Er habe die Hoffnung nie aufgegeben, dass ihn der Oberste Gerichtshof Australiens freisprechen werde. Das hat Kardinal George Pell nach seiner Freilassung gesagt. Nach über 400 Tagen in Haft wurde der ehemalige Finanzchef des Vatikans am Dienstag von allen Anklagepunkten freigesprochen und binnen weniger Stunden aus der Haft entlassen. Er habe sich stets den Glauben an eine Entlassung bewahrt – jedoch versucht, nicht „zu optimistisch“ zu sein, so der Kardinal in einem Interview mit der Catholic News Agency (CNA) wenige Stunden nach dem Freispruch.
Der High Court gab am 7. April seine Entscheidung bekannt, dem Berufungsantrag im Fall Pell v. The Queen werde statt gegeben, die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs aufzuheben – und den 78-jährigen von allen Anklagepunkten freizusprechen. Zu diesem Zeitpunkt war der Kardinal mehrere hundert Kilometer entfernt in seiner Zelle in Her Majesty's Prison Barwon, südwestlich von Melbourne.
Erste Mahlzeit in Freiheit: ein Steak
„Ich sah die Nachrichten im Fernsehen in meiner Zelle, als die Meldung kam“, sagte Pell. Als er hörte, dass die Verurteilung aufgehoben wurde, habe er sich gedacht: „Nun, das ist großartig. Ich bin begeistert.“ Nach seiner Entlassung habe er den Nachmittag „an einem ruhigen Ort in Melbourne“ verbracht und als „erste Mahlzeit in Freiheit“ ein Steak gegessen. „Worauf ich mich wirklich freue, ist eine private Messe zu feiern“, sagte Pell gegenüber CNA. „Es ist schon sehr lange her, das ist also ein großer Segen.“ Seine Zeit im Gefängnis habe er wie „lange Exerzitien“ erlebt und zum Nachdenken, Schreiben und vor allem zum Gebet genutzt. „Das Gebet war für mich in diesen Zeiten die große Kraftquelle, auch die Gebete anderer, und ich bin allen Menschen, die für mich gebetet haben und mir in dieser wirklich herausfordernden Zeit geholfen haben, unglaublich dankbar“, so Pell. Der Kardinal sagte, die Anzahl der Briefe und Karten, die er von Menschen sowohl in Australien als auch aus Übersee erhalten habe, war „schlichtweg überwältigend“, und er fügte hinzu: „Ich möchte allen wirklich aufrichtig danken.“
In einer öffentlichen Stellungnahme zum Zeitpunkt seiner Freilassung betonte Pell seine Solidarität mit den Opfern sexuellen Missbrauchs. „Ich hege keinen Groll gegen meinen Ankläger“, so Pell in dieser Erklärung. „Ich möchte nicht, dass mein Freispruch zu dem Schmerz und der Bitterkeit beiträgt, die so viele empfinden; es gibt in der Tat genug Schmerz und Bitterkeit“. „Die einzige Grundlage für eine langfristige Heilung ist die Wahrheit, und die einzige Grundlage für Gerechtigkeit ist die Wahrheit, denn Gerechtigkeit bedeutet Wahrheit für alle“, erklärte der Kardinal.
Konhentration auf das Osterfest
Mit Blick auf die Karwoche und kommenden Ostertage sagte Pell gegenüber CNA, er schaue auf die kommenden Feiertage als freier Mann und konzentriere sich auf das, was vor ihm liegt, insbesondere das Osterfest, und nicht auf das, was hinter ihm liege. „Zu diesem Zeitpunkt möchte ich die letzten Jahre nicht weiter kommentieren, sondern nur sagen, dass ich immer gesagt habe, dass ich mich solcher Verbrechen nicht schuldig gemacht habe“, sagte er. „Diese Woche ist offensichtlich die wichtigste Zeit in unserer Kirche, daher bin ich besonders froh, dass diese Entscheidung zu diesem Zeitpunkt getroffen wurde. Das Ostertriduum, das so zentral für unseren Glauben ist, wird für mich in diesem Jahr noch spezieller sein“.
Der aus Ballarat (Victoria) stammende ehemalige Finanzchef des Vatikans und langjährige Erzbischof von Sydney war am 11. Dezember 2018 in fünf Anklagepunkten von einem Geschworenengericht verurteilt worden, zwei damals 13-jährige Chorknaben nach der Sonntagsmesse sexuell missbraucht zu haben. Diese Tat – für die es keine Beweise gab, und die Pell stets ebenso bestritten hat wie mehrere Augenzeugen, darunter eines der beiden vorgeblichen Opfer – soll er in den Jahren 1996 und 1997 als Erzbischof von Melbourne begangen haben. Pell wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er mindestens drei Jahre und acht Monate hätte absitzen müssen, bevor er einen Antrag auf Bewährung hätte stellen können. Als vermeintlicher Kinderschänder war Pell in Einzelhaft, um vor anderen Häftlingen geschützt zu sein. Es war ihm 13 Monate lang nicht gestattet, die heilige Messe zu feiern.
Ob die „Verfolgung“ ein Ende findet, bleibt abzuwarten
Die Erzbischöfe von Sydney und Melbourne, die während des langen Prozessverlaufs immer wieder öffentlich betont haben, dass sie Pell für unschuldig halten, begrüßten den Freispruch. Ähnlich äußerte sich der Vatikan in einer offiziellen Stellungnahme des Presse-Amtes. „Der Heilige Stuhl, der der australischen Justizbehörde stets sein Vertrauen ausgesprochen hat, begrüßt die einstimmige Entscheidung des High Court, Kardinal George Pell von den Vorwürfen des Missbrauchs Minderjähriger freizusprechen und seine Verurteilung aufzuheben.“ Ohne Pells Namen zu nennen, betete Papst Franziskus – wenige Stunden nach dem Freispruch seines ehemaligen Finanzchefs und engen Beraters – für alle unschuldig Verfolgten in der weltweit übertragenen Frühmesse in der Kapelle des Domus Sanctae Marthae.
Ob die „Verfolgung“ von Pell ein Ende findet, der sowohl im Vatikan mit seinem Ringen um eine Finanzreform wie auch seiner australischen Heimat mit seinem robusten Eintritt für die Lehre und den Glauben der katholischen Kirche viele Feinde gemacht hat, bleibt abzusehen. Ein – bereits angekündigtes – kanonisches Verfahren der Glaubenskongregation steht derzeit noch aus.
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