Der Große Sankt Bernhard im Schweizer Kanton Wallis ist seit Menschengedenken einer der wichtigsten Alpenpässe. Eisenzeitliche Funde belegen, dass er bereits in vorrömischer Zeit genutzt wurde, um von Italien nach Mitteleuropa zu gelangen. Pilger und Kreuzfahrer nutzten diesen Alpenübergang ebenso wie Händler und Eroberer mit ihren Truppen. Schon seit dem Hochmittelalter steht hier das „Hospiz auf dem Großen Sankt Bernhard“, dem die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff im 19. Jahrhundert in ihrem gleichnamigen Epos ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Das von Augustiner-Chorherren geführte Hospiz, das bis heute der Aufnahme und Betreuung von Alpenüberquerern dient, wurde um 1050 vom heiligen Bernhard von Menthon gegründet, der dem Hospiz und dem Pass auch seinen Namen gegeben hat. Er wurde 1681 von Papst Innozenz XI. heiliggesprochen; Papst Pius XI., in seiner Jugend selbst ein begeisterter Alpinist, erhob ihn 1923 zum Schutzpatron der Alpenbewohner und Bergsteiger. Der Gedenktag des heiligen Bernhard von Menthon ist der 15. Juni.
Nur Bruchstücke statt einer kompletten Vita
Die Lebensgeschichte des heiligen Bernhard lässt sich nur bruchstückhaft rekonstruieren. Einigen Quellen zufolge stammt er aus dem piemontesischen Novara, aber traditionell wird die Burg Menthon-Saint Bernhard im französischen Obersavoyen als sein Geburtsort betrachtet, wo er als Sohn des Ritters Richard von Menthon im Jahr 1008 zur Welt gekommen sein soll.
Bernhard studierte Jura und Philosophie in Paris. Den Wunsch seines Vaters, die adlige Margarete von Miolans zu heiraten, schlug Bernhard aus. Der Legende nach sperrte sein Vater in daraufhin in einen Turm der Burg, wo er auf wundersame Weise vom heiligen Nikolaus von Myra befreit wurde und über die Alpen nach Aosta reiste. Hier wurde er zum Archidiakon des Bischofs von Aosta geweiht.
Vielleicht war es die beschwerliche Erfahrung der Alpenüberquerung, die Bernhard zur Gründung des Hospizes auf dem später nach ihm benannten Pass bewegt hat. Hier befand sich seit römischer Zeit ein Jupiter-Heiligtum. Der Passverkehr war jedoch im 10. Jahrhundert fast zum Erliegen gekommen, da Sarazenen von der französischen Mittelmeerküste aus ins Alpengebiet vorgedrungen waren und hier Raubzüge unternahmen. Nach der Zerstörung ihrer Basis gegen Ende des 10. Jahrhunderts zogen die Sarazenen sich zurück, aber der gesamte Passverkehr musste wieder neu organisiert werden. Um Pilgern und anderen Alpenüberquerern eine sichere Unterkunft zu geben, errichtete Bernhard mit Hilfe der burgundischen Königin Irmingard das Hospiz in über 2 400 Metern Höhe. Die Leitung lag wahrscheinlich zunächst in den Händen einer Laienbruderschaft, an deren Spitze ein hospitalarius stand. Seit dem frühen 12. Jahrhundert ist die Anwesenheit der Augustiner-Chorherren an diesem Ort bezeugt, in deren Händen bis heute die Betreuung und Seelsorge der Reisenden liegt. Im Museum des Hospizes auf dem Großen Sankt Bernhard werden archäologische Überreste des römischen Tempels aufbewahrt, ebenso wie eine Bronzestatue und eine Inschriftentafel aus dem 13. Jahrhundert, die die Gründung durch den heiligen Bernhard belegen.
Bernhard von Menthon war auch als Prediger aktiv
Die Gründung des Hospizes und die damit verbundene Neuorganisation der Passstraße sind das bekannteste Werk des heiligen Bernhard. Sein Grundanliegen dürfte die Evangelisierung des Alpenraums gewesen sein, zu der er außerdem als Prediger einen aktiven Beitrag leistete. Seine Predigttätigkeit ist vor allem im oberitalienischen Gebiet, in der Gegend um Pavia und Novara, bezeugt. In Pavia soll es im Jahr 1081 zu einem Zusammentreffen zwischen Bernhard und König Heinrich IV. gekommen sein. Bernhard soll versucht haben, den König von seinem Plan abzubringen, wegen des Investiturstreits Gregor VII. abzusetzen und Clemens III. als Gegenpapst einzusetzen.
Auf dem Rückweg von Pavia starb Bernhard in einem Kloster vor den Toren von Novara. Seine Reliquien werden bis heute im Dom zu Novara in einer Bronzebüste aufbewahrt. Da diese nach seiner Totenmaske gearbeitet wurde, wird angenommen, dass sie die authentischen Gesichtszüge des Heiligen trägt.