Wider Bultmanns Engführung
Der Neutestamentler Thomas Söding setzt sich in der Zeitschrift für katholische Theologie (2–3/2018 Echter Verlag Würzburg) kritisch mit dem Konsens der heutigen Exegeten auseinander, dass allein die synoptischen Evangelien Rückschlüsse auf den historischen Jesus erlauben, während das Johannesevangelium über kleine Details hinaus „nichts Wesentliches zur Rekonstruktion seiner Lehre beizutragen habe“. Tiefe Glaubeneinsichten in das Heilswerk Jesu werden im Johannesevangelium als Zeugnis des Jüngers, „den Jesus liebte“, dargestellt. Dabei werde dieser Lieblingsjünger nicht als die „Identifikation einer idealen Tradition“ verstanden, sondern als „reale Gestalt mit einer eigenen Biografie“, die aber nur angedeutet werde.
Zum Anspruch des vierten Evangeliums führt Söding aus, dass darin geschildert werde, wie die Jünger nach der Auferstehung Jesu seine Sendung „im Licht der Schrift sehen und seinen gesamten Lebensweg als Geschichte Gottes mit den Menschen” verstehen, „wie er es dem Evangelium zufolge selbst getan hat“. Nur von diesem Glaubensstandpunkt aus, sagt das Evangelium, könne „die volle Wahrheit des Lebens und Leidens Jesu, seiner Person und Intention in Erscheinung treten“. Auf diesen Anspruch hat die liberale Theologie mit dem Ideologieverdacht geantwortet: „In der johanneischen Strategie der Selbstkanonisierung stecke die Tendenz der Selbstimmunisierung vor Kritik.“ Alle Aussagen über die Präexistenz und die Inkarnation des Logos und seine Schöpfungsmittlerschaft wurden abgewertet. Folge der exegetischen Skepsis gegenüber dem Johannesevangelium ist auch die nachkonziliare Perikopenordnung, in der jeweils einem der drei Synoptiker ein Lesejahr zugeordnet wurde. Somit wurde das Johannesevangelium weitgehend ausgeklammert. Demgegenüber betont Söding, dass der andere Blick des Johannesevangeliums „manches ergänzen, einiges korrigieren und alles transzendieren“ könne, was die Synoptiker vermitteln. Heute müsse die Exegese das Johannesevangelium aus der Isolation befreien, in die es Bultmann gebracht habe.
Keineswegs selbstverständlich ist für Söding die Fixierung der Synoptiker auf das Reich Gottes als Hauptinhalt der Verkündigung Jesu, sie sei „Ergebnis gezielter Redaktionsarbeit“, die nicht ausschließt, dass Johannes „das ewige Leben, die Liebe und das Wort Gottes in eine ähnliche Schlüsselrolle bringt“. Johannes habe sehr wohl die synoptische Tradition gekannt, er diskutiert viel schärfer als die Synoptiker, wer Jesus sei und was er mit Gott zu tun habe. Zudem sei es eine Fehleinschätzung, allein die johanneische Darstellung Jesu als Christologie „von oben“ zu bezeichnen. Johannes bezeuge „nicht mehr Christologie als die Synoptiker, sondern eine andere, weil er im Menschsein Jesu nicht eine Voraussetzung, sondern den zentralen Gehalt der Christologie sieht“: Bei Johannes werde nicht das Reich Gottes, sondern Jesus selbst, „der Offenbarer des Vaters“, in die Mitte gestellt.
Mit der Einsicht in die Perspektivität aller Evangelien könne auch das Johannesevangelium nicht länger abqualifiziert werden. Auch wenn die historische Jesusforschung stets zuerst bei den Synoptikern ansetzen müsse, könne es „angesichts der literarischen Durchformung der Reden und Gespräche, der Zeichen und der Wege Jesu“ in allen vier Evangelien, nicht Ziel der Exegese sein, „den O-Ton Jesu herauszufiltern“. Gerade das Johannesevangelium zeige, dass sich die entscheidenden Fragen nicht, wie Bultmann lehrte, „abgelöst von der Geschichte Jesu und der Geschichte Israels“ stellen lassen, „so als ob erst das Kerygma theologisch würde“, sondern „inmitten dessen aufbricht, was sich durch das Kommen Jesu ereignet hat“.
Im selben Heft der Innsbrucker Fakultätszeitschrift fragt Paul Oberholzer SJ nach der Stellung des heiligen Ignatius und seiner ersten Gefährten zu Luther und zur Reformation. Bereits der erste Sekretär der Gesellschaft Jesu, Juan de Polanco, hat in seiner Vita des Ignatius dessen Bekehrung Luthers Entwicklung gegenübergestellt: 1521 „im Jahr, in dem Luther zum Feind der Kirche mutierte und sich gegen den Kaiser stellte, wurde Ignatius zum Ritter Christi und beschritt den Weg, der eine alternative Richtung in die Kirche hinein wies“. Bemerkenswert ist, dass die ersten Jesuiten stets nur von den Lutheranern oder Häretikern sprachen. Den Begriff Reformation haben sie nie in Bezug auf Luther verwendet. Dieser Begriff war „rein positiv besetzt und wurde als Ausdruck für eine innerkatholische Erneuerung in bewusster Abgrenzung von Wittenberg und Genf verwendet“. In Spanien habe Ignatius an der Entstehung der spanischen Universalmonarchie teilgenommen, die mit einer entschiedenen Betonung der christlichen Sendung verbunden war und vor allem auch von geistlich gebildeten Laien getragen war. In seiner Einsiedlerphase kam Ignatius in den Verdacht, zur häretischen Bewegung der Alumbrados zu gehören, die allerdings in keinerlei Verbindung mit der Theologie Luthers stand. Während seiner Studienzeit in Paris verschärften sich die Spannungen zwischen der scholastischen Theologie und einer von Erasmus geprägten humanistischen Richtung. Ignatius und seine Gefährten orientierten sich an der scholastischen Lehre und unterstellten sich schließlich dem Papst. Auch wenn von Ignatius und den ersten Mitbrüdern keine direkten Aussagen zu Luther überliefert sind, erschließt der Verfasser aus den Quellen Stellungnahmen etwa zum Streit um die Eucharistie: Es sei bezeichnend, dass „bereits in den frühen vierziger Jahren geistliche Schriften, das Memoriale von Peter Faber und das geistliche Tagebuch von Ignatius, auf einer Spiritualität beruhen, die sich am Opfercharakter und der täglich zelebrierten Privatmesse orientiert“. Die ersten Jesuiten hätten damit gerade diejenigen Merkmale der Messe betont, die von Luther besonders bekämpft worden sind. Darin zeige sich, dass sich bereits die ersten Jesuiten bewusst als Kontrast und Alternative zur Theologie Luthers verstanden haben.
Zur Geschichte der Jesuiten
In Geist und Leben (3/2018 Echter Verlag Würzburg) stellt Jörg Nies SJ ein neues Nachschlagewerk vor, das umfassend und konzentriert über Geschichte und Gegenwart der Gesellschaft Jesu informiert: The Cambridge Encyclopedia of Jesuits. Cambridge University Press, Cambridge 2017. Herausgeber ist Thomas Worcester SJ, Ordenspriester, Historiker und Präsident des Regis Collage in Toronto. Einhundert Autoren haben auf sechshundert Seiten Beiträge zu sechshundert Schlagworten verfasst. Nies weist darauf hin, dass dieses Werk am ehesten mit dem alten Jesuiten-Lexikon vergleichbar ist, das Ludwig Koch SJ 1934 herausgegeben hat. Während Koch sich weitgehend auf den deutschsprachigen Raum konzentriert hatte, greift die neue Enzyklopädie möglichst viele Aspekte der weltweiten Wirksamkeit der Jesuiten auf. Bemängelt wurde von Nies einzig die weitgehende Beschränkung auf die englischsprachige Fachliteratur. Michael Karger