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Der Pappkamerad

Was von dem Referentenentwurf zur Reform des § 219a Strafgesetzbuch wirklich zu halten ist – Eine Analyse. Von Stefan Rehder
Schwangere Frau
Foto: Stock Adobe

Sprache ist verräterisch. „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch“ – so hat das „Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz“ (BMJV) den Referentenentwurf überschrieben, mit dem der Kompromiss, auf den sich die Regierungsparteien von Union und SPD nach monatelangem Streit geeinigt hatten, nun in Paragrafen gegossen werden soll. Mit ihnen soll das Werbeverbot für Abtreibungen (§ 219a Strafgesetzbuch) reformiert werden. Das schreibt bislang in Absatz 1 vor: „Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise

1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder

2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch einer Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweise auf diese Eignung

anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Von diesem strafbewehrten Verbot, das auch künftig erhalten bleiben soll, formulieren die Absätze 2 und 3 sodann Ausnahmetatbestände. So gilt § 219a Absatz 1 Ziffer 1 nicht, „wenn Ärzte oder auf Grund Gesetzes anerkannte Beratungsstellen darüber unterrichtet werden, welche Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 vorzunehmen“ (Anm. d. Autors: § 218a StGB regelt die Bedingungen für die Straflosigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen).

§ 219a Absatz 1 Ziffer 2 gilt nicht, „wenn die Tat gegenüber Ärzten oder Personen, die zum Handel mit den in Absatz 1 Nr. 2 erwähnten Mitteln oder Gegenständen befugt sind, oder durch eine Veröffentlichung in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachblättern begangen wird“.

Diese Ausnahmetatbestände sollen nun um weitere ergänzt werden. Einem neu hinzuzufügenden Absatz 4 zufolge wäre es künftig keine verbotene Werbung mehr, „wenn Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen

1. auf die Tatsache hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter der Voraussetzung des § 218a Absatz 1 bis 3 vornehmen“ und/oder „2. auf Informationen einer insoweit zuständigen Bundes- oder Landesbehörde, einer Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz oder einer Ärztekammer über einen Schwangerschaftsabbruch hinweisen“.

Interessanterweise stellen die geplanten zusätzlichen Ausnahmetatbestände, wie die Reaktionen auf den vergangene Woche vorgestellten Referentenentwurf gezeigt haben, jedoch weder Abtreibungsbefürworter noch Lebensrechtler zufrieden. Nun könnte man meinen, genau dies zeige, dass dem BMJV mit dem vorgelegten Referentenentwurf ein echter Kompromiss gelungen sei. Denn wenn keiner der Kontrahenten mit dem Erreichten zufrieden sei, so bedeute dies im Umkehrschluss auch, dass sich keiner auf Kosten des anderen durchgesetzt habe und ein Ausgleich der Interessen erreicht worden sei. Nun ist aber der Umkehrschluss selten einmal zulässig. So ist etwa, nur weil alle Bäume grün sind, nicht auch alles, was grün ist, ein Baum.

Und auch hier gilt: Dass beide Lager unzufrieden sind, bedeutet noch lange nicht, dass sich keines auf Kosten des anderen durchgesetzt hätte. Zumal es Fragen gibt, die Kompromissen gar nicht zugänglich sind und sich deshalb auch mit solchen nicht beantworten lassen – zumindest nicht sachgemäß.

Denn es ist natürlich Werbung und keine bloße Information, wenn ein Arzt auf seiner Praxishomepage „anzeigt“, dass er eine bestimmte Leistung anbietet. In jedem anderen Medium wäre eine solche „Anzeige“ deshalb auch kostenpflichtig. Und sicherlich werden die wegen Verstoßes gegen das Werbeverbot für Abtreibungen vor Gericht stehenden Ärztinnen nicht darauf verzichten wollen, die Kosten für die Erstellung und Pflege ihrer jeweiligen Praxiswebseiten beim Finanzamt als „Werbungskosten“ geltend zu machen.

Wenn also Ärzte künftig auf ihrer Praxishomepage ungestraft „anzeigen“ dürfen, dass sie auch vorgeburtliche Kindstötungen durchführen – denn nicht anderes bedeutet der Euphemismus „Schwangerschaftsabbruch“ – dann „informieren“ sie nicht lediglich, sondern bieten diese Dienstleistung öffentlich an und „werben“ mit einer solchen „Offerte“ zugleich für sich als Anbieter dieser Leistung.

Zwar hat ein Arzt grundsätzlich das Recht, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, welche abrechenbare Leistungen in seiner Praxis erbracht werden und in diesem Sinne auch das Recht, mit ihnen für sich und seine Praxis zu werben. Allerdings erstreckte sich dieses Recht eben bisher nicht auch auf die Durchführung von vorgeburtlichen Kindstötungen. Der Grund ist so einfach wie einleuchtend: Da auch dem ungeborenen Menschen Würde zukommt und Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz es nun einmal „aller staatlichen Gewalt“ zur Pflicht gemacht hat, diese Würde „zu achten und zu schützen“, wollte der Gesetzgeber bisher nicht, dass Abtreibungen als „normale“ medizinische Leistungen dargestellt werden.

Genau davon würde sich der Bundestag nun verabschieden, wenn er den Referentenentwurf – wie vom BMJV vorgelegt – beschließen sollte. Denn als „Schwangerschaftsabbruch“ getarnte vorgeburtliche Kindstötungen könnten dann von Ärzten künftig genauso wie eine Magenspiegelung oder eine Sauerstofftherapie angezeigt und beworben von der Öffentlichkeit als eine medizinische Leistung wie jede andere wahrgenommen werden.

Daher haben die Lebensschutzorganisationen völlig recht, wenn sie das im Referentenentwurf Dargelegte nun als „scheinheilige Mogelpackung“ (Ärzte für das Leben), „faulen Kompromiss“ (Christdemokraten für das Leben) oder „Normalisierung der Abtreibung als Dienstleistung“ (Aktion Lebensrecht für Alle) klassifizieren.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird die Mehrheit der Gynäkologen davon jedoch gar keinen Gebrauch machen wollen. Nicht nur, weil niemand Frauenarzt wird, um endlich auch vorgeburtliche Kindstötungen vornehmen zu können. Nicht von ungefähr sind die bekanntesten Abtreiber – Friedrich Stapf in München und Kristina Hänel in Gießen – ja auch gar keine Frauenärzte, sondern Allgemeinmediziner oder praktische Ärzte, die ihr tödliches Handwerk anderweitig erlernt haben. Und deshalb wird die Mehrzahl der Frauenärzte auch in Zukunft auf ihren Praxiswebseiten keine „Schwangerschaftsabbrüche“ anbieten. Schon allein deshalb nicht, weil die Ärzte ihre Kundschaft, die in der Mehrzahl „guter Hoffnung“ ist, weder abschrecken und verstören werden wollen.

Und da auch bisher kein Mangel an Informationen über Abtreibungen herrscht – Google listet zum Suchbegriff „Abtreibung“ 3 140 000 Treffer in 0,39 Sekunden auf – hilft die Reform des § 219a StGB, wie sie der Referentenentwurf nun vorsieht, weder abtreibungswilligen Frauen noch den Frauenärzten, die sich angeblich in großer Zahl im Unklaren darüber waren, was ihnen rechtlich erlaubt und was verboten war. Mit dem schon gebetsmühlenartig vorgebrachten Argument „mangelnder Rechtssicherheit“ für „Ärztinnen und Ärzte“ wurde gleichsam der intellektuelle Tiefpunkt der Debatte erreicht. Denn der § 219a StGB ist so klar und eindeutig formuliert, dass derjenige, der daran scheiterte, auch mit der Lektüre eines Busfahrplans hoffnungslos überfordert wäre.

Die Reform des § 219a schüttet darum allein Wasser auf die Mühlen derer, die die vorgeburtliche Kindstötung als eine moralisch nicht zu beanstandende Tat verstanden und öffentlich gewürdigt sehen wollen. Anders als das Eckpunktepapier, auf das sich die Koalitionäre im Dezember verständigt hatten, noch hoffen – und mehr noch – eigentlich auch erwarten ließ, stellt der vorliegende Referentenentwurf im Grunde also eine „lex Hänel“ dar. Dass die Gießener Allgemeinärztin das ganz anders sieht oder jedenfalls vorgibt, anders zu sehen, hat einen einfachen Grund: Hänel ist die Galionsfigur derer, die eigentlich den § 218 schleifen wollen. Sie und ihre Mitstreiter im Parlament – Linke, Grüne und weite Teile der SPD – wollen in Deutschland französische Verhältnisse etablieren.

2014 beschloss die französische Nationalversammlung in einer Nacht- und Nebelaktion, dass vorgeburtliche Kindstötungen erlaubt seien, wenn „die Frau die Schwangerschaft nicht fortzusetzen wünscht“. Bis dahin musste sie sich immerhin in einer irgendwie gearteten „Notlage“ befinden. Im Dezember 2015 schaffte die Nationalversammlung dann auch die bis dahin geltende 7-tägige Bedenkzeit ab, die zwischen dem Ersuchen um eine vorgeburtliche Kindstötung und deren Durchführung liegen musste. Ferner erlaubte sie Hebammen, eine Abtreibung mit der Abtreibungspille Mifegyne zu beaufsichtigen, sowie die Durchführung chirurgischer Abtreibungen in Gesundheitszentren. Seitdem sind vorgeburtliche Kindstötungen in Frankreich medizinische Leistungen wie alle anderen auch.

In Deutschland steht dem das Werbeverbot für Abtreibungen entgegen. Denn es ist unmöglich, etwas zu einer normalen medizinischen Leistung zu deklarieren, für das man nicht werben darf. Und deshalb haben Hänel & Co. ihre Ziele auch dann noch nicht erreicht, wenn künftig keine Staatsanwälte mehr Ärzte anklagen werden, die auf ihrer Praxishomepage auch damit werben, dass sie „Schwangerschaftsabbrüche“ durchführen.

Angesichts der Tatsache, dass es eine parlamentarische Mehrheit im Parlament dafür gibt, das Werbeverbot für Abtreibungen ersatzlos zu streichen, hat die Union also tatsächlich Schlimmeres verhütet. Dass, falls es bei dem Referentenentwurf bleibt, Werbung jetzt Information genannt wird und vorgeburtliche Kindstötungen hier und da als normale medizinische Leistungen öffentlich angeboten werden, hat sie nicht verhindert. Wohl auch, weil ein Beharren auf ihrer ursprünglichen Position das Ende der Großen Koalition eingeläutet hätte. Bleibt es bei dem Referentenentwurf, stünde vor dem Sturm auf den § 218 also künftig nur noch ein Pappkamerad. Dass jedoch auch der nicht ohne Wert ist, haben Hänel & Co. bereits erkannt.

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