Ist die Menschheit es wert, dass man sie rettet? Eine Menschheit, die seit Jahrtausenden unzählige Kriege anzettelt, Leid und Verderben über sich selbst und andere gebracht hat und anscheinend nichts aus den eigenen Fehlern lernen will?
Diese durchaus ernsthafte Thematik steht im Zentrum eines von vielen Fans sehnsüchtig erwarteten Superheldenfilms: Nämlich im von der US-Regisseurin Patty Jenkins („Monster“) inszenierten und von Kritik und Publikum hochgelobten „Wonder Woman“, basierend auf der gleichnamigen Superheldin aus dem DC-Comicverlag („Superman“, „Batman“, „The Flash“) mit Anleihen in der griechischen Göttermythologie.
Es kommt ihr darauf an, den Krieg an sich zu bekämpfen
Trotz der durchaus ambitionierten Dimension von „Wonder Woman“ ist die Handlung des Films blockbusterüblich relativ schnell erzählt: Die Superheldin (Gal Gadot, die dieselbe Rolle bereits in „Batman v. Superman“ spielte) wächst als Prinzessin Diana auf einer verborgenen griechischen Insel namens Themyscira unter Amazonen auf. Ihre Mutter, Königin Hyppolita (Connie Nielsen), die Diana mithilfe des Göttervaters Zeus erschaffen hat, und ihre Tante, Generalin Antiope (Robin Wright), bilden die junge Diana zur großen Kriegerin aus, da sie fürchten, dass eines Tages Ares, der Gott des Krieges, zur Insel zurückkehren und Tod und Verderben über sie bringen wird. Doch zunächst erscheint nicht etwa der göttliche Erzfeind, sondern der Pilot Steve Trevor (Chris Pine), dessen Flugzeug abstürzt und von Diana vor dem Ertrinken gerettet wird.
Und der erzählt den ahnungslosen Inselbewohnerinnen vom gegenwärtig stattfindenden „Großen Krieg“ (die in Großbritannien bis auf den heutigen Tag übliche Bezeichnung für den Ersten Weltkrieg (1914–1918)), der auf den Schlachtfeldern Europas und weiten Teilen der Welt tobt und Millionen von Menschen bereits das Leben gekostet hat. Diana vermutet hinter den treibenden Kräften des großen Blutvergießens nicht ausschließlich menschliche Bosheit, sondern vielmehr eine den Amazonen nur allzu bekannte göttliche Macht, die unheilvoll im Hintergrund ihre Fäden zieht. Deshalb beschließt Diana, Steve in seine Welt zu begleiten, in den Krieg zu ziehen und nicht nur das Böse in Form von Ares, sondern den Krieg an sich zu bekämpfen.
Um es auf den Punkt zu bringen: „Wonder Woman“ ist eine der positiven Überraschungen des diesjährigen Kinosommers. Dies liegt zum einen an der Entscheidung von Regisseurin Jenkins, trotz der für eine Comicverfilmung durchaus ernsthaften Thematik sich erfreulicherweise eher am leichten Ton der ersten beiden „Superman“-Filme (1978, 1980) mit Christopher Reeve zu orientieren, als an den recht düster geratenen DC-Comicverfilmungen der letzten Jahre – wie der zu Recht hochgelobten „The Dark Knight“-Trilogie von Christopher Nolan oder den von Zack Snyder inszenierten Superman- und Batman-Neuinterpretationen „Man of Steel“ und „Batman v. Superman“.
Aber vor allem Hauptdarstellerin Gal Gadot als Diana Prince/Wonder Woman gebührt viel Lob. Der israelischen Schauspielerin gelingt es, ihre Figur als Vertreterin von Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit in Szene zu setzen und vermeidet es dabei, einerseits trotz knappen Amazonenoutfits als reine Männerfantasie daherzukommen sowie umgekehrt ebenso wenig als männerfressende Radikalfeministin in Erscheinung zu treten – trotzdem vermutlich viele Zuschauerinnen zu Recht Gal Gadot/Wonder Woman als klares Vorbild und Ermutigung für sich entdecken werden. Zwischen ihr und Chris Pine (bekannt als Captain James T. Kirk aus den „Star Trek“-Neuverfilmungen) als Steven Trevor stimmt die Chemie ebenfalls.
Die Figur der Diana durchläuft dabei eine klassische Coming-of-Age-Geschichte: In behüteter Umgebung aufgewachsen wird die angehende Heldin mit Leiden und Unrecht konfrontiert, das sie dazu bewegt, die gewohnten Gefilde zu verlassen, um sich auf ein Abenteuer beziehungsweise auf eine sogenannte „Heldenreise“ (Joseph Campbell) zu begeben. In „Wonder Woman“ gibt es zudem zahlreiche Anleihen bei klassischem Sagenstoff – und das nicht nur innerhalb der griechischen Mythologie sondern auch bei der Buddha-Legende und ganz eindeutig im Christentum.
Ein mit der Menschheit mitleidender Gott (oder in diesem Fall eine Göttin), erschaffen von einem göttlichen Vater zu dem Zweck, um ebendiese Menschheit – letztendlich unverdienterweise – vor einem bösartigen Gott beziehungsweise Dämon zu schützen, der sie auf die Knie oder ins Verderben schicken will – so viele Anleihen beim Christentum (inklusive der Botschaft, dass die Liebe alles besiegt) einem säkular ausgerichteten Publikum innerhalb eines Blockbusterfilms im wahrsten Sinne des Wortes „unterzujubeln“, ist durchaus bemerkenswert – und auch als Statement zu verstehen angesichts einer Gesellschaft, die vom christlichen Glauben und dessen Werten immer weniger wissen möchte. Oder, wie es die von „Wonder Woman“ begeisterte US-amerikanische christliche Feministin und Politikwissenschaftlerin Valerie M. Hudson ein wenig gehässig formulierte: „Möglicherweise ist Christus in Gestalt einer schönen und in diverse Hintern tretende Amazone das Einzige, womit unsere gegenwärtige Gesellschaft noch klarkommen kann.“