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NATO so stark und mächtig wie nie zuvor

Die NATO ist wieder da. Und sie ist so stark und mächtig wie nie zuvor. In zwei Monaten ist Wladimir Putin, dem Präsidenten der Russischen Föderation, ungewollt gelungen, was kaum noch jemand für möglich gehalten hätte. Der Westen ist entschlossen und einig. Bis auf ein paar kleine Ausnahmen.
B2 Tarnkappenbomber
Foto: Wikipedia | Ein sogenannter Tarnkappenbomber der USA vom Typ B 2 „Spirit“, gewährt auch Deutschland im Falle eines Angriffs Schutz aus der Luft.

In einem im vergangenen Jahr in den USA erschienenen Buch mit dem Titel "I Alone Can Fix It: Donald J. Trump s Catastrophic Final Year" ("Ich allein kann es richten: Donald J. Trumps katastrophales letztes Jahr") enthüllen die Autoren – Reporter der "Washington Post" – Trumps Pläne für eine angestrebte zweite Amtszeit im Oval Office. Danach habe es vor der Präsidentschaftswahl am 3. November ein Treffen Trumps mit US-Verteidigungsminister Mark Esper und anderen hochrangigen Mitarbeitern gegeben, auf dem der Amtsinhaber gesagt habe: "Ja, in der zweiten Amtszeit, wir werden es in der zweiten Amtszeit tun." Trump meinte damit den Austritt der Vereinigten Staaten aus dem westlichen Verteidigungsbündnis und den Abbruch der militärischen Zusammenarbeit mit Südkorea.

Dass der Präsident mit der NATO und der Bereitschaft der Verbündeten haderte, selbst mehr für ihre Verteidigung zu tun und besonders mehr dafür zu bezahlen, ist kein Geheimnis. Trump war und ist wahrscheinlich auch heute noch der Ansicht, dass Südkorea, Deutschland und andere es sich unter dem atomaren Schutzschirm der USA gemütlich machen, ohne ausreichende eigene Anstrengungen für ihre Sicherheit zu unternehmen. In die gleiche Richtung argumentierte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron 2019, als er die NATO öffentlich als eine "hirntote" Einrichtung bezeichnete. Allerdings wollte er damit das Bündnis nicht abschaffen, sehr wohl aber von Grund auf reformieren. Wesentlicher Teil seiner Gedanken: Europa müsse mehr für die eigene Verteidigung auch abseits der NATO leisten.

„Es bleibt ein ungewollter Verdienst des Präsidenten der Russischen Föderation,
den Westen wiederbelebt zu haben, NATO und EU so stark und entschlossen gemacht zu haben,
wie sie seit Jahrzehnten nicht mehr waren“

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Nun hat der russische Präsident Wladimir Putin mit seinem Überfall auf die Ukraine die NATO wieder in Form gebracht, oder wie Macron selbst formulierte: "Der Krieg, den Präsident Putin begonnen hat, führt zu einer Klarstellung und schafft eine Bedrohung an unseren Grenzen und auf europäischem Boden, die der NATO eine strategische Klarstellung gibt." Amen! Als Putin am 24. Februar 2022 den Befehl zum Angriff auf das Nachbarland Ukraine gab, hat er offenbar gleich eine ganze Reihe von Faktoren falsch eingeschätzt oder gar nicht gesehen.

Den Willen und die Fähigkeit etwa der ukrainischen Streitkräfte, dem übermächtig erscheinenden Russland wirkungsvoll Paroli zu bieten   das hatte man ganz augenscheinlich nicht auf dem Schirm. Aber es ist auch kein Zufall, sondern die Konsequenz einer strategischen Unterstützung westlicher Mächte, insbesondere der USA und Großbritannien nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim im Jahr 2014, der der Westen zunächst paralysiert und weitgehend hilflos zuschaute. Wer will schon in den Krieg gegen Russland ziehen für ein Land, das als korrupt und wenig prinzipientreu gilt?

Beistand aus den USA und Großbritannien

Einige Dutzend Ausbilder aus den USA und Großbritannien kümmerten sich also darum, die ukrainische Armee schlagkräftiger zu machen, ihre Strukturen auf neue Beine zu stellen. Dazu Ausbildung im Partisanenkampf in großen Städten, Ausrüstung mit panzerbrechenden Waffen und Flugabwehrraketen. Die jahrelange Vorbereitung auf den Tag X, diesen – wie wir heute wissen – 24. Februar 2022, hat sich ausgezahlt, wenngleich er mit unendlichem Blutvergießen und inzwischen fast 30 000 gefallenen russischen Soldaten und ebenso vielen toten Ukrainern bezahlt werden musste und muss.

Unvergessen auch, wie schwer sich Deutschland zu Beginn des Kriegs tat, in einem Ernstfall angemessen zu reagieren. Unvergessen die gebrauchten Schutzhelme, als die Ukraine um Waffen bat. Oder dann die tatsächliche Lieferung von "Strela"-Flugabwehrraketen aus 30 Jahren alten Beständen der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR, ein Drittel davon verschimmelt und nicht nutzbar. Solche Meldungen machen Deutschland in Europa und bei den Verbündeten auch darüber hinaus zur Lachnummer. Und nun das Neueste: Die Bundesregierung sagt der Ukraine die zeitnahe Lieferung von 50 Gepard-Panzern zu. Die sind extrem wichtig für die ukrainische Armee.

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Jetzt stellt sich aber heraus: Die Bundeswehr hat gar keine Munition für diese Flak-Panzer, die sie mitliefern könnte. Man kann sich das gar nicht ausdenken, dass ein Land, das auf der ganzen Welt als organisiert und strukturiert gilt, in Fragen der Sicherheit so dilettantisch agieren könnte. Aber es passiert wirklich. Im westlichen Bündnis sind die Amerikaner die tragende Säule, die einzige Großmacht, die militärisch und wirtschaftlich jederzeit fähig ist, global zu agieren. Das Rückgrat sind dabei die atomgetriebenen Flugzeugträger und die Kampfgruppenverbände mit ihren hochmodernen Begleitschiffen. Flugzeugträger haben auch andere Staaten, haben Russland, China, Indien, Frankreich und selbst Brasilien und Spanien. Aber nicht solche. Wer vor zwei Jahren den russischen dieselgetriebenen Flugzeugträger "Admiral Kusnezow" im Ärmelkanal gesehen hat, eingehüllt in dunkle Abgasschwaden, der weiß, was gemeint ist.

Wenig erstaunlich auch, dass in diesen Kriegswochen in der Ukraine die osteuropäischen NATO-Staaten die Schrittmacher sind, die Balten, die Polen und die Slowaken, die sofort, ohne zu zögern, Waffen geschickt haben, um dem bedrängten Brudervolk zu helfen. Wer historisch seine bitteren Erfahrungen mit Sowjetunion und Russland machen musste, der braucht nicht darüber nachzudenken, zu welchem Bündnis und welcher Wertegemeinschaft er fortan gehören will. Die Serben – nicht Mitglied in NATO –  sind da anders zu betrachten, weil es eine gewachsene historische Achse mit Russland gibt. Doch seit Russlands Krieg begonnen hat, ist auch in Belgrad spürbar, dass man nicht unbedingt unverbrüchlich an der Seite Moskaus stehen bleiben will.

Der Sonderfall Ungarn

Und Ungarn? Ungarn ist ein Sonderfall. Ministerpräsident Viktor Orban hat sich stets bemüht, sein Land auch als Mitglied von NATO und EU in einem angemessenen Verhältnis zum Kreml und zu Wladimir Putin zu halten. Das hat verschiedene Gründe, allen voran sicher, dass das Land zu über 90 Prozent von russischen Gas- und Öllieferungen abhängt. Dreht Moskau den Saft ab, wird es sehr kalt in Ungarn. Und so bemüht sich Orban nach Kräften, den Spagat durchzuhalten. Geschäfte mit Russland ja, NATO-Waffenlieferungen über ungarisches Staatsgebiet nein – aber eben auch Ja zu Sanktionen der EU gegen Russland und ungarische Kampfflugzeuge zur Unterstützung der baltischen NATO-Partner.

Und dann ist da noch das Sorgenkind Türkei, das Anfang Mai für ernsthafte Verstimmung im NATO-Hauptquartier sorgt. Denn Präsident Erdogan blockiert den NATO-Beitritt von Schweden und Finnland. Die beiden skandinavischen Länder wären eine perfekte Ergänzung zu Dänemark und Norwegen an der Nordflanke des Bündnisses. Traditionell neutrale Staaten, die sich über Jahrzehnte geweigert hatten, der NATO beizutreten, sehen nun, welch einen Nachbarn sie mit Putins Russland haben. Inzwischen sind große Mehrheiten der Bevölkerung in diesen Ländern für den sofortigen NATO-Beitritt. Und jetzt sieht Erdogan seine Chance, etwas für sich und sein Land herauszuholen.

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Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warf Erdogan eine "Basar-Mentalität" vor. Hat Erdogan etwas gegen Schweden und Finnland? Grundsätzlich wohl nicht, aber bei der NATO herrscht das Prinzip der Einstimmigkeit. Kein Ja der Türkei, keine neuen NATO-Mitglieder Schweden und Finnland. So einfach ist das. Und so deutlich ist auch, dass dieses Prinzip auf Dauer keinen Bestand haben darf, weil es das mächtigste Verteidigungsbündnis der Welt in seiner Handlungsfähigkeit einschränkt.

Was wirklich hinter der Bockigkeit Erdogans stecken dürfte, ist das Kurdenproblem. Die Türkei ist verärgert über Sanktionen verbündeter Staaten wie USA und auch Deutschland, die seit einiger Zeit keine Waffen mehr liefern, seit die Türkei massiv gegen die Kurden in Syrien vorgeht. Besonders auf die amerikanischen Kampfflugzeuge vom Typ F-16 ist man scharf in Ankara, und es wird wohl kaum eine Lösung an der Nordflanke geben, bevor besonders die Amerikaner, aber auch Deutschland und andere Erdogan hier entgegenkommen.

Türkei ohne Schutz der NATO? Nicht erstrebenswert!

Außerdem wünscht man sich am Bosporus, dass die skandinavischen Anwärter auch gegen kurdische Organisationen in ihren Ländern entschieden vorgehen. Das Gefeilsche kann und wird wohl noch einige Zeit dauern, letztlich dürfte die Türkei zustimmen, will sie es sich nicht auf Dauer mit der NATO insgesamt verscherzen. Der Staat ist NATO-Außengrenze zu einer der explosivsten Regionen auf dem Planeten und somit wichtig. Aber dort an der Front-
linie zu stehen ohne Rückendeckung von USA und NATO dürfte im Ernstfall auch für die Türkei nicht erstrebenswert sein.

"Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein", hat einst der deutsche Unternehmer Philip Rosenthal formuliert. Man denkt sofort an die schwache Performance unserer Verteidigungsministerinnen Ursula von der Leyen, Annegret Kramp-Karrenbauer und Christine Lambrecht, wenn man diese Worte liest. Deutschland und Teile der NATO haben nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes gedacht, nun breche eine Ära des Friedens auf der Welt an, ganz sicher aber in Europa. Was braucht die Bundeswehr noch Munition, wenn wir Schminktische für Soldatinnen in Kasernen anschaffen können und Kampfanzüge für Schwangere? Und wenn wir Seminare über Sexuelle Vielfalt in der Truppe veranstalten?

Die Ukraine in der NATO hätte Leid verhindert

Es bleibt ein ungewollter Verdienst des Präsidenten der Russischen Föderation, den Westen wiederbelebt zu haben, NATO und EU so stark und entschlossen gemacht zu haben, wie sie seit Jahrzehnten nicht mehr waren. Nur tragisch, dass gleichzeitig Zehntausende Menschen für den Größenwahn eines Mannes sterben, unzählige leiden müssen und ukrainische Großstädte in die Steinzeit zurückgebombt werden. Haben Sie die Bilder aus der angeblich von russischen Truppen befreiten Hafenstadt Mariupol gesehen? So sahen Dresden, Hamburg und Köln 1945 auch aus. Und so würde Mariupol heute nicht aussehen, wenn die Ukraine 2008 in die NATO aufgenommen worden wäre.

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