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Die Italienische Fernsehserie "il Miracolo": Eine Kritik

Warum weint Maria Ströme voll Blut? In der italienischen Fernsehserie "Ein Wunder" führt nur der Glaube zu Antworten. Von Benjamin Leven
"Ein Wunder": Szene aus der italienischen Serie
Foto: Sky Italia arte | Im Gespräch mit der blutige Tränen weinenden Figur der Mutter Gottes – Szene aus der italienischen Fernsehserie „Das Wunder“.

Man könne nicht elektrisches Licht und moderne medizinische Mittel benutzen und gleichzeitig an die Wunderwelt des Neuen Testamentes glauben, so lautete das viel zitierte Diktum Rudolf Bultmanns. Die Frage, ob es vernünftig ist, von Wundern auszugehen, hat die Philosophen der Aufklärung interessiert.

David Hume vertrat in seinem „Essay Of Miracles“ von 1748 ein geschlossen naturalistisches Weltbild und lehnte die Möglichkeit göttlicher Eingriffe in den Lauf der Dinge und eines Durchbrechens von Naturgesetzen ab. Inwiefern ein theistisches Weltbild mit so verstandenen Wundern zu rechnen hat, erörtete C.S. Lewis noch 1947 in Miracles. A Preliminary Study. Heutige Theologen scheint das Problem nicht ernsthaft zu beschäftigen. Umso mehr interessiert es Literaten und Künstler, wie etwa Sibylle Lewitscharoffs jüngster Roman „Das Pfingstwunder“ von 2016 beweist. Das Wunder als Dreh- und Angelpunkt einer Erzählung, als ihre unbeantwortete Frage und ihr mysteriöser Kern, besitzt eine große poetische Kraft.

In prachtvoller Weise stellt dies auch die achtteilige italienische Fernsehserie „Ein Wunder“ (il Miracolo) unter Beweis, die in Deutschland gerade auf Arte lief und nun auf DVD und Blu-ray erhältlich ist. Der Plot von Regisseur und Drehbuchautor Niccolo Ammaniti ist tief in abendländischen Erzähltraditionen verwurzelt und doch ganz nah am Geist der Zeit. Die Serie ist eine groteske, surreale und dennoch stringente Satire auf den politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Zustand Europas. Sie ist außerdem ein Kommentar großer und größter menschlicher Fragen: die Sehnsucht nach Liebe und die Hoffnung auf Heil, der Abgrund des Bösen und der Sinn des Leidens.

In einer grandiosen Eröffnungsszene ist zu sehen, wie ein Polizeikommando den Unterschlupf des Mafiabosses Molocco (Sergio Valastro) stürmt – und den Mafioso in einer riesigen Lache von Blut vorfindet. Doch das Blut stammt nicht von ihm oder einem Mordopfer – es quillt aus den Augen einer Plastikmadonna. Wie die Figur in seine Hände gelangt ist, darüber schweigt Molocco sich aus. Nach und nach erlebt der Zuschauer die Hintergrundgeschichte der Wunderfigur– eine vormoderne, archaische Geschichte aus dem Süden Italiens: Es geht um ein gefordertes Opfer, um stellvertretendes Sterben, um Rettung in höchster Gefahr. Die Protagonisten, die aus einer anderen, postmodernen Welt stammen, ahnen und erfahren davon nichts, erleben aber alle ihre eigene Geschichte mit der Madonna.

Vom Geheimdienst in einem leer stehenden Schwimmbad sichergestellt und von Soldaten bewacht, wird die Figur von Technikern und Wissenschaftlern untersucht – vergeblich. Sie weint neun Liter Blut in der Stunde und es gibt dafür keine wissenschaftliche Erklärung. Der italienische Ministerpräsident Fabrizio Pietromarchi (Guido Caprino) wird herbeigerufen. Der ungläubige Politiker zeigt sich ratlos, ist aber fortan in den Bann der Statue gezogen.

Carl Schmitt hat in seiner „Politischen Theologie“ (1922) das Wunder in ein Verwandtschaftsverhältnis mit dem politischen Ausnahmezustand gerückt. In der Serie befindet sich Italien vor einem Referendum über einen EU-Austritt. Der europafreundliche Premier kämpft auf verlorenem Posten, Populisten dominieren die Öffentlichkeit, eine Finanzkrise droht. Die Ehe mit der Schauspielerin Sole (Elena Lietti) ist in der Dauerkrise, während die beiden Kinder des Paares unter dem Einfluss eines sonderbaren Kindermädchens (Irena Goloubeva) stehen, das sie den Rosenkranz beten und für eine tote Krähe das Requiem anstimmen lässt.

Der Premier zieht den Priester Marcello (Tommaso Ragno) zurate. Dieser ist spielsüchtig, veruntreut Spendengelder, schaut Pornos. Vor der Madonna hat er sein Damaskuserlebnis und wird fortan zum skurrilen Herold des verborgenen Wunders. Doch niemand will ihm glauben. Der nüchterne Geheimdienstchef Votta (Sergio Albelli) macht sich mit detektivischer Spürarbeit auf die Suche nach der Herkunft der Statue. Und die Biologin Sandra Roversi (Alba Rohrwacher) verfällt auf die groteske Idee, sich einen aus der DNA des Blutes geklonten Embryo einsetzen zu lassen, weil sie hofft, so den zukünftigen Übermenschen zu erschaffen.

Der Ministerpräsident will sich von dem Rätsel nicht in die Knie zwingen lassen. Das ändert sich, als sein kleiner Sohn in Lebensgefahr gerät. Nun klagt der Politiker die Plastikfigur an: „Du hilfst doch niemandem. Was willst Du mir denn sagen? Sag mir, was ich tun soll und ich schwör Dir, ich tue es.“ Keine wissenschaftliche Untersuchung kann beantworten, was denn das Wunder zu bedeuten hat, was es sagen will. In der anderen Welt Süditaliens hatte die Madonna ihre rettende Wirkung ausüben können. Bewacht von Soldaten und untersucht von Wissenschaftlern weint die Figur zwar fässerweise Blut und bricht sämtliche Naturgesetze, aber bleibt für den Politiker stumm. Sie ist mysterium tremendum ac fascinans, doch ihre Botschaft ist nicht mehr vernehmbar.

Am Ende bereitet der Geheimdienstchef dem Problem vorläufig ein Ende. Das „eschatologische Büro“ ist wieder geschlossen, der Ausnahmezustand beendet und die Dinge nehmen wieder ihren gewohnten Lauf.

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