Würzburg

Christliche Moral so anpassen, bis sie zu einem Lebensstil passt?

Ein Professor am Institut Johannes Pauls II. fordert ein Umdenken in der zeitgenössischen Moraltheologie: Das Gute muss wieder das Ziel sein, nicht das weniger Schlechte.
Ein Paar
Foto: Daniel Bockwoldt (dpa) | Alle Lust will Ewigkeit – die lebenslange Ehe entspricht der tiefsten Sehnsucht des Menschen.

Stellen Sie sich vor, ein hauptberuflicher Dieb kommt in den Beichtstuhl und berichtet, in der vergangenen Woche zehnmal gestohlen zu haben. Der Priester fordert, er solle fortan nicht mehr gegen das siebte Verbot verstoßen, was für den Dieb nicht in Frage kommt, da es seine Existenzgrundlage gefährdete. Er bietet an, in der nächsten Woche nur fünfmal zu stehlen – ist er nun für einen gelungenen Kompromiss zu loben?“ Stephan Kampowski, Professor für philosophische Anthropologie am päpstlichen Institut Johannes Pauls II. für Ehe- und Familienwissenschaften, nutzte diese Frage bei der Tagung des Internationalen Priesterkreises in Köln, um auf ein grundlegendes Problem in der Moraltheologie hinzuweisen: Das Gute zugunsten eines lediglich weniger Schlechten aus dem Blick zu verlieren.

Der Anspruch der Moral ist die Umkehr

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In seinen Überlegungen zu Bekehrung und Gradualität in der Nachfolge Christi bekräftigte er, dass Christsein nicht heiße, einfach nur weniger schlecht zu handeln als es vielleicht auch möglich sei, sondern immer besser zu werden. „Auf dem Weg der Nachfolge gibt es verschiedene Punkte, an denen wir stehen und jede Tugend muss immer erst nach und nach errungen werden“, so Kampowski, „jedoch müssen alle auf diesem Weg das gleiche Ziel haben, nämlich entschieden das Gute zu tun.“

Dass Menschen in der Verwirklichung der christlichen Morallehre an unterschiedlichen Stellen stehen, entspricht dem Prinzip der Gradualität des Wachstums, welches Papst Franziskus in seinem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Amoris laetitia“ und Johannes Paul II. in „Familiaris consortio“ formuliert haben. „Das heißt aber nicht, dass die Moral selbst abgestuft wäre und für den einen gut sein kann, was für einen anderen als schlecht zu bewerten ist“, sagte der 1972 geborene Theologe. Entscheidend sei, dass sich der Mensch in einem lebenslangen Prozess der christlichen Moral anpasse und nicht die Morallehre so verändere, bis sie zu seinem Leben passe. „Wir können das Leben mit einer Olympiade vergleichen: Niemand würde erwarten, dass ein zehnjähriger Sprinter genauso schnell läuft wie ein Zwanzigjähriger, da sie unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. Jedoch würde man erwarten, dass alle den Startschuss respektieren und in die gleiche Richtung laufen.“ Der Anspruch christlicher Moral sei es nicht, nur noch halb so schnell in die falsche Richtung zu gehen, sondern umzukehren.

Das Gute kann immer noch mit mehr Liebe getan werden

Alle Handlungen in unserem Leben stellten dabei Schritte in eine bestimmte Richtung dar, Wachstum gebe es dabei nur auf das Gute hin. „Während negative Gebote – Du sollst nicht stehlen! – immer eine Untergrenze bezeichnen, unter der ich die Liebe verletze, sind positive Gebote offen für Wachstum: Alles Gute, das wir tun, können wir mit immer noch mehr Liebe tun“, so Kampowski. Eine Moral, die dagegen immer nur nach dem situativ gerade weniger Schlechten fragte, führe zwangsläufig zur Verwässerung.

Kompromisslose Bekehrung sei die Anforderung des Evangeliums. Das Zueinander von Bekehrung und Gradualität in der Nachfolge werde dabei etwa an der biblischen Gestalt des Zachäus deutlich: „Er will alles, was er jemandem genommen hat, doppelt zurückgeben. Diese Einsicht wird ihm im Moment der Begegnung mit Jesus geschenkt. Aus dieser Bekehrung folgt dann aber erst der Prozess der ,ständigen Bekehrung‘: Für Zachäus gilt es, Gutes und Schlechtes nicht nur zu erkennen, sondern nun auch umzusetzen beziehungsweise alte Gewohnheiten und Dispositionen zu prüfen und die unbewussten Sünden nach und nach zu erkennen und abzulegen.“

Die "neue Sexualmoral" orientiert sich an Lust und Spaß

Die Tagung, die sich der Anthropologie des Glaubens und den Grundlagen der Moral widmete, blickte dabei auch auf die „neue Sexualmoral“, welche im Rahmen des Gesprächskreises „Synodaler Weg“ behandelt wird, der in Teilen eine Lust-Wende postuliert.
Bemerkenswert hatte diese Winfried Quecke, Mitglied des Hildesheimer Diözesanrats, während der Synodalhearings im Februar ins Wort gebracht: „Der liebe Gott hat uns die Fähigkeit zur Lust geschenkt und es scheint ja offensichtlich etwas zu sein, das Spaß macht. Der Orgasmus ist nach einer katholischen Schriftstellerin ein Vorgeschmack auf das Paradies, also erstmal positiv zu bewerten. […] Wir dürfen jetzt nicht in den Graben laufen, der heißt ,Sexualität ist nur gut, wenn sie in einer stabilen Paarbeziehung gelebt wird‘. Und da wünsche ich mir auch nochmal die deutliche Botschaft: Sex macht Spaß! – zumal unter einwilligungsfähigen Menschen, wenn alle zugestimmt haben.“

Das Gute ist der Feind des Besseren

Dem entgegen sprach Stephan Kampowski vom Wert verbindlich gelebter Ehe: „Wir sprechen von Gott als Vater, der Kirche als Mutter und sind einander Schwestern und Brüder. Die Zerstörung der Keuschheit und die Ablehnung einer verbindlich gelebten Sexualität im Rahmen einer Ehe erschweren die Glaubensweitergabe gewaltig. Christliche Sexualmoral muss sich an Verbindlichkeit orientieren und die Wahrheit der Liebe erweisen. Provisorische Beziehungen sind dagegen langfristig immer zerstörerisch. Einer der Partner wird am Ende weinen und schlimmstenfalls suizidgefährdet sein.“

Wie es dem Christen nicht darum gehen könne, nur fünfmal wöchentlich zum Diebstahl zu schreiten, dürfe er auch eine dauerhafte, offene Beziehung nicht nur deshalb gutheißen, weil sie noch besser sei als ein One-Night-Stand: Der Blick des Christen muss sich in spirituellen wie moralischen Fragen nach oben richten.

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