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Donoso Cortés' politische Theologie: Geistiger Kampf gegen Häresien

„Während sich Christen um die sterbende Umwelt sorgen, merken sie nicht, dass ihr Glaube tot ist“ – Donoso Cortés' politische Theologie. Von Michael K. Hageböck
Donoso Cortés
Foto: IN | Bereits vor hundert Jahren nahm Donoso Cortés die Ideen George Orwells in „1984“ hellsichtig vorweg.

Im Jahr 1848, da die Restauration in Frankreich scheiterte und die Revolution Europa ein neues Gesicht gab, prägte auf entscheidende Weise das Selbstverständnis von Donoso Cortés. Die politische Macht des Christentums, als deren Apologet der spanische Denker auftrat, war mit dem Sturz Fürst Metternichs vorüber. Der Schriftsteller betrachtete die Umbrüche als Konsequenzen der Reformation: „Für die heutige Gesellschaft, die im Sterben liegt, hat der Todeskampf schon begonnen. Das ist also das Ergebnis der menschlichen Zivilisation, die vor drei Jahrhunderten begonnen hat und heute zu Ende geht. Die Zivilisation göttlichen Ursprungs und katholischen Charakters hätte unserem Erdteil … eine ewige Jugend geschenkt.“

Je christlicher ein Staat, desto freier seine Bürger

Juan Donoso Cortés, Marqués de Valdegamas (1809–1853) war mütterlicherseits ein Nachkomme von Hernán Cortés, dem Eroberer Mexikos. Mit fünfzehn Jahren begann er ein Studium der Jurisprudenz in Sevilla, das er im Alter von 19 abschließt. Aus reichem und weltoffenem, aber streng katholischem Hause stammend, verfügte der Jungakademiker über eine breite Bildung, war mit Machiavelli und Voltaire ebenso vertraut wie mit den Werken Chateaubriands und Bonalds. Mit 20 wurde Donoso Cortés Inhaber des Lehrstuhls für Ästhetik und Literatur in Cáceres; drei Jahre später verfasste er eine Verteidigung der Monarchie und betrat die politische Bühne, engagierte sich im spanischen Bürgerkrieg gegen den drohenden Putsch von links, wurde Sekretär der Königin Maria Christina, ermöglichte ihr das Exil in Paris und trug dazu bei, dass ihre 13-jährige Tochter Isabelle 1843 den Thron bestieg. Zur Unterweisung der jungen Regentin schrieb er die „Estudios sobre la historia“, in denen die Gefallenheit des Menschen sowie die Vorsehung Gottes als die entscheidenden Parameter der Geschichte herausgearbeitet werden. Angesichts des ständig drohenden Umsturzes durch revolutionäre Kräfte hielt Donoso Cortés als Abgeordneter der Cortes drei Ansprachen, welche ein Zeugnis seiner politischen Theologie sind.

In seiner „Rede über die Diktatur“, gehalten am 4. Januar 1849, stellt der Denker die These auf, dass eine Gesellschaft umso freier sei, je christlicher sie ist – und dass ein Mangel an Religion zwangsläufig eine staatliche Tyrannei herbeiführe. Das Evangelium habe die Freiheit für alle Menschen gebracht, davor hätten „Tyrannen und Sklaven“ die Erde bevölkert.

Donoso Cortés beschreibt das Ansteigen des politischen „Thermometers“ mit vier Phasen: Während die Christen der apostolischen Zeit Streitigkeiten noch vor Schiedsgerichten beigelegt hätten, sei das Mittelalter die Zeit einer milden Monarchie, des Feudalismus, gewesen. In der Neuzeit seien die Herrscher absolute Monarchen geworden und hätten den Soldaten zum „Sklaven in Uniform“ gemacht. Der Absolutismus schließlich verfügte mit seinen Untertanen „über Millionen Hände“, mit seiner Polizei über „eine Million Augen“, mit der zentralisierten Verwaltung über „eine Million Ohren“. Im Zeitalter der Revolution sei aufgrund der technischen Entwicklung die politische Macht allgegenwärtig: Der Telegraph gestatte dem Herrscher, überall zu sein und habe das religiöse Thermometer unter Null gedrückt.

Interessant ist nicht nur, mit welcher Hellsichtigkeit Donoso Cortés hundert Jahre vor George Orwells „1984“ die Macht der elek-tronischen Kommunikation prognostizierte, sondern auch, dass mit dem Zurückdrängen des christlichen Glaubens der Zugriff des Staates stärker würde. Entgegen der humanistischen Propaganda, alle Unterdrückung würde von der Religion ausgehen, ahnt der Autor die Unrechtssysteme des 20. Jahrhunderts voraus. Im Vorwort einer 1948 erschienenen Ausgabe heißt es: „Die Saat des Nihilismus wurde bestellt, aus der der totale Staat erwachsen sollte.“

Zur Abwendung des Niedergangs setzt Donoso Cortés auf Buße und Umkehr: „Die Katastrophe kann nur vermieden werden, wenn wir alle, jeder nach seinen Kräften, uns bemühen, eine heilsame, religiöse Erneuerung herbeizuführen.“ Entschieden tritt der Politiker für die Reevangelisierung ein. Um die Freiheit gegen eine Diktatur der Auflehnung zu bekämpfen, hält er eine Diktatur der Regierung mitunter für geboten. Es gehe „darum, sich entweder für eine Diktatur von unten oder für eine Diktatur von oben zu entscheiden, … zwischen einer Diktatur des Dolches oder der Diktatur des Säbels. Ich wähle die Diktatur des Säbels.“

Gerd-Klaus Kaltenbrunner stellte sich in Auseinandersetzung mit Donoso Cortés die Frage: „Hätte General von Schleichers Vorschlag, die drohende Regierungsübernahme durch Hitler durch eine befristete Militärdiktatur zu verhindern, bei den Ende 1932 verantwortlichen deutschen Politikern – vor allem aber bei den demokratischen – Zustimmung finden sollen? Hätten die Attentäter im Falle eines Erfolgs am nächsten Tag die Rückkehr zur liberalen Demokratie verkünden sollen, die nicht imstande war, Hitlers Machtergreifung zu verhindern? … Kann man Dollfuß, Salazar, Kemal Atatürk, Peron oder auch Franco in eine Reihe mit Stalin, Hitler, Mao Tse-tung oder Pol Pot stellen, bloß weil sie keine Verfechter der liberalen Demokratie waren? Ich werde noch konkreter: Soll Stärke ein Vorrecht faschistischer oder kommunistischer Regime bleiben?“

In der Gegenwart muss man sich fragen, ob die Polemik gegen die Regierungen von Ungarn, Polen, Österreich und Italien deswegen betrieben wird, weil die Protagonisten der Revolution in ihnen Potentaten erkennen, die sich der Umgestaltung von Welt entgegenstellen.

Pantheismus ist die Religion der Republik

In der „Rede über die allgemeine Lage Europas“, gehalten am 30. Januar 1850, stellt Donoso Cortés dar, wie sich Gottes- und Weltbild wechselseitig bedingen. Der Spanier stellt zwei Perioden der Zivilisation gegenüber: die katholische Position einerseits, die Periode der Negation andererseits. „Jede wahre Zivilisation kommt vom Christentum… Außerhalb ist alles Barbarei, und dies ist so gewiss wie die Tatsache, dass es vor dem Christentum in der Welt keine zivilisierten Völker gab. Nicht ein einziges.“ Griechenland und Rom hätten zwar eine Kultur besessen, jedoch keine Zivilisation. Die katholische Periode kenne einen persönlichen, allgegenwärtigen Gott, der über Himmel und Erde herrscht. Dieser theologischen Bejahung entspreche politisch die Monarchie mit einem durch seine Beamten gegenwärtigen König, der seine Untertanen regiert. Dem christlich fundierten Weltbild gegenüber stehe die Periode der Verneinung, welche sich in drei Phasen aufeinanderfolgender Irrtümer gliedere: Der Gott der Deisten, welcher zwar real sei, aber nicht herrsche, entspreche einem König, welcher zwar repräsentiere, aber nicht regiere. Der Pantheist glaube an Gott, jedoch nicht an dessen persönliche Existenz; diese Vorstellung korreliere mit der Republik, in der jeder der Souverän sei, aber niemand persönlich die Herrschaft repräsentiere. Der Atheist behauptet, das kein Gott herrsche, weil es ihn nicht gäbe. Diese letzte Negation wird politisch in der Anarchie abgebildet. Mit diesen drei Analogien macht der Autor den Gerngedanken seines Essay anschaulich: „Jede bedeutende politische Frage schließt stets auch eine theologische Frage in sich ein.“

Tatsächlich stellt sich die Frage, wie die Kirche in einer pluralen Gesellschaft von der Wahrheit im Singular sprechen kann? Wie lange darf eine katholische Sicht noch öffentlich diskutiert werden, wenn Vielfalt nicht nur toleriert, sondern auch akzeptiert werden muss? Taugt Donoso Cortés' Gedankenführung, um die heutige Welt aus christlicher Perspektive zu analysieren oder dient sie lediglich der Provokation? Im deutschen Sprachraum ist der Spanier vor allem durch Carl Schmitt und Günter Maschke bekannt. Beide stehen in Verdacht, ihre politischen Thesen durch einseitige Inanspruchnahme des katholischen Antimodernismus zu verschärfen.

Was hat uns Donoso Cortés heute noch zu sagen?

Steffen Köhler geht in seinem Buch „Katholische Protestanten“ sogar so weit, Donoso Cortés eine „hegelianische Grundmatrix der absoluten Gegensätze“ zu unterstellen und einen Rückgriff auf die lutherischen Sola-Thesen. Zwar kann Köhler bei unserem Schriftsteller eine Reihe von konträren Paarungen aufweisen; diese sind jedoch weder kontradiktorisch, noch notwendig zur Begründung der oben angeführten Thesen. Die Behauptung, die Anthropologie des Schriftstellers sei zu pessimistisch, der Mensch zum Guten unfähig, verkennt, dass Gott nach Donoso Cortés zwar alles wirkt – aber eben nicht allein. Zweifelsohne bleibt der Spanier auf orthodoxem Terrain: Für ihn regiert Gott „das Weltall konstitutionell“ nach Zweitursachen. Auch der Mensch ist ein geschichtlich Handelnder.

Wie Kaltenbrunner aufzeigt, ist Donoso Cortés pragmatisch, politisch und polemisch – keinesfalls erhebt er den Anspruch, ein subtiler Theologe zu sein. In einer Zeit des Niedergangs machte er den Zusammenhang zwischen Denken und Handeln der Revolutionäre sichtbar. Manche Bemerkungen sind überspitzt, doch seine Konklusionen deswegen nicht falsch. Unser Gottesbild leidet darunter, dass wir durch das falsche Weltbild unserer Gesellschaft geprägt sind. Während sich Christen um die sterbende Umwelt sorgen, merken sie nicht, dass ihr Glaube tot ist. Die Lektüre der oben angezeigten Reden kann helfen, die Beurteilung unserer Lage aus ihrer kontemporären Befangenheit zu befreien.

Donoso Cortés verfügte über eine beeindruckende Weitsicht. Macht könne nicht nur von einem Monarchen missbraucht werden, sondern auch von einem Parlament. Interessant ist zu lesen, dass ein Ulk von damals den demokratisch legitimierten Irrwitz von heute vorwegnahm: „Die englische Verfassung ist die einzige der Welt, in der die Diktatur nicht eine Ausnahme, sondern gemeines Recht ist… Es kann alles (und das macht seine diktatorische Gewalt aus), es sei denn, es handelte sich darum, aus einer Frau einen Mann oder aus einem Manne eine Frau zu machen.“ Donoso Cortés hatte die Grenze des Wahnsinns aufgezeigt, ohne zu ahnen, dass diese tatsächlich überschritten wird. Wenn die Wahlurne divinisiert wird, kann es keinen persönlichen Gott geben, der in der Geschichte souverän handelt.

Der Spanier erinnert daran, dass die Schlacht gegen die Häresien der Neuzeit nicht politisch geschlagen werde, sondern ein geistiger Kampf sei. Letztlich gehe es weder um Macht noch um Erfolg, sondern um Erlösung: „Die höchste Würde der Bischöfe besteht nicht darin, dass sie Kirchenfürsten sind, und die des Papstes besteht nicht darin, dass er König ist; sie besteht darin, dass die Päpste und die Bischöfe, wie ihre Untergebenen, Priester sind. Ihr höchstes und unveräußerliches Vorrecht besteht nicht in der Regierungsgewalt; es besteht in der Vollmacht, den Sohn Gottes zum Sklaven ihrer Stimme zu machen, Ihn dem Vater als unblutiges Opfer für die Sünden der Welt darzubringen, der Mund und der Weg zu sein, durch den die Gnade sich mitteilt, und es besteht im obersten und unveräußerlichen Recht: zu binden und zu lösen.“

Am 3. April 1853 empfing Donoso Cortés die letzte Ölung; er starb mit den Worten: „Mein Gott! Ich bin Dein Geschöpf. Du hast verheißen: ,Ich werde alles an mich ziehen‘. Nimm mich jetzt zu Dir! Ergreife mich! Jesus meiner Seele! Gott meines Herzens.“

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