Europa, seine Mitgliedstaaten, Politiker und Bürger stecken in einer historisch so noch nicht erlebten Zwickmühle. Deren Kern ist die Frage, wie legitim, überlebens- und leistungsfähig der Nationalstaat innerhalb der Europäischen Union in Zukunft überhaupt noch ist. Denn die Maßnahmen zur Bewältigung der Schuldenkrise und Rettung der Währungsunion offenbaren eine Ambivalenz, die in der öffentlichen Wahrnehmung gerne verdrängt wird: Einerseits sollen einzelne Nationalstaaten wie Griechenland im Verbund der Währungsunion gestützt werden, damit sie in ihrer Nationalstaatlichkeit erhalten bleiben können. Diese Politik ist dem Ziel der Erhaltung des Modells der Nationalstaatlichkeit verpflichtet.
Das Ende des Grundgesetzes
undesfinanzminister Wolfgang Schäuble fordert zur europäischen Fiskalpolitik einen Volksentscheid. Der Bundestag kämpft um sein Budgetrecht. Verfassungsrechtler und Staatslehrer diskutieren eine neue Verfassung. Alles das zeigt ein Dilemma an: Der Nationalstaat in Europa ist in der Krise, aber der Prozess der europäischen Einigung hat auch noch keine Gestalt angenommen, die den Nationalstaat ablösen könnte. Von Johannes Seibel