Kirchenmusik zukunftsfest zu machen und für eine, wenn auch nicht mehr flächendeckende, so doch an Brennpunkten wahrnehmbare und interessierte Laienmusiker qualifizierende Kirchenmusik zu sorgen ist ein Anliegen, in dem Musikerinnen und Musiker beider Kirchen sich einig sind. Wie ein solches Zukunftskonzept für die evangelische Kirche aussehen kann, haben die Teilnehmer der Direktorenkonferenz Kirchenmusik der EKD bei einer Tagung an der Evangelischen Akademie Loccum diskutiert. Referenten aus Kulturpolitik und Musik, darunter Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates oder die Komponistin Charlotte Seither vermittelten in ihren Vorträgen das notwendige Hintergrundwissen und gaben Impulse für die Diskussion über das, was die Schwerpunkte der Kirchenmusik im Bereich der evangelischen Kirche der Zukunft sein sollen. Die Ergebnisse der intensiven Auseinandersetzung wurden in den zehn Loccumer Thesen vom 28.11.2017 zusammengefasst. Deren erste lautet: „Tradition ins Gespräch bringen, Innovation wagen“.
Mit dieser These rücken die evangelischen Kirchenmusikdirektoren indirekt eine Fehlentwicklung im Bereich ihrer Kirche zurecht. Denn in zeitgeistorientierten Fokussierungen auf Trends, denen man sich nicht verweigern dürfe, etwa der Ausbildung zum Popkantor, war es zu bedauerlichen Engführungen gekommen. In diesem Studiengang werden die künftigen Kirchenmusiker, statt sie in die gesamte Bandbreite des Schatzes der Kirchenmusik einzuführen, nur noch zur Realisation eines sehr schmalen Bereiches befähigt, eines Genres zudem, das gerade von den noch verbliebenen Gottesdienstbesuchern der evangelischen Kirchen kaum geschätzt und nachgefragt wird. Es ist also zu begrüßen, dass das Lebendighalten des kulturellen Gedächtnisses, die Verankerung der Kirchenmusik in ihrer gesamten Bandbreite im öffentlichen Raum und ihre Präsentation in innovativen Aufführungsformaten, wie es in der Erläuterung zur ersten These heißt, nun zu den Prämissen für deren Zukunft gehören. Dass es dafür auch der Bereitstellung finanzieller Ressourcen bedarf, sollte keine Randnotiz sein. Kirchenmusiker müssen heutzutage mit geradezu lächerlichen Fördersummen seitens der Gemeinden auskommen, obwohl sie in Kinder-, Jugend- und Kirchenchören, Choralscholen, Frühförderkreisen oder Instrumentalgruppen die zahlenmäßig bedeutendste und stabilste Gruppenarbeit leisten, während in anderen Bereichen große Summen in Projekte investiert werden, die wenig nachhaltig sind. Dies sollte, gerade im Hinblick auf die auch im evangelischen Gottesdienst relevante Frage, wie ein solcher wohl erlebt würde, wenn er ohne Musik realisiert werden müsste und alles allein vom Charisma und Einfallsreichtum des Predigers abhängt, grundsätzlich geklärt und wenn möglich in übergemeindlich geltenden Richtlinien geregelt werden. Nur so lässt sich die derzeit ungute Situation vermeiden, dass jeder Kirchenmusiker zum Einzelkämpfer wird und bei jedem Pfarrerwechsel neu für seine Zuweisungen streiten und die von ihm geleitete, im Idealfall alle Gattungen repräsentierende Kirchenmusik gegen den jeweils zum allgemeinen Maßstab gesetzten Geschmack des ihm von Gott zugemuteten Vorgesetzten verteidigen muss.
Mit der zweiten These „Kirchenmusik vom Gottesdienst, Gottesdienst von der Kirchenmusik her denken“ nähern sich die evangelischen Kirchenmusiker dem katholischen Liturgieverständnis an, indem sie ihren Dienst als Verkündigung definieren und die prophetische Qualität der Kirchenmusik betonen, die es vermag, Emotionen zu wecken und die Reflexion des Gotteswortes zu vertiefen. Dass es für das Gelingen dieses Prozesses einer guten Kommunikation zwischen Pfarrer und Kirchenmusiker bedarf, ist klar. Umgesetzt werden muss diese jedoch vor Ort. Auch hier könnten übergemeindlich festgelegte Zuständigkeiten klärend und ordnend wirken. Dass es beispielsweise ausgerechnet im Bereich der Kirchenmusik gang und gäbe ist, dass jeder Pfarrer nach Belieben eigene Bands und Musikgruppen gründen und diese im Gottesdienst einsetzen kann, ohne dies mit dem eigentlich zuständigen Kirchenmusiker zu besprechen, selbst aber mit Sicherheit verschnupft reagierte, wenn der Kirchenmusiker ihm genehme Prediger oder Zelebranten bestellte und den Pfarrer mit den Worten „dann haben sie halt mal frei“ nach Hause schickte, ist zwar wahr, bleibt aber leider folgenlos. Hier müsste von vorneherein festgelegt sein, dass die Musik vom Musiker gestaltet wird. Der hat übrigens, vor allem, was die Ausbildung in Liturgik angeht, ausgezeichnete Kenntnisse.
„Singen fördern, musikalische Laienkultur wertschätzen, Musiker gewinnen und die Gemeinde musikalisch beteiligen sind die Punkte drei bis fünf auf der Liste der Loccumer Thesen. Dass man dies eigens betonen muss, weckt Erstaunen, geht es hier doch um die Grundlagen kirchenmusikalischer Basisarbeit. Möglicherweise feierten die evangelischen Kirchenmusikdirektoren an dieser Stelle aber eher den Abschied von einer Situation, in der es noch eine breitflächig angelegte gut qualifizierte hauptamtliche Kirchenmusik gab. Die Anzahl der Kirchenmusiker hat sich aber in den letzten Jahren halbiert und ein Ende des Trends ist noch nicht abzusehen, zumal durch die auch in der evangelischen Kirche anstehenden Gemeindezusammenlegungen neue Strukturen entstehen, in denen weniger Kirchenmusiker gebraucht werden.
Die These sechs beschäftigt sich mit der Gewinnung unterschiedlicher Musikertypen für den Kirchenmusikerberuf. Was genau damit gemeint ist, wird aus der Erklärung nicht recht deutlich. Hier fragt man sich unwillkürlich, ob die Verantwortlichen ein weiteres Mal versuchen, einem unklar definierten Zeitgeist hinterherzurennen, um auf diese Weise eine Kirche interessant zu machen, die für sich genommen kaum mehr neue Mitglieder anzuziehen scheint.
Dass Kommunikation und Teamwork in der Kirchenmusik essenziell sind, scheint unnötig zu betonen, wird aber in These sechs und ebenso in der nachfolgenden These sieben, in der die Notwendigkeit der Glaubensvermittlung durch Musik an kirchenferne Zielgruppen konstatiert wird, noch einmal eigens formuliert. Dabei wird auch der Ausbau der Kirchenmusikvermittlung zu einem eigenen Arbeitsfeld gefordert, ohne dass näher definiert wird, wer das wann wie oder wo machen soll. Stattdessen wird in These acht gefordert, dass Kirchenmusiker auf der Ebene der Landeskirchen und Kirchenkreise an der Zukunftssicherung ihres Arbeitsfeldes mitwirken sollen, indem sie klären, welche inhaltliche Entwicklung Kirchenmusik nehmen soll, was eigentlich in These eins bereits definiert wurde, wie man Nachwuchs gewinnen kann, was eigentlich jedem bewusst sein sollte, der in diesem Metier arbeitet, welche Stellenprofile eingerichtet werden sollten – hier wäre ein Hauptamtlicher pro Dekanat ideal, aber um das zu beschließen braucht man eigentlich keine Sitzung abzuhalten –, und wie lebenslanges Lernen in der Kirchenmusik befördert werden kann, was überflüssig ist, denn wer als Kirchenmusiker nicht lebenslang lernt, macht schlicht seinen Job nicht.
These neun konstatiert, dass Kirchenmusik interreligöse Begegnung fördern, Friedensarbeit leisten kann und dass Diakonie und Kirchenmusik aufeinander verwiesen ist, ein wichtiger Punkt, der gottlob vielerorts schon umgesetzt wird, wenn Menschen verschiedenen Glaubens miteinander singend beten.
These zehn nimmt die Digitalisierung als Herausforderung wahr, die auch Kirchenmusiker betrifft. Viele in diesem Bereich Tätigen nutzen diese Chance bereits und machen ihre Arbeit über gut gepflegte Homepages mit Downloadbereich oder Soundfiles bekannt.
Die Loccumer Thesen machen deutlich, dass es trotz guten Willens an konsistentem Durchdenken der Problemfelder und an wirklich greifenden Lösungsvorschlägen fehlt. Das ist schade, denn wer so für seine Sache wirbt, droht, sich selbst überflüssig zu machen.