Die Berliner Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen vom vergangenen Samstag führt eine Querfront zusammen, die zu tiefer Irritation führt. Die etablierten Parteien und Medien tun sich mit der Analyse schwer, weil große Teile des Zuges an eine Friedensmahnwache oder Anti-Atomkraft-Demo erinnern. Die Atmosphäre erinnerte an Berliner Straßenfeste, selbst auf der Reichstagstreppe tummelten sich Dreadlocks und Männerröcke zwischen Fahnen aus dem Kaiserreich. Die vorbereiteten Schablonen wollen nicht mehr passen.
Er glaubt an die Heilwirkung von Trommeln
Die Irritation gilt zugleich auch für das konservative und liberale Lager, das aus Sorge vor Grundrechtsbeschneidungen nicht wahrhaben will, dass die Anwesenheit von Anthroposophen, New-Age-Anhängern und Verschwörungstheoretikern eben kein Zufall ist. Nicht Verschwörungstheoretiker sind auf einer bürgerlichen Veranstaltung mitgelaufen, sondern Bürgerliche auf einer Veranstaltung von Verschwörungstheoretikern. Der Pressesprecher von Querdenken hält Viren per se für eine Erfindung – und glaubt an die Heilwirkung von Trommeln. Gastsprecher Robert F. Kennedy Jr. ist für seine Äußerungen bekannt, dass der Mobilfunkstandard 5G das Erbgut zerstört und Bill Gates jedem einen Chip einpflanzen will.
Reichsbürger nicht unterschätzen
Reichsbürger, die vor der US-Botschaft einen „Friedensvertrag“ fordern, da für sie die Bundesrepublik höchstens eine GmbH ist, werden als skurrile Entgleisungen abgekanzelt, obwohl gerade dieses unberechenbare Milieu in seinen messianischen Erwartungen die Bilder am Reichstag verursachte. Die Demonstration steht dem Charakter nach den „Fridays for Future“-Protesten näher, als manchen lieb ist. DT/mga
Wie Anthroposophen, New-Age-Anhängern und Verschwörungstheoretiker gleichermaßen zu strategischen Partnern von Liberalen und Konservativen wurden: Lesen Sie eine ausführliche Analyse in der kommenden Ausgabe der Tagespost.