Kultur und Feuilleton

Dämme gegen die Pornoflut

Die Porno-Industrie boomt und bedroht die seelische Gesundheit von Jugendlichen und Familien - Ein Expertengespräch über Pornoproduktion, Menschenhandel und Missbrauch. Von Jürgen Liminski
Pornografie im Internet
Foto: dpa | Die Porno-Sucht habe Auswirkungen auf die Beziehungswelt des Süchtigen, indem sie die Bindungs- und Empathiefähigkeit verringere, sagt Dr. W.

Einmal im Jahr lädt die „Stiftung für Familienwerte“ Partner und Experten zu einem zweitägigen Treffen in Unkel am Rhein ein, um Ideen auszutauschen und Anregungen für praktische und politische Aktionen zu gewinnen. Ausgesuchte Vertreter von rund dreißig Verbänden und Vereinen rund um die Thematik Familie kommen mit Fachleuten zusammen, erörtern gesellschaftliche Entwicklungen, bringen sich auf den neuesten Stand der Wissenschaft im Bereich Sozialsysteme, Bindungsforschung oder Familienpolitik. So auch am vergangenen Wochenende. Eine der Teilnehmerinnen war eine Psychologin, die sehr kundig über das Tabu-Thema Pornografie referierte. Die Runde war vertraulich. Die Thematik hat Sicherheitsaspekte, weil die Grenzen zwischen Pornoproduktion, Menschenhandel und Kindesmissbrauch fließend sind und die organisierte Kriminalität in diesem Bereich nicht zimperlich ist. Deshalb möchte die Psychologin ihren Namen diskret behandelt sehen. Er tue auch nichts weiter zur Sache (und ist der Redaktion bekannt. Wir nennen sie hier Dr. Christine W. W wie warnen. Falls jemand eine Frage oder ein Anliegen in diesem Bereich hat, können wir es gerne weiterleiten). Man müsse aber darüber reden, weil hier eine Welle auf Familien zurollt, gerade auf christliche Familien, bei der viel Konfliktstoff mitschwimmt. Seit 2012, dem Jahr, in dem das Smartphone technisch so weit war, dass es im Konsumverhalten den Computer ablöste und weltweit zum „handlichen Artikel“, also auch in Kinder- und Jugendhand wurde, erlebt die Porno-Industrie einen nahezu unkontrollierten Aufschwung.

Die erste Welle war mit dem Aufkommen des Internet schon Anfang der neunziger Jahre spürbar, erklärt Dr. W., aber mit dem internetfähigen Handy „erfolgte ein Quantensprung. Heute haben 85 Prozent der Jungen und 71 Prozent der Mädchen zwischen 14 und 16 Jahren bereits pornografisches Material gesehen“. Das Einstiegsalter liege bei zwölf Jahren, unabhängig von Familiensituation und Schulform. Das Datenvolumen, das hier weltweit bewegt werde, sei größer als das von Google, schon weil es viele Fotos und Filme umfasse. Die sich explosionsartig vergrößernde Industrie reiche in Deutschland mit ihren Umsätzen an die Autoindustrie heran. Man könne durchaus von einer drohenden Suchtepidemie sprechen. Allerdings werde Pornografie-Abhängigkeit offiziell nicht als Sucht anerkannt, „obwohl sie sämtliche Kriterien psychischer Krankheiten erfüllt“. Es sei, wegen der raschen Zunahme der Süchtigenzahl und ihrer Not, auch durchaus Thema bei internationalen Kongressen und Veranstaltungen gewesen, ob man Porno-Sucht im Internationalen Kompendium für Krankheiten (ICD) aufführe, das alle sechs Jahre aktualisiert werde. „Aber man wollte nicht, obwohl die Kriterien 1 : 1 zu anderen Süchten passten. Das betrifft sowohl die neurologischen Prozesse als auch die Dosis-Steigerung wie bei stoffgebundenen Drogen, es gilt für die Symptome wie sozialer Rückzug bis hin zum Zerfall der Persönlichkeit.“ Die derzeitigen Trends der Psychotherapie, so die Psychologin, „haben ein anderes Verständnis von Krankheit. Man fragt: Was will der Kranke? Und nicht: Was heilt?“. In diesem Sinn sei auch praktizierte Homosexualität aus dem ICD entfernt worden. Man richte sich, „auch wenn das widersprüchlich ist, nach dem nicht oder kaum vorhandenen Willen des Süchtigen, weil man keine Normierung mehr wünscht“. Denn Normierungen würden einer Diskriminierung und einem Ordnungsdenken Vorschub leisten. In diesem Sinn werde auch jede Natur des Menschen infrage gestellt, was an der Gender-Ideologie besonders deutlich sichtbar werde.

Pornografie sei auch eine Definitionsfrage. Die gängige Definition laute: Bei Pornografie handele es sich um Material über sexuelle Handlungen, das darauf abziele, sexuell zu stimulieren. In der Stimulierung liegt die Gefahr. Sie verlange bei anhaltendem und dauerhaftem Konsum eine immer höhere Dosierung und ende in der Ausschaltung des freien Willens, eben in der Sucht. Warum Porno-Konsum überhaupt attraktiv sei erklärt Dr. W. mit „den drei A's: accessibility affordability, anonymity – leichter Zugang, man kann es sich leisten, man bleibt anonym. Ein Bestreben, den reinen Lustaspekt von Sexualität (neben den Aspekten Beziehung und Fruchtbarkeit) zu erleben, habe es schon immer gegeben, zum Beispiel in Form von Prostitution. Dieses Bestreben sei aber noch nie so einfach (accessibility) und kostengünstig (affordabilty) und zu so geringen sozialen Risiken (anonymity) zu befriedigen gewesen wie durch Pornografie auf einem mobilen Endgerät.

Die Porno-Sucht nun habe Auswirkungen auf die Beziehungswelt des Süchtigen. Sie verringere die Bindungs-und Empathiefähigkeit, erhöhe den sexuellen Leistungsdruck und führe auf Dauer zu aggressivem Verhalten, vor allem von Männern gegenüber Frauen. Die Langzeit-Nutzung von Pornografie lasse Männer Vergewaltigungen als weniger schwere Verbrechen sehen, was auch durch die #Metoo-Bewegung nicht signifikant beeinträchtigt wurde. Zugute komme der Porno-Industrie, dass dieser Bereich gesellschaftlich stark tabuisiert sei, man rede kaum noch über Werte, Schamgefühl und sexuelle Grenzen. Hier habe „die Gender-Ideologie voll durchgeschlagen“. In Familien und Schulen, die einen besonderen Anspruch haben, Werte, Moral und menschliches Verhalten zu vermitteln, „die also eine gewisse Werte-Ordnung lehren und leben“, sei der Konflikt programmiert, wenn man nicht präventiv gegen die ansteigende Flut pornografischen Materials und Ideen vorgehe. Man müsse „Dämme errichten“, so wie man es auch an Küsten tue, um Häuser und Felder, Lebensräume für Mensch und Tier zu schützen.

Dr. W sieht in der Prävention die einzige Möglichkeit, Kinder und Jugendliche vor dieser Sturmflut zu schützen. Abschotten sei natürlich auch eine Option, sie passe aber nicht in die offene Welt von heute. Besser sei es, das Problem zu kennen und mit ihm umzugehen. Die Sprachlosigkeit in diesem Bereich sei in katholischen Familien nach ihrer Erfahrung „leider immer noch weit verbreitet. Über Sexualität redet man nicht, über Pornografie schon gar nicht.“ Das sei im Zeitalter vor dem Internet noch machbar gewesen. „Vor 1990 musste man sich für Pornografie entscheiden, wenn man sie konsumieren wollte. Heute ist sie omnipräsent. Heute muss man sich dagegen entscheiden, wie bei jeder Sucht.“ Zwar gebe es technische Möglichkeiten wie Kindersicherungen. Aber die könnten junge Leute heute leicht umgehen oder einfach beim Klassenkameraden auf den Schirm schauen. „Das Handy ist wie Kokain in der Tasche.“ Aufklären über die Gefahr sei das Gebot der Stunde. Das könne in der Familie geschehen, das könne auch systematisch in der Schule gehandhabt werden. Es gebe bereits Vereine und Initiativen, die den Schulen entsprechende Programme anbieten und zwar nach Geschlechtern getrennt. Diese Programme seien modern und altersgerecht, das Personal gut ausgebildet und deutschlandweit einsatzbereit. Es sehe auch Abende mit Eltern vor. Es gehe darum, das Bewusstsein für diese Gefahr zu schärfen. Schließlich steht die Bindungs- und Liebesfähigkeit der jungen Menschen auf dem Spiel. Das betrifft auch junge Menschen, die selber nicht Pornografie konsumieren. Denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie einen Freund oder Partnerin kennenlernen, der/die bereits konsumiert habe (85 Prozent der Jungen, 71 Prozent der Mädchen bis 16 Jahren). Ähnlich verhält es sich auch in anderen europäischen Ländern. In Frankreich finden bereits Tagungen zu diesem Thema statt (zum Beispiel am vergangenen Wochenende in Paris) und formieren sich Gruppen zum Kampf gegen die Porno-Gefahren. Es ist das Verdienst der Stiftung Familienwerte, dass sie mit ihrer Plattform und ihren Serviceleistungen solche Gefahren für die Familien und die Gesellschaft im deutschsprachigen Raum aus dem Dunkel der Anonymität hervorholt, analysieren lässt und bewusst macht. Das entspricht auch genau ihrem „obersten Ziel“, wie es in einem Flyer heißt, „Familie auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes zu stärken und zu ihrem Gelingen beizutragen“.

Weitere Informationen unter www.stiftung-familienwerte.de

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