen Evangelikalen und Katholiken in besonderem Maße durch gemeinsame Positionen zu „Themen wie Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe, Religionsunterricht in Schulen und anderen allgemein als moralisch oder mit Werten verknüpft geltenden Fragen“ bedingt sei, rückt im Zuge der Verdammung der sogenannten „Ökumene des Hasses“ auch das Engagement für den Lebensschutz oder für ein traditionell christliches Eheverständnis in ein bedenkliches Zwielicht. So wird begreiflich, dass Phil Lawler argwöhnt, „diese bittere Attacke auf die natürlichen Verbündeten traditioneller katholischer Lehren“ sei womöglich dadurch bedingt, dass „einflussreiche Figuren im Vatikan auf Distanz zu ebendiesen traditionellen Lehren gehen wollen, um eine neue Allianz mit der Moderne zu schmieden“.

Diese Befürchtung Lawlers mag freilich übertrieben sein. Zum Mindesten lässt sich aber konstatieren, dass im Zentrum des Konflikts zwischen den „Civilta Cattolica“-Autoren – die für sich in Anspruch nehmen, den Papst auf ihrer Seite zu haben – und ihren als Zerr- und Schreckbild an die Wand gemalten Gegnern die Frage steht, wie Christen sich gegenüber einem fortschreitenden Säkularismus in den westlichen Gesellschaften verhalten sollen. Der grundsätzliche Auffassungsunterschied, der sich hier offenbart, lässt sich in den Kategorien des sogenannten „Identität-Relevanz-Dilemmas“ beschreiben: Mit Schlagworten wie „Inklusion“, „Begegnung“ und „Brückenbau“ signalisieren Spadaro und Figueroa die Strategie, im Interesse gesellschaftlicher „Relevanz“ – das heißt, um überhaupt mit der säkularen Öffentlichkeit „im Gespräch bleiben“ zu können – auf eine allzu kämpferische Betonung der eigenen „Identität“, also fundamentaler Glaubensinhalte und darauf fußender ethischer Positionen, zu verzichten; eine Strategie, die durch jene konservativen Christen, die im Gegenteil auf eine Stärkung des eigenen „Identitätskerns“ durch Fundamentalopposition zu säkularistischen und relativistischen Tendenzen in der Gesellschaft setzen, gefährdet wird. Dass dabei gerade den Letzteren der Versuch politischer Einflussnahme unterstellt oder vorgeworfen wird, mutet allerdings etwas tragikomisch an.

Überhaupt dürfte die oben vorgenommene idealtypische Gegenüberstellung der Standpunkte zum „Identität-Relevanz-Dilemma“ in der Realität kaum so eindeutig anzutreffen sein; es ist anzunehmen, dass die tatsächlichen Positionen innerhalb beider „Lager“ erheblich nuancierter sind. Es wäre daher zu wünschen, dass die Strategie der „Begegnung“ und des „Brückenbaus“ von jenen, die sich gern auf diese Begriffe berufen, auch gegenüber ihren selbstgewählten Gegnern Anwendung findet. Gelegenheit dazu gäbe es durchaus: Erst kürzlich haben einige führende Evangelikale aus den Vereinigten Staaten als Reaktion auf den umstrittenen „Civilta Cattolica“-Artikel um eine Unterredung mit Papst Franziskus und Mitgliedern der Kurie ersucht.

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28.03.2024, 21 Uhr
Regina Einig