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Sowjetunion: Die Zerschlagung der katholischen Kirche

Auflösung von Diözesen, Vertreibung und Hinrichtung von Bischöfen: Wie in der Sowjetunion die katholische Kirche zerstört werden sollte. Erster Teil einer Serie über die Katholiken in der Sowjetunion.
Kunstwerke der Stalin-Zeit
Foto: Kunsthalle_Schirn (Kunsthalle_Schirn) | Der Diktator Josef Stalin war ein erbitterter Feind der katholischen Kirche.

Der Krieg in der Ukraine hat unseren Blick wieder auf die ukrainische katholische Kirche des byzantinischen Ritus gelenkt, die von 1946 bis 1989 verboten war; aber es gibt sie in der Ukraine und in Russland sowie in allen nach 1991 selbstständig gewordenen ehemaligen Republiken der alten Sowjetunion: Gläubige der römisch-katholischen Kirche.

Bereits um das 10. Jahrhundert haben wir Nachricht von lateinischen Bischofssitzen und Klöstern der Dominikaner. Der heilige Hyazinth, den der heilige Dominikus selber in den Orden aufnahm, missionierte in der Ukraine und ist Patron von Kiew bei den lateinischen Katholiken. Unter Zar Peter dem Großen wurde erlaubt, eine katholische Kirche in Moskau zu bauen.

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Mehr Katholiken 

Durch die polnischen Teilungen wuchs die Zahl der Katholiken und vergrößerte sich noch durch die Ansiedlung deutscher Kolonisten. Trotz verschiedener antikatholischer Maßnahmen der Zaren kam es 1847 zu einem Konkordat mit Rom unter Papst Pius IX. Der Zar sicherte die Kirchenprovinz Mohilev mit den Bistümer Wilna, Samogitien, Minsk, Lutzk und Kamenetz zu und erlaubte die Neugründung der Diözese Cherson beziehungsweise Tiraspol für die Deutschen an der Wolga.

Die Kirchenzeitung Klemens in Tiraspol verzeichnete 1902 für die sechs Diözesen 1 058 Pfarrkirchen, 258 Filialkirchen, 717 Kapellen, 1 801 Priester und 4,56 Millionen Gläubige. Sitz des Erzdiozösen Mohilev war die kaiserliche Hauptstadt St. Petersburg, die auch eine Kaiserliche Römisch-katholische Geistliche Akademie und das Priesterseminar beherbergte. Ein weiteres Priesterseminar gab es in Saratow an der Wolga für die Russlanddeutschen der Diözese Tiraspol.

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs studierten an der Geistlichen Akademie 68 Studenten aus verschiedenen Diözesen, das Priesterseminar zählte mit dem Vorbereitungskurs 160 Studenten. Daneben hatte die katholische Kirche in der Hauptstadt zwei Gymnasien und eine Distriktschule. Katholische Dekanatssitze gab es vor allem im europäischen Russland, aber auch jenseits des Urals in Sibirien und in Zentralasien, etwa Irkutsk, Tomsk und Omsk, in Nikolajevsk am Amur, Charbin und Taschkent.

Der Klerus als Feind der Bauern und Arbeiter

Beim Kampf der kommunistischen Regierung gegen die Kirche nach der Oktoberrevolution in Russland, das nach dem Willen Lenins 1922 in die Sowjetunion umgewandelt wurde, können wir drei Etappen unterscheiden: In der ersten wurden schon unter Lenin die Diözesen liquidiert und die Bischöfe vertrieben; in der zweiten gelang es Stalin, die von Bischof Michael d' Herbigny geheim geweihte Hierarchie zu zerschlagen. Der dritte Abschnitt setzte in den 1930er Jahren mit der Ermordung Hunderter Priester ein und ab 1939/40, als mit Ostpolen und dem Baltikum ganze katholische Gebiete und Diözesen erstmals unter sowjetische Herrschaft gerieten und dies 1944/45 ein zweites Mal erfolgte.

Als erster katholischer Bischof wurde schon 1919 der Erzbischof von Mohilev, Eduard von Ropp, verhaftet und nach mehrmonatiger Haft ausgewiesen. Sein Nachfolger Johann Cieplak wurde im März 1923 zum Tode verurteilt. Er wurde angeklagt, er habe versucht, „eine konterrevolutionäre Organisation mit dem Ziel einer Revolte gegen die Gesetze und Verordnungen der Sowjetregierung“ zu gründen. Einzige „Vergehen“ waren, dass er und die mit ihm Angeklagten Religionsunterricht erteilt hatten, der nach einem Dekret vom 2. Januar 1921 für Personen unter 18 Jahren verboten war, und dass sie sich geweigert hatten, die kirchlichen Wertgegenstände abzuliefern.

Vertreibung und Ausweisung

Cieplak wurde gegen einen polnischen Kommunisten ausgetauscht und nach Polen ausgewiesen; sein Generalvikar Konstantin Budkiewicz wurde am Karfreitag 1923 hingerichtet. Einen Tag nach der Hinrichtung, am 31. März 1923, schrieb die Prawda: „Warum eröffnet man keinen Prozess gegen den Papst von Rom? Der Prozess Cieplak hat bewiesen, dass die verantwortlichere Person in dem von gegenrevolutionären Priestern organisierten Widerstand gegen die Beschlagnahme des Kirchenbesitzes der Papst von Rom ist. Er sollte von einem Revolutionsgerichtshof abgeurteilt werden. Der Prozess und das jüngst verkündete Urteil… haben bewiesen, dass der katholische Klerus ein unbändiger Feind der Armen und der Regierung der Bauern und Arbeiter ist.“

Da alle Bischöfe vertrieben oder ausgewiesen waren, versuchte der Vatikan durch den Präsidenten der päpstlichen Kommission für Russland, den Jesuiten Michael d' Herbigny, 1926 eine Reorganisation der kirchlichen Verwaltung. Anstelle der alten Diözesen Mohilev und Tiraspol sollten neun neue Bezirke geschaffen werden: Moskau, Leningrad, Mohilev-Minsk, Charkow, Kasan-Samara-Simbirsk, Odessa, Saratow, das Kaukasusgebiet und Georgien. Vier der dafür vorgesehenen Administratoren erhielten die Bischofsweihe im Geheimen durch d' Herbigny, der vom Nuntius in Berlin, Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., die Bischofsweihe erhalten hatte und dreimal in der Sowjetunion war.

Prozesse gegen Priester 

Für Moskau wurde Alexander Neveu geweiht, Bischof Boleslas Sloskans für Mohilev-Minsk, Bischof Anton Malecki für Leningrad und Alexander Frison von Odessa entstammte einer russlanddeutschen Familie. Die sowjetischen Behörden verhafteten aber bald drei dieser Bischöfe, von denen Malecki und Sloskans nach mehrjähriger Haft gegen in Polen und Lettland inhaftierte kommunistische Spione in ihre Heimatländer ausgetauscht wurden. Bischof Neveu lebte bis 1936 in Moskau, bis er krankheitshalber nach Frankreich ging, von wo aus man ihm die Rückkehr nach Moskau verwehrte.

Bischof Frison wurde nach langer Haft 1937 hingerichtet. Seitdem war die katholische Kirche Russlands ohne Hierarchie. Es begann der Kampf der sowjetischen Behörden gegen die Seelsorger in den Pfarreien. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs gab es viele Prozesse gegen Priester „als Spione und Geheimagenten ausländischer Mächte“.

Weltkrieg verschärft die Situation der Katholiken

Es war die Zeit der Untergrund-Diaspora und der Zwangsarbeitslager, von der Walter Kolarz feststellt: „In Sibirien und der europäischen Arktis, besonders im Workutagebiet, improvisierten gefangene Priester Gottesdienste, hörten Beichte, tauften sogar eine Anzahl von Menschen und nahmen nicht-katholische Christen in die Kirche von Rom auf. Das Messopfer wurde an den unmöglichsten Stätten gefeiert, in Bergwerksstollen, in der Ecke einer Gefangenenbaracke, und sogar in Büros, die mit Gefangenen besetzt waren.

Wer nicht selbst an den Gottesdiensten teilnehmen konnte, empfing die heilige Kommunion von den Mitgefangenen. Kelche und Altartücher waren äußerst primitiv, der Messwein wurde aus getrockneten Weintrauben hergestellt, wenn er nicht ins Lager geschmuggelt werden konnte, und die Hostien wurden aus Weizenmehl gebacken. Die Amnestien nach dem Tode Stalins, die den meisten gefangenen Katholiken die Freiheit brachten, beendeten dieses heroische Kapitel in der Geschichte der katholischen Kirche.“

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Als Beispiel, wie sehr die katholische Kirche äußerlich zugrunde gerichtet wurde, ist Leningrad zu erwähnen. Im alten St. Petersburg hatte es einen Erzbischof, ein Domkapitel, eine Geistliche Akademie, ein Priesterseminar und 13 katholische Kirchen gegeben. Völlig verschwunden sind außer dem Erzdiozösen, dem Domkapitel, der Akademie und dem Seminar alle Kirchen bis auf die „französische“ Kirche Notre Dame de France. Neben den 13 Kirchen (davon acht Pfarrkirchen) gab es bis 1917 neun weitere katholische Kapellen und zwei katholische Schulen.

Neue Leidenszeit

Der Zweite Weltkrieg, an dem sich Stalin schon seit 1939 durch die Besetzung Ostpolens und der baltischen Staaten beteiligte, brachte der russisch-orthodoxen Kirche wieder die Anerkennung des orthodoxen Patriarchates, mehreren Bischöfen die Zulassung von Priesterseminaren und Klöstern – aber für die katholische Kirche eine neue Leidenszeit.


Der Autor ist Theologe und Kirchenhistoriker, lehrte Kirchengeschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen und ist Autor der Bücher „Die römisch-katholische Kirche in der Sowjetunion“, „Verfolgte Kirche heute“, „Bürger zweiter Klasse“ und „Glaubenszeugen heute“. Er referierte regelmäßig auf den Kongressen von „Kirche in Not“ in Königstein.

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