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Amerikanische Althistoriker plädieren für Abschaffung ihres Fachs

Amerikanische Wissenschaftler, die selbst Alte Geschichte an der Universität lehren, möchten die Lehre des griechisch-römischen Erbes begrenzen. Der Altphilologe Raphaël Doan zeigt im Figaro, was dies mit dem Eifer zu tun hat, die Vergangenheit auf moralisierende Art zu verurteilen.
Limesmuseum Aalen
Foto: Stefan Puchner (dpa) | Für einen Professor aus Stanford, Ian Morris, ist die klassische Antike ein euroamerikanischer Gründungsmythos.

Soll man das Erbe der Griechen und Römer „verbrennen“? Dieser verrückten Frage, die nicht von einem Westgoten des fünften Jahrhunderts stamme, sondern von den besten amerikanischen Universitäten des 21. Jahrhunderts, geht der Altphilologe Raphaël Doan in der französischen Tageszeitung "Le Figaro" nach. 

So habe der Professor der Römischen Geschichte in Stanford, Dan-el Padilla Peralta, im Januar 2019 auf einer Konferenz der Society of Classical Studies das, was die Angelsachsen Klassiker nennen, als „halb-vampirisch, halb-kannibalisch“ bezeichnet. Er hoffe, so der Althistoriker unter dem Applaus der Anwesenden, „dass das Fach sterben wird, und zwar so schnell wie möglich“.

Ein euroamerikanischer Gründungsmythos?

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Padilla stehe bei seinem „Kreuzzug“ nicht allein, betont Doan. Für einen anderen Professor aus Stanford, Ian Morris, ist „die klassische Antike ein euroamerikanischer Gründungsmythos. Will man solche Dinge wirklich?“ Und Johanna Hanink, außerordentliche Professorin für Klassiker an der Brown University, sieht in dem Fachbereich „ein Produkt und einen Komplizen der weißen Vormachtstellung“. Donna Zuckerberg, Altertumswissenschaftlerin und Gründerin der Webseite „Eidolon“, frage sich, „ob eine Disziplin, die in den Faschismus und den Kolonialismus historisch verwickelt gewesen ist, und die weiterhin mit weißer Vorherrschaft und Frauenfeindlichkeit in Verbindung gebracht wird“, noch zu retten sei. Logische Folgerung: eine regelmäßige Kolumne auf ihrer Webseite, in der dazu aufgerufen wird, „alles in den Flammen zu zerstören“ – was „eine gängige Phrase dieser Bewegung“ sei, wie Doan konstatiert. Nadhira Hill, Doktorandin in Kunstgeschichte und Archäologie an der Universität Michigan, bringt es auf den Punkt: „Die Klassiker sind toxisch“.

Lange Zeit habe sich die öffentliche Debatte um das Interesse an diesem Studienfach, erläutert Doan, um die Frage nach dem Latein- und Griechischunterricht gedreht und den Nutzen dieser Disziplinen hinterfragt: „Ist es im 19., 20. oder 21. Jahrhundert noch immer notwendig, diese toten Kulturen von vor zwei Jahrtausenden zu studieren? Haben unsere Schüler nicht besseres zu lernen? Hat sich die Welt nicht verändert?“ Im äußersten Fall hätten manche darin „einfach deshalb ein elitäres und bourgeoises Lehrfach gesehen, weil es nutzlos zu sein schien“. Doch selbst bei den Gegnern des Lateinischen und des Griechischen, habe man eine „höfliche Ehrerbietung“ gezeigt: „Man hielt sie zwar für überflüssig, aber es wäre niemandem in den Sinn gekommen, darin einen schädlichen Einfluss zu sehen. Man debattierte allenfalls die Art unserer Beziehung zu diesen alten Kulturen“.

Ein "destruktiver Wahnsinn"

Der „neue Krieg“, der nun in Amerika tobe, werde heute jedoch von Spezialisten der Antike geführt, die ihr Leben diesen Studien gewidmet haben, „und die diese dennoch verurteilen und in Flammen aufgehen sehen möchten“. Da das, was an den Universitäten der Vereinigten Staaten ersonnen wird, einige Zeit später auch zu uns nach Europa kommen werde, sei es interessant, Gründe für einen derartigen „destruktiven Wahnsinn“ zu suchen.

Bei den Motiven dieser aktivistischen Forscher ließen sich, so Doan, hauptsächlich zwei ausmachen: Erstens habe - ihnen zufolge - das Studium der griechisch-römischen Welt üblen Dingen gedient: „Die Nachahmung der Antike soll über die Jahrhunderte hinweg der Sklaverei, der Kolonisation, dem Rassismus, dem Faschismus, dem Nazismus, der weißen Dominanz und kürzlich sogar den Krawallen im Kapitol gedient haben“. Zweitens hätten die griechische und die römische Welt selbst nichts Bewundernswertes gehabt, „da sie Sklavenhalter, Frauenfeinde und unsozial gewesen sein sollen und nicht mehr Aufmerksamkeit verdienten – sogar noch weniger – als andere antiken Welten“.

Wie solle man nun, nach Ansicht der Antikenkritiker, weiter vorgehen? Zunächst, schreibt Doan, empfehlen die Kritiker „schon das Wort Klassiker aufzugeben wie auch die Fachbereiche, die sich ihnen widmen. Wollte man ihnen Glauben schenken, dürfte es nur noch Fakultäten der Geschichte, der Sprachwissenschaften oder der Archäologie geben, ohne eine besondere Vorrangstellung der griechisch-römischen Kultur. Denn das nächste Ziel ist: die Vorrangstellung der Griechen und der Römer zu brechen, um sie durch das Studium anderer sogenannter ‚unsichtbar gemachter‘ Völker zu ersetzen: Numidier, Phönizier, Karthager, Hethiter…“. Später „verweigern sich diese Wissenschaftler, eine gute Kenntnis des Griechischen und des Lateinischen bei ihren Studenten zu fordern. Katherine Blouin, außerordentliche Professorin der Römischen Geschichte an der Universität Toronto, hat dazu aufgerufen, die ‚Orthodoxie‘ aufzugeben, nach der alle Althistoriker ‚diese beiden Sprachen auf philologischem Niveau beherrschen sollten‘“.

Einfluss auf den Lehrplan

Momentan hätten es diese „militanten Wissenschaftler“, so Doan weiter, noch nicht geschafft, die Fachbereiche der Klassiker an den amerikanischen Universitäten zu zerstören: „Doch sie sind in Bezug auf den Lehrplan sehr einflussreich geworden“. So habe im vergangenen Monat die Universität Wake Forest in North Carolina angekündigt, dass alle Studenten des Fachbereichs verpflichtet seien, einen Kurs mit der Bezeichnung „Die Klassiker jenseits des Weißseins“ zu belegen, der Fragen behandelt über „die Vorurteile, nach denen die Griechen und die Römer weiß waren, über die Rasse in den griechisch-römischen Gesellschaften, die Rolle der Klassiker in den modernen Rassenpolitiken und die nicht-weißen Konzepte der klassischen Sprachen“. Nach und nach werde der Griechisch- und Lateinunterricht sowie der Unterricht der Alten Geschichte an den amerikanischen Universitäten, so meint Doan, „im Namen einer unversöhnlichen moralischen Reinheit herabgesetzt, verringert und verfälscht“.

Das Lateinische, das Griechische und ihre Literaturen seien, beklagt Doan, bereits heute „übel dran, da man Unterrichtsstunden aus wirtschaftlichen Gründen streicht und das ernsthafte Erlernen der alten Sprachen tendenziell ersetzt wird durch schwammige fachübergreifende Aktivitäten“.   DT/ks

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