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Das Wormser Konkordat war der große Wendepunkt in Europa

Mit der Trennung von Thron und Altar, die vor 900 Jahren besiegelt wurde, begann eine ganz neue Ära.
Konkordat Worms Urkunde
Foto: wiki | Unterschrift Kaiser Heinrich V. unter der Urkunde zum Wormser Konkordat, in der die Trennung von Kirche und Staat schriftlich festgehalten und anerkannt wird.

Ich, Heinrich, von Gottes Gnaden Imperator Augustus der Römer, verzichte aus Liebe zu Gott und der heiligen römischen Kirche und zum Herrn Papste Calixtus und wegen meines Seelenheiles zugunsten Gottes und der heiligen Apostel Petrus und Paulus und der heiligen römischen Kirche auf alle Investitur mit Ring und Stab, und ich gestatte in allen Kirchen, die in meinem Regnum und Imperium liegen, kanonische Wahl und freie Weihe.“ Damit beginnt das sogenannte „Heinricianum“, der kaiserliche Teil des Wormser Konkordats, das vor 900 Jahren am 23. September 1122 zwischen Kaiser Heinrich V. und Papst Calixt II. abgeschlossen wurde. Mit dem „Konkordat“ – wobei die Bezeichnung erst auf Gottfried Wilhelm Leibniz 1693 zurückgeht – endet der sogenannte Investiturstreit. Die Bestätigung des „Konkordats“ erfolgte auf dem Laterankonzil im März 1123.

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Vordergründig ging es beim fast 50-jährigen Streit zwischen Kaiser und Papst um die Einsetzung (Investitur) von Bischöfe durch den König. Heinrich V. knüpfte an eine Tradition der fränkischen Könige an, kirchliche Ämter mit Laien zu besetzen. Durch die Laieninvestitur entstand ab dem 9. Jahrhundert eine enge Verbindung zwischen sacerdotium und regnum. Bischöfe und Äbte wurden auf diese Weise ins Reich eingebunden im „Reichskirchensystem“. Insbesondere die sächsischen Ottonen (eigentlich Liudolfinger), die von 919 bis 1024 den deutschen König beziehungsweise den römischen Kaiser stellten, sowie die auf sie folgenden ostfränkischen Salier, zu denen Heinrich V. gehörte und die von 1024 bis 1125 regierten, stützten sich bei der von ihnen angestrebten Erneuerung des Römerreiches mittels einer christlichen Herrschaftsordnung auf die Reichskirche. Seit Konrad II. (1024 König, 1027 Kaiser) setzt die Kanzlei die Kennzeichnung romanum imperium ein, der Kaiser bezeichnen sich als defensor ecclesiae – beides stützt dessen Universalanspruch.

„Zwar wird der deutsche König weiterhin gesalbt,
zwar bleibt der Gedanke eines Königtums von „Gottes Gnaden“,
der Herrscher vereint jedoch nicht mehr die religiöse und die weltliche Gewalt in sich“

Mit dem Aufkommen des sogenannten Reformpapsttums ab der Mitte des 11. Jahrhunderts setzt sich aber die insbesondere von Kardinal Humbert von Silva Candida (1006/10–1061) verbreitete Lehre durch, die in der Laieninvestitur eine Art Simonie, den Kauf/Verkauf kirchlicher Ämter ansah. Im Papstwahldekret von 1059 wird festgelegt, dass die Wahl des Papstes ausschließlich durch die Kardinäle zu erfolgen hat, und dass Geistliche auf keinen Fall von Laien kirchliche Ämter annehmen sollten. Damit gerät Papst Gregor VII., der nach seiner Wahl 1073 dieses durchzusetzen bereit war, mit König Heinrich IV. (König seit 1056, Kaiser seit 1084) in Konflikt, denn der König besteht auf der Entscheidung über Bischofseinsetzungen.

Nachdem der Kaiser erwirkt hatte, dass eine Synode deutscher Bischöfe 1076 Papst Gregor VII. für abgesetzt erklärte, verhängte der Papst den Kirchenbann gegen den König. So kam es zum „Gang nach Canossa“ 1077: Der König bat den Papst um Vergebung.

 

Bemühung um Aussöhnung - dennoch weiterer Streit

Trotz der Absolution durch den Papst und der Aufhebung des Kirchenbanns kam es zu weiteren Streitigkeiten unter Heinrichs IV. Sohn Heinrich V. (König ab 1106, Kaiser ab 1111). Eigentlich war der neue König zwar bemüht um eine Aussöhnung mit der Kirche, aber anlässlich der Kaiserkrönung trat der Gegensatz offen zutage. Zwar kam es zunächst zu einer Einigung, indem zwischen geistlichem Amt (spiritualia) und den mit diesem verbundenen weltlichen Hoheitsrechten (temporalia) unterschieden wurde. Die vom König vorgenommene Investitur bezieht sich lediglich auf weltliche Güter und Rechte der Kirche, die Regalien. Dennoch schwelte der Konflikt weiter, bis es zwischen Heinrich V. und dem neuen Papst Calixt II. (1119–1124) in Worms am 23. September 1122 zum „Konkordat“ kam.

An dessen Ende wurden mit dem „Wormser Konkordat“ 1122 nicht nur die Bischofsernennungen zugunsten des Papstes, sondern auch die Emanzipation der geistlichen Gewalt von der weltlichen und somit die Trennung von Thron und Altar entschieden. Es war das Ende einer Jahrhunderte alten Auseinandersetzung zwischen der weltlichen und der geistlichen Gewalt, die bereits mit Konstantin eingesetzt hatte: Bei der beginnenden Verknüpfung von weltlicher und geistlicher Macht sah sich Konstantin als „Bischöfe des Äußeren“; er beanspruchte Zuständigkeit für Kirchenstrukturen bis hin zur Einberufung ökumenischer Synoden.

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Ein Gottkönigtum wie im alten Ägypten

Weil das „Reich Gottes auf Erden“ als eine Vermischung von Thron und Altar angesehen wurde, ging es bei dieser Auseinandersetzung um die Frage, wer Stellvertreter Gottes auf Erden sei – der Kaiser oder der Papst. Für die Ottonen und die ersten Salier war die Antwort eindeutig. Im „Reichskirchensystem“ (der Kaiser als Lehnsherr der Bischöfe) schlug sich die Vormachtstellung des Kaisers nieder. Dies änderte sich grundlegend im Investiturstreit und insbesondere mit dem „Wormser Konkordat“ 1122. Stellvertreter Gottes auf Erden war von nun an nur der Papst. Nur er besaß als Nachfolger Petri mit göttlicher Autorität die Macht, auf Erden zu binden und zu lösen.

Dies war eine tiefgreifende Wende, die das Abendland von anderen Kulturen unterscheidet. In Hochkulturen wird die Herrschaft durch die Ableitung des Herrschers aus der göttlichen Macht legitimiert – daher auch die in dem Zusammenhang häufig gebrauchte Bezeichnung „Theokratie“. Im alten Ägypten herrschte ein „Gottkönigtum“ vor: Der Pharao führte seit der frühdynastischen Zeit den Titel „Sohn des (Gottes) Re“; er sah sich auf einer eigenen Ebene zwischen dem göttlichen Himmel und den auf der Erde befindlichen Menschen.

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Legitimation der Herrschaft durch göttliche Gnade

Im alten Griechenland sowie in Rom galten die Göttinnen Athena respektive Roma als Personifikation der jeweiligen Stadt beziehungsweise des „Staates“; darin drückte sich der Zusammenhang zwischen der Gottheit und der Polis aus. Seit Alexander dem Großen verdichtet sich die Herrscherlegitimation als Verschmelzung von religiöser und weltlicher Macht im Herrscherkult. Eine besondere Form des Herrscherkults fand in der römischen Kaiserzeit seit Julius Caesar und Augustus im bekannten Kaiserkult – der princeps wurde als divus („der Göttliche) angesehen.

Mit dem Aufkommen der Idee einer traslatio imperii, der Erneuerung des römischen im fränkischen Reich, durch die Kaiserkrönung Karls des Großen am 25. Dezember 800, und insbesondere im nachfolgenden ostfränkischen Reich der Ottonen und ersten Salier lebt die religiöse Herrscherlegitimation dadurch fort, dass sich der König/Kaiser als Stellvertreter Gottes ansieht. Die Investitur von Bischöfe und Äbten nimmt sich als sichtbares Zeichen dieser Auffassung aus. Insofern kann die Herrschaftsform im frühen Mittelalter als eine weitere theokratische Ausprägung angesehen werden. Genau darin besteht die Bedeutung des Wormser Konkordats. Zwar wird der deutsche König weiterhin gesalbt, zwar bleibt der Gedanke eines Königtums von „Gottes Gnaden“, der Herrscher vereint jedoch nicht mehr die religiöse und die weltliche Gewalt in sich.

Das gesetzte Recht verliert seine göttliche Rückbindung

Ebenso bedeutsam in diesem Zusammenhang ist die Trennung von weltlichem Recht und religiösen Vorschriften. Bestand im Frühmittelalter die Rechtsprechung in der Anwendung des unverrückbaren „alten, göttlichen Rechts“, so begann etwas später, in der Mitte des 12. Jahrhunderts, eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Recht, die mit dem „Decretum Gratiani“ ihren Anfang nahm. Auch hier beginnen die zwei Bereiche – der weltliche und der geistliche – sich voneinander geschieden zu entwickeln.

Damit schert sozusagen die abendländische aus der Ebene der Hochkulturen aus. Um es etwas zwanglos auszudrücken: Auch wenn er noch verschlungen sein sollte – der Weg zu einer liberalen Demokratie wurde damit frei.

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