Deutlich kritisch äußert sich der Schweizer Theologe Martin Grichting in einem Beitrag der Tageszeitung "Welt" über den Synodalen Weg vom heutigen Dienstag: Dessen Forderungen passten nicht zum Christentum, widersprächen dem Zweien Vatikanischen Konzil und setzten an die Stelle Christi und das Evangelium politisch-demokratische Strukturen. Man könne aber über den Glauben nicht abstimmen. Demokratie und Christentum seien miteinander nicht kompatibel, schon gar nicht könnten demokratische Strukturen das Christentum verändern, "da dessen Substanz ewig sei". Nur dessen Form und Sprache würden sich wandeln.
Demokratische Strukturen greifen Substanz des Christentums an
Aber genau das versuche der Synodale Weg: Er stülpe der Kirche demokratische Strukturen über, die die Substanz des Christentums angreifen würden. Kirche werde "nicht mehr als geoffenbart geglaubt und gerät dadurch in die Verfügungsgewalt des sich selbst ermächtigenden Menschen". Ganz nach dem Vorbild Frankreichs und der Schweiz, so Grichting, der Generalvikar des Bistums Chur war. Aber "die in der Substanz veränderte Kirche kann dann selbstredend nicht mehr 'Mater et Magistra', Mutter und Lehrmeisterin sein, wie Papst Johannes XXIII. sie im Jahr 1961 noch genannt hatte".
Was an den Chef-Architekten des Synodalen Weges, die sich eine zeitgemäße Wandlung der Kirche auf die Fahnen geschrieben haben, offenbar vorbeigegangen ist: Statt zeitgemäß zu sein, seien sie in die Zeit von vor 200 Jahren zurückgefallen, wo man dem "Glauben an ein Einwirken des Unendlichen ins Endliche“ feindlich gesinnt war und der Kirche politische Strukturen anlegen wollte, so Grichting.
Christus wurde entthront
Kirche in flashback also. Eine Kirche, die nach dem Vorbild der Reformation entzweifalle. Mit in Politik und Sozialindustrie verbandelten Funktionären sowie der Mehrheit der Bischöfe hat die Kirche laut Grichting ihren König, Christus selbst, entthront. Auf dem Synodalen Weg werde stillschweigend vorausgesetzt, dass "nicht mehr der sich selbst offenbarende Gott und damit das Evangelium sowie die kirchliche Überlieferung" maßgebend seien für die Kirche, so der Autor, "sondern die zeitgenössische, postchristliche Weltanschauung".
Das sei die Ideologie des deutschen Reformprozesses. Dass in "Gaudium et Spes" des Zweiten Vatikanischen Konzils noch betont worden ist, "die Kirche dürfe in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden", scheine längst vergessen. Und zerfällt die Kirche, die einen integrierenden Teil der großen Hierarchie gebildet habe, „in religiöse Demokratien“, zitiert der Theologe Heinrich Heine.
Damit Teile die Kirche allerdings auch das Geschick der Demokratien, so Grichting. Dieses bestehe gemäß dem französischen Historiker und Publizisten Alexis de Tocqueville darin, dass sie nur durch Erfahrungen lernen könnten. Die Erfahrung, welche die selbstsäkularisierte Kirche machen werde, hat schon Jesaja (7, 9) auf den Punkt gebracht: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht.“ DT/dsc
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