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Das Haus Caspari: Eine Gastronomen-Familie geht durch die Flut – Teil zwei 

Ein Vierteljahr ist seit der Flut-Katastrophe vergangen. Mitte September hatte die „Die Tagespost“ schon einmal mit Andrea Babic (44), Teil der Gastronomen-Familie aus Altenahr, gesprochen.  Seitdem ist viel passiert. 
Haus Casapri
Foto: Privat | Bis lachende Gäste das Haus Casapri wieder mit Leben füllen, wird es noch ein wenig dauern. 

Sehr erfolgreich betrieben die Gastronomen-Familien Nelles und Babic in bereits dritter Generation das Haus Caspari, bestehend aus Hotel, Café und Restaurant, in der Ortsmitte von Altenahr, bis zuerst die Corona-Pandemie die Situation schwierig und im Sommer 2021 die Flut-Katastrophedie Arbeit der vergangenen Jahrzehnte endgültig zunichte machte. Aufgeben war und ist keine Option für die Familie: „Das, was ich 43 Jahre lang kannte, ist kaputt; das holt mich zwischendurch immer wieder ein, aber dann packen wir es an und machen weiter. Die harte Arbeit meiner Eltern wurde weggeschwemmt, jetzt bauen wir etwas Neues auf“, so hoffnungsvoll äußerte sich Andrea Babic Mitte September. Damals waren die drei Gebäude des Betriebs bereits bis auf die Grundmauern entkernt und die Trocknung des Mauerwerks stand bevor, um bestmöglich für die wetterunbeständige Herbst-Wintersaison gewappnet zu sein.

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Immer noch Ausnahmezustand

Auf die Frage, wie denn die Stimmung sei, antwortete Andrea Babic: „Eine merkwürdige Mischung aus Trostlosigkeit, Nervosität und Druck begleitet uns durch den Alltag, und der ist auch vier Monate nach der Flut alles andere als normal.“

Noch immer herrscht in und um Altenahr Ausnahmezustand und es fehlt an allen Ecken und Enden. Für die zerstörte Grund- und Realschule würde man rechtzeitig für Ersatz sorgen und den Schülern den Schulbesuch nach den Sommerferien wieder möglich machen, hieß es kurz nach der Katastrophe. Mit zweimonatiger Verspätung steht nun seit Mitte November die Container-Ersatz-Schule. Dank der guten und schnellen Organisation des Helfer-Stabs gab es für die Schüler bei Eröffnung der Container-Schule auch Tische und Stühle. Bei der Platzwahl für die nachmittägliche Betreuung bewiesen die Verantwortlichen wenig Feingefühl für die spezielle Situation, in der Groß und Klein sich noch immer befinden. Außerhalb von Altenahr steht der Container nur wenige Meter vom Fluss entfernt. Dieser weckt für viele Kinder noch immer traumatische Erinnerungen an das Geschehene – eine gute Atmosphäre, um zu lernen und zu spielen, sieht anders aus. So fahren nun die Altenahrer Grundschüler nach Unterrichtsende mit dem Linienbus quer durchs Katastrophengebiet von Grafschaft-Gelsdorf – hier steht die Container-Schule – nach Kreuzberg zum Container des Malteser Hilfsdienstes.  

Bürokratie macht es schwer

Nur eines der vielen Logistik- und Organisationsprobleme, mit denen die Menschen vor Ort zu kämpfen haben. Denn als nicht minder schwierig gestaltet sich die Beantragung der staatlichen Wiederaufbauhilfen. Mehr als fünfzehn Seiten lange Dokumente müssen hierfür ausgefüllt werden, diese Angaben gilt es dann mit unzähligen Gutachten, Plänen und Unterlagen zu belegen. Doch die Wartezeiten, um an entsprechende Gutachten zu kommen, sind lang und in den Fluten verlorene Dokumente wieder zu beschaffen, ist mehr als problematisch. Da können für den einfachen Nachdruck eines Bauplans sechs bis acht Wochen ins Land ziehen.

Doch ohne Antrag, keine Gelder und ohne Gelder stehen die meisten vor dem finanziellen Ruin und ein Wiederaufbau gestaltet sich noch schwieriger also ohnehin schon. Auf die Frage, ob noch Helfer von öffentlicher Stelle in und um Altenahr im Einsatz sind, antwortet Babic: „Wissen Sie, wo fünftausend Helfer nötig wären, fallen die fünfhundert, die noch da sind leider nicht wirklich auf.“ Ihre Enttäuschung darüber ist deutlich spürbar. „Wir sind alle wie in einer Art Schwebezustand, in dem keiner so richtig weiß, wohin es geht“, erklärt Babic. Sie erzählt von ihrer über achtzig Jahre alten Tante, die in einem noch immer feuchten Wohnhaus sitzt und friert und von Einwohnern, die bereits einiges an Arbeit in den Wiederaufbau ihrer Häuser gesteckt hatten, um dann doch die Schockdiagnose „Abriss“ zu bekommen.

Hauptgebäude trocknet

Bei den Familien Babic und Nelles schwirren vier Monate nach der Flut viele Ideen und Vorstellungen durch die inzwischen desinfizierten und zum Großteil trockenen Räume. Dank der Behandlung der Wände mit einem speziellen Spray, das Öl und Nässe aus dem Mauerwerk zieht, sind sie auch bei der Lösung des größten Feuchtigkeitsproblems, den Keller des Hauptgebäudes trocken zu bekommen, in der Zwischenzeit einen großen Schritt weiter. Darüber, dass der Keller nie wieder seine typische Funktion als Sammelsurium erhalten wird, ist sich Babic sicher. „Vielleicht machen wir daraus einen privaten Partyraum für unsere Familienfeiern. Ein Ort, an dem wir Sachen lagern, wird er jedenfalls nie mehr werden“, so Babic entschlossen.

Doch nicht nur der Keller wird eine neue Aufgabe erhalten. Keines der Gebäude wird in Funktion und Aussehen an das Haus Caspari vor der Flut erinnern. Das einstige Café soll zu einem Haus der Begegnung werden, in das man einkehrt und gerne darin verweilt. Ein Ort, an dem man in entspannter Atmosphäre zusammensitzt und das zu essen bekommt, was die Küche für den jeweiligen Tag geplant hat. „Mit diesem neuen Konzept wollen wir unseren Gästen eine wirkliche Auszeit von ihrem Alltagsstress geben und ganz nebenbei auch uns selbst etwas entschleunigen“, so Babic. „Vor meinem inneren Auge sehe ich die Leute hier schon beisammensitzen und das ist ein gutes Gefühl, wenn auch noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns liegt“, erzählt Babic lächelnd.

Ein neues Produkt 

Da Not bekanntermaßen erfinderisch macht, hatten die Gastronomen bereits vor geraumer Zeit begonnen, aus den Unmengen an Bier, die auf Grund des Lockdowns nicht an Gäste ausgeschenkt wurden, den ersten Bierbrand des Ahrtals zu brennen. Dass „Wolfgangs Aerosölchen“, so lautet der Name des besonderen Tropfens, das Haus Caspari von einer Katastrophe geradewegs in die nächste belgeiten würde, hätten sich Babic und ihre Familie nie vorstellen können. Mit dem Verkauf des Flut-Bierbrands versucht die Familie, aktuell ein wenig die Kasse aufzubessern.

Sich Haus und Hof nicht mit unnötigem Kram vollzuladen und sich von schlechten Gedanken freizumachen, um den unterschiedlichsten Lebenssituationen künftig geerdeter zu begegnen, nehmen Andrea Babic und ihre Familie als Erbe der Flut-Katastrophe für sich mit, verarbeitet haben sie das Geschehene aber noch lange nicht.   


Wir werden das Haus Caspari weiter begleiten und berichten, was das neue Jahr den Menschen in Altenahr und der Gastronomen-Familie bringt.  

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Natalie Nordio Die Tagespost Malteser Hilfsdienst e.v. Wiederaufbau

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