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Aristotelische Logik: Den Grund aller Dinge verstehen

Die aristotelische Logik hat das abendländische Denken wesentlich mitbestimmt. Der Philosoph Rafael Hüntelmann hat nun eine leicht verständliche Einführung in diese Logik verfasst.
Kopf des  Aristoteles
Foto: IMAGO / Winfried Rothermel

Wer einen konditionalen Syllogismus oder einen Sorites noch nicht kennt, muss sich keine Sorgen machen. Rafael Hüntelmann, Dozent für Philosophie an verschiedenen Hochschulen sowie Inhaber des Verlags editiones scholasticae, kann hier weiterhelfen. Sein dreibändiger „Grundkurs klassische aristotelische Logik“ – der Umfang beträgt jeweils nicht mehr als 100 Seiten – führt leicht verständlich in das logische Denken des Aristoteles ein und zeigt zugleich die Anwendungsweise dieser Logik und ihren Sinn für den heutigen Gebrauch. Sich mit dieser Logik und ihrer Geschichte zu beschäftigen, ist mindestens so spannend wie ein Roman; und als kurze Kommentierung des Aristoteles sind die Bände einzigartig. Die Bedeutung dieser Logik kann nicht hoch genug eingeschätzt werden; so sagte noch Immanuel Kant von ihr, „dass sie seit dem Aristoteles keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen“.

Argumentationstechniken, um bestehen zu können

Sie ist nicht nur bis Kant, sondern in ihrer Weiterentwicklung auch bis heute gültig, sofern die Logik auf das menschliche Denken und Erkennen bezogen wird, wie es Hüntelmann ganz richtig sieht. Denn das „Denken“ der Computer, schreibt er, sei nicht „in der Lage zu erkennen, was etwas ist, die Wesenheit oder die Natur einer Sache“. Die mathematische Logik, auf der die Funktionen der Computer basieren, streitet nach Hüntelmann eben auch die Existenz realer Wesenheiten ab, die gerade in der Theologie von Bedeutung sind.

Die drei Bände gliedern sich in die „Einführung in die formale Logik“, die sich als Einstieg in das Studium der Philosophie und der Geisteswissenschaften versteht, aber auch für Schüler der Sekundarstufe II wie für Studierende im Grundstudium; hier geht es um das, was Urteile sind oder um die Eigenarten von Begriffen. Der zweite Teil, die „Formale Logik für Fortgeschrittene“, thematisiert neben den Trugschlüssen die Syllogismen, also den Zusammenschluss von drei Urteilen wie in dem berühmten Beispiel „Alle Menschen sind sterblich“, Sokrates ist ein Mensch“, „Also ist Sokrates sterblich“. Und im dritten Band, der mit „Materiale Logik“ überschrieben ist, geht es vornehmlich um die aristotelische Kategorienlehre, also um die Begriffe, mit denen wir gegenständlich erkennen.

Logik in vollständigen Schlüssen

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So selbstverständlich heute von der aristotelischen Logik gesprochen wird, so hatte doch Aristoteles selbst noch gar nicht den Terminus Logik verwandt. Der Begriff ist vor dem ersten Jahrhundert vor Christus gar nicht belegt. Aristoteles, der auch in seiner Ethik nicht normativ mit Regeln verfahren ist, sondern die Lebenswirklichkeit des Menschen berücksichtigt hatte, nahm mit seinen logischen Schriften wie „Topik“ oder „Analytik“ argumentative lebenswirkliche wie auch wissenschaftliche Situationen in den Blick, für die er immer wieder Beispiele gibt. Aristoteles will seine Leser nicht nur zur Kenntnis etwa von Urteils-oder Schlusstypen führen, sondern auch dazu, wie man sie bildet, um argumentativ bestehen zu können.

Ein beliebtes Beispiel in heutigen Logik-Seminaren ist die Schrift von Ignaz Semmelweis über die Erklärung des Kindbettfiebers, die er vollständig in Schlüssen verfasst hat, um damit eine geschlossene und unangreifbare Argumentation vorzutragen. Aristoteles, der anders als Platon nicht in einer Ideenlehre und deren strengen Ableitungen verfangen war, konnte die ganz andersartige Technik eines freieren Problem- und Argumentationsdenkens entwickeln, die am zu erwartenden Widerstand des Argumentationsgegners orientiert war. Man hat auch herausgefunden, dass Aristoteles seine Schlusslehre, als Hauptmoment der aristotelischen Logik, aus Gesprächssituationen heraus entwickelt hat und dass Aristoteles damit also ein lebensnahes Ziel verfolgte. Das ist bei späteren bedeutenden Logiken wie etwa der von Port-Royal (1662) nicht mehr der Fall.

„Alles, was Gott ist, kommt ihm wesentlich zu“

Im Mittelalter war Aristoteles wegweisend. Alle großen Philosophen haben Übersetzungen oder Kommentare zu ihm angefertigt. Dabei wurde die Lage für Aristoteles immer schwieriger. Denn das Christentum sah sich im Besitz der Wahrheit, wodurch die Philosophie teils als Suche nach der Wahrheit für überflüssig erklärt wurde, teils wurde sie integriert. Manchmal gab es auch ein Konkurrenzverhältnis wie bei Origines, der neben der Offenbarung auch die Philosophie gelten ließ.

Von besonderer Wichtigkeit in theologischen Fragen war auch die Kategorienlehre des Aristoteles. Sie ist ausführlich Thema des dritten Bandes von Hüntelmann und wird als materiale Logik bezeichnet, weil sie von dem handelt, was den Dingen zukommt. Über diese zentralen Begriffe sagt Hüntelmann: „Die Kategorien sind die grundlegenden Bausteine des rationalen Denkens. Sie spiegeln die Wirklichkeit wieder, und die Erkenntnis der Wirklichkeit ist wesentlich für ein richtiges Argumentieren, wenn uns die Argumentation zur Wahrheit führen soll.“

Augustinus las Aristoteles mit großem Interesse

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Zu diesen zehn universalen Begriffen, den Kategorien, gehören Substanz (der Hund ist ein Tier), Qualität (der Hund ist braun), Quantität (der Hund wiegt 20 Kilogramm), Relation (Der Hund ist so groß wie der des Nachbarn), aber auch Ort (der Hund liegt im Korb) oder Zeit (der Hund hat heute gebissen) und sie alle antworten auf die Frage „Was ist das“? Wie diese Schrift im frühen Mittelalter gewirkt hat, beschreibt Augustinus in den „Confessiones“: „Was nützt es mir schon, das mir in jenen zwanziger Jahren ein Buch des Aristoteles in die Hände fiel, das ,Die zehn Kategorien‘ hieß?

Bei diesem Titel bereits blähten sich in dröhnendem Stolz die Backen meines Lehrers, des Rhetors in Karthago, und der anderen, die für gelehrt galten, so dass ich mich voll Verlangen darauf stürzte und ich weiß nicht was mich an Größe und Göttlichkeit erwartete. Ich las das Buch allein und habe es auch verstanden.“ Der zentrale Begriff der Substanz spielte dann bis in die Neuzeit in Bezug auf Gott eine Rolle. Nach Hüntelmann kann aber nur eine Substanz ohne Akzidenzien existieren, nämlich Gott. Er ist unveränderlich, denn er hat keine Akzidenzien, sondern ist mit ihnen identisch: „Alles, was Gott ist, kommt ihm wesentlich zu“, heißt es bei Hüntelmann.

Widerstand gegen Aristoteles

Gerade an den Kategorien hat sich im 13. Jahrhundert ein Streit entzündet, Bonaventura hatte besonders Widerstand gegen Aristoteles entwickelt. Das Seiende gründe nach Bonaventura nicht substanziell in sich, wie Aristoteles meinte, sondern als Geschaffenes sei es nur von seinem Schöpfer her verständlich. Es ging dann in den Verurteilungen des Aristoteles und des arabischen Verteidigers seiner Schriften, Averroes, im Jahr 1270 durch den Pariser Bischof Stephan Tempier um das Verhältnis von Offenbarung und Autonomie der Vernunft, die damals häufig im Gegensatz gesehen wurden. Heute gilt dagegen die Einheit von Glaube und Vernunft und man kann sich daher Aristoteles auch unabhängig von den damaligen Problemen widmen.

Um nicht zu viel zu verraten, der zu Anfang erwähnte Sorites – das Wort leitet sich aus dem griechischen Wort für Haufen ab – ist eine Aneinanderreihung von Urteilen zu einem längeren Schluss; etwa „Alle A sind B“, „Alle B sind C“, Alle C sind D“, „Alle D sind E“, „Also sind alle A E“. So übersichtlich sind nicht alle Regeln; aber man kann von der Logik immer wieder überrascht werden. So etwa bei der Variante durch Hegel, bei dem auch inhaltliche Bestimmungen auf die formalen Regeln Einfluss nehmen, wie etwa beim konträren Gegensatz von Gelb und Blau, der im Kontext der Farbenlehre zum kontradiktorischen Gegensatz wird, weil sich die Farben unter dieser Bedingung vollständig ausschließen. So enthält die Logik des Aristoteles auch nach über 2000 Jahren Überraschungen, die auf der Suche nach der richtigen Argumentation hilfreich sind.


Rafael Hüntelmann: Grundkurs klassische aristotelische Logik, Band 1: Einführung in die formale Logik. Editiones Scholasticae 2021, 100 Seiten,
ISBN-13: 978-386838-230-3, EUR 14,90

– Grundkurs klassische aristotelische Logik. Band 2: Formale Logik für Fortgeschrittene. Editiones Scholasticae 2021, 102 Seiten,
ISBN-13: 978-386838-231-0, EUR 14,90

– Grundkurs klassische aristotelische Logik. Band 3: Materiale Logik. Editiones Scholasticae 2021, 96 Seiten,
ISBN-13: 978-386838-232-7, EUR 14,90

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